Brexit

Anstatt die Brexit-Wähler psychologisch zu analysieren, könntest Du uns ja jetzt auch mal erklären, wo rational gesehen für einen Briten das Problem beim Brexit sein soll.

Ich habe jetzt die letzten beiden Tage sehr detailliert die Artikel der großen deutschen Zeitungen dazu sowie den Guardian und die Kommentare anderer Brexit-Gegner in Großbritannien studiert und sehe eigentlich nur zwei Fraktionen:
1) Die Fraktion, die einfach so tut, als würde Großbritannien aus dem europäischen Binnenmarkt ausscheiden und deshalb jetzt sofort hohe Einfuhrsteuern erheben und alle Ausländer hinauswerfen, obwohl das völlig ausgeschlossen ist.

2) Die Fraktion, die sich über die Verletzung allgemeinphilosophischer Prinzipien wie "Weltoffenheit", "Toleranz" und "Modernität" beschwert, die alle nur relevant sind, wenn man auch daran glaubt.

Ansonsten liest man nur von den enormen bereits entstandene Schäden für die Volkswirtschaft, die dann durch den Kurssturz des Pfundes begründet werden, obwohl das bei einem Ereignis dieser Größenordnung immer so ist, selbst wenn der Brexit ansonsten ausschließlich positiv zu beurteilen wäre.

Ich würde sogar mittlerweile sagen, Großbritannien steigt nicht aus der EU im klassischen Sinne (dem europäischen Binnenmarkt) aus, sondern nur aus dem Modell der "Vereinigten Staaten von Europa".
Wenn das so kommen sollte - und das ist ein realistisches Szenario -, dann hätte Großbritannien tatsächlich alle Vorteile der EU ohne die Nachteile, auch wenn Politiker aktuell etwas Anderes androhen.
 
Was ist denn am Brexit aus Sicht der hier so zahlreich vertretenen geistigen Elite falsch?

Ohne auf die Spitze im besten demagogischen Stil einzugehen:
  • Aus europäischer Sicht: Dass eine der größten und ältesten Demokratien Europas sich nicht mehr an der politischen Weiterentwicklung Europas und dessen Stellenwert in der Welt aktiv beteiligen kann.
  • Aus britischer Sicht: Dass das europäische Finanzzentrum Europas und das diesbezügliche Bindeglied zu Asien und den USA diese Rolle außerhalb der EU nicht mehr wahrnehmen kann und darüber gewaltige Einnahmen zu Lasten anderer Finanzplätze verloren gehen, was dazu führt, dass das Außenhandelsdefizit durch die hohen Importe nicht mehr ausbalanciert werden kann. Dass das Land über den Ausstiegskonflikt möglicherweise in Einzelstaaten auseinanderbricht und sich selbst zukünftig in eine marginale Position am Rande der EU manövriert. Dass das Land sich in einer immer weiter zusammenwachsenden Welt ohne Not auf allen Ebenen gegenüber seinen geographisch engsten Nachbarn isoliert. EDIT: Einen hab' ich noch: Dass 45% des britischen Exports in die EU gehen und demnächst zur Disposition stehen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Rolle der Briten in der EU habe ich nie verstanden. Seit Jahren haben Sie eine Politik gegen die EU gemacht und für Ausnahmen und Sonderrechte gekämpft. Die Entscheidung der Bürger ist nur die konsequente Folge diese Politik.

Ist es ein Austritt aus der EU oder einfach nur eine Beendigung des Beitritts? Bestes Beispiel dafür sind die ganzen Sonderrechte für GB - so werden sie in Zukunft halt als Drittland bei den Verhandlungen behandelt.
 
Ohne auf die Spitze im besten demagogischen Stil einzugehen:

Neben den von bluesman528 genannten grundsätzlichen Punkten, empfinde ich den jetzigen konkreten Zeitpunkt als besonders unglücklich. Selbst wenn der Brexit so glimpflich wie möglich verläuft, wird seine Abwicklung Aufmerksamkeit und politische Energie beanspruchen, die man bei den derzeitigen weiteren fortdauernden Problemlagen (Rußland/Ukraine, Syrien, Eurokrise etc...) mMn nicht gut erübrigen kann.
 
Ohne auf die Spitze im besten demagogischen Stil einzugehen:

Trifft alles auch auf die Schweiz zu. Und wir leben besser ohne EU-Mitgliedschaft, aber mit spezifischen bilateralen Verträgen.

Und ja, wir konnten direktdemokratisch über einen Beitritt abstimmen, woraus sich m. E. ein wesentlich aussagekräftigeres und breiter abgestütztes Resultat ergibt als bei einer Abstimmung in einer parlamentarischen Demokratie.

Das Thema eignet sich leider nur sehr bedingt für eine Diskussion in einem Forum; im wirklichen Leben wärst du wegen meiner Spitze nicht irritiert gewesen.
 
Trifft alles auch auf die Schweiz zu. Und wir leben besser ohne EU-Mitgliedschaft, aber mit spezifischen bilateralen Verträgen.
Nicht, dass ich die Schweiz verniedlichen möchte, aber glaubst Du nicht, dass es zwischen Staaten mit 8 und 64 Mio. Einwohnern nicht einen gewissen Unterschied gibt? Großbritannien kann sich keine Nischenrolle leisten, es hat absolut mehr zu verlieren als die Schweiz je gewonnen hat. Und damit meine ich nicht Fußball-Titel. ;)

Neben dem schieren Größenunterschied und der Tatsache, dass GB nicht das traditionelle Geldversteck der Welt war, sondern über EU-übergreifende Transaktionen und Finanzprodukte in den Markt gekommen ist, wofür man permanente Vernetzung ohne Handelsschranken braucht, ist im Vergleich zur Schweiz auch der industrielle Wertschöpfungsfaktor in GB viel kleiner. D.h. wenn der Finanzsektor nicht mehr liefern kann, weil er an Bedeutung verliert, gibt es keinen Ausgleich durch produzierende Branchen.

Das Thema eignet sich leider nur sehr bedingt für eine Diskussion in einem Forum; im wirklichen Leben wärst du wegen meiner Spitze nicht irritiert gewesen.
Na, ich weiß nicht. Ich nehme es Dir nicht übel, aber gerade das Lächerlich-Machen von offensichtlichem Faktenwissen auf persönlicher Ebene ist ja ein Kernmerkmal der populistischen Meinungsmache, von daher Teil des Themas.
 
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