Der perfekte Stil - oder die never-ending-story

Ein Beispiel:
Der Sohn eines einfachen Schlossers, der zu Hause mit RTL, einfacher Sprache und lockerer Erziehung aufwächst, wird es sehr schwer haben, sich seine Meinung über Stil zu bilden bzw. eine ganz andere Meinung dazu haben als unsereins.
Wenn dieser fiktive Junge nun noch in eine Innenstadt-Schule geht, wo er als Stilvorbilder diverse Musiker oder ähnliches reingepresst bekommt, wird er es wiederum sehr schwer haben, sich an klassischen Stilvorbildern zu orientieren.

Im Gegensatz dazu:
Der Sohn eines Großunternehmers wächst auf dem Land auf. Noch bevor er das Alter erreicht, wo er auf eine renommierte Privatschule geschickt wird, bekommt er seinen ersten maßgeschneiderten Anzug.
Zu Hause herrschen konservative Bedingungen. Abends liest er Hochliteratur aus der Hauseigenen Bibliothek.
Dieser Junge wird es wohl leichter haben einen klassichen Stil zu finden.

Sorry, aber das ist totaler Klischee-Quatsch. Ich denke, dass es - auch hier im Forum - viele stilvolle Personen gibt, die aus erstem Szenario abstammen und trotz fehlender "Privatschule", "Maßanzug zum Geburtstag" und "Thomas Bernard vor dem Kamin" ihren Stil und Bildung gefunden haben.
 
Stilempfinden ist selbstredend akquiriert und nicht irgendwie genetisch inhärent. Und zweifellos prägen die sozialen Umfelder im Laufe eines Lebens entscheidend die eigene Definition und Ausübung von Stil. Einen "fremden" Stil bewusst zu lernen ist, wie bei einer Fremdsprache, wesentlich schwieriger als der "natürliche" Stil/Spracherwerb und "Native" werden das meist auch als "angelernt" erkennen. So funktionieren nicht zuletzt Eliten, welche die Definitionsmacht über "hohen Stil" innehaben und diesen gleichzeitig als Herrschaftswissen bewahren. Trotzdem ist es nicht unmöglich. Benimmbücher gibt es nicht umsonst schon seit dem Mittelalter (als ein Element umfassender Zivilisierungs- und sozialer Distinktionsprogramme). Dabei erstreckt sich Stil ja im weiteren Sinne von der Bekleidung über Manieren und Sprache bis hin zum persönlichen Ethos und in modernen Gesellschaften dürfte das nur noch selten alles aus einem Guß sein, sondern meist eine komplexe Pastiche, wie es ja auch keine einheitliche Definition von "gutem Stil" mehr gibt.

siehe dazu auch (ich weiß, ich weiß, schon wieder taz):
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2002/10/09/a0321
 
Der TAZ Artikel ist gut.

Allerdings ist der Eliten-Habitus, der meiner Meinung nach nicht erlernbar ist, nicht das gleiche wie Stil.

Ein Mann aus einfachem Hause von gutem Charakter, der sich um stilvolle Kleidung bemüht, seine Sprache pflegt, sich um Bildung bemüht und die wichtigen Benimmregeln kennt, kann es in Sachen Stil weit bringen, auch wenn ihm das schneidige Auftreten eines von Guttenbergs oder Attitüde eines Menschens aus dem alten Geldadel fehlt.

In Sachen Karriere ist er sicherlich im Nachteil. Das ist durchaus eine Ungerechtigkeit, aber kann ein Maurersohn, der im gehobenen Management an die gläserne Elitendecke stößt nicht schon sehr stolz auf das Erreichte sein?

Gruß Change
 
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Da fällt mir die Geschichte des Maurersohns ein, der selber auch Maurer ist...der Geldadel nebst schneidige Barone weit hinter sich gelassen hat...auch ein Erfolg...
 

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Der TAZ Artikel ist gut.

Allerdings ist der Eliten-Habitus, der meiner Meinung nach nicht erlernbar ist, nicht das gleiche wie Stil.

Ein Mann aus einfachem Hause von gutem Charakter, der sich um stilvolle Kleidung bemüht, seine Sprache pflegt, sich um Bildung bemüht und die wichtigen Benimmregeln kennt, kann es in Sachen Stil weit bringen, auch wenn ihm das schneidige Auftreten eines von Guttenbergs oder Attitüde eines Menschens aus dem alten Geldadel fehlt.

In Sachen Karriere ist er sicherlich im Nachteil. Das ist durchaus eine Ungerechtigkeit, aber kann ein Maurersohn, der im gehobenen Management an die gläserne Elitendecke stößt nicht schon sehr stolz auf das Erreichte sein?

Gruß Change

Gewiß, ich glaube aber, das was oft als Stil im Singular bezeichnet wird Teil dieses Herrschaftshabitus ist - nicht zuletzt weil, wie ich vor Unzeiten mal postete, das ganze Konzept des Gentleman ja auch ein Versuch war, die Herrschaft der englischen gentry in einer post-feudalen Gesellschaft soziokulturell statt über Blut (überholt) oder ökonomische Parameter (zu ehrlich) zu legitimieren. Inzwischen sind wir ja an einem Punkt, wo das Konzept Stil in vielerlei Hinsicht pluralisiert ist - auch ein Hip Hopper aus dem Kiez kann Stil haben etc. pp. Und große Teilbereiche der heutigen ökonomischen Eliten sind, zumindest nach SM-Maßstäben stillos (nicht nur sartorial). Aber in den Zentren der Macht gibt es, wie Hartmann zeigt, trotzdem immer noch einen engen Zusammenhang zwischen Status, Habitus und Stil als dessen Teilmenge, trotz partieller Flexibilisierungen (die aber seit Jahren wieder abnehmen).
 
Ich glaube ähnlich wie DGL, dass Stil eine Mischung aus beidem ist. Der Vergleich mit einer Sprache ist sicher nicht so falsch: Man kann eine "fremde" Sprache erlernen bis zur Perfektion, es ist nur schwerer und unwahrscheinlicher, als wenn man schlicht die eigene spricht. Zugleich gibt es Naturbegabungen, die das spielend schaffen und solche, die sich sehr schwer tun. Also mE eine Mischung aus Genen und eigenem Dazutun.

Bezüglich des "Oberschichten"-Habitus möchte ich eine Beobachtung teilen. Ich bin in einem Bezirk zur Schule gegangen, den man wohl auf Englisch als "the right side of the railroad tracks" bezeichnen würde. Meiner Erfahrung nach haben die Kinder der Oberschicht nur wenig mehr Stilempfinden oder "Stil" oder "Benehmen" oder "Gentlemanhaftigkeit" als die der Mittelklasse. Was sie ausmacht, ist die Kleidung, an der sie sich erkennen (PRL, TH, Timbis), die Clubs, in die sie gehen (und die gemeinsame Fähigkeit, dort flaschenweise Wodka zu kaufen), das gemeinsame Fahren in die Skiferien nach St. Moritz, die gemeinsamen Stunden beim Hockey, die gemeinsame Vorliebe für tolle Autos (und die Möglichkeit, dieser Vorliebe zu frönen). Ganz wie andere soziale Kreise eben auch hat man einen gemeinsamen Erfahrungsschatz und einige soziale Erkennungsmerkmale. Die sind natürlich "irgendwie upper-class", aber haben eben gerade nicht viel mit Stil zu tun, sondern eher mit der Fähigkeit, bestimmte, mitunter stilvolle, mitunter weniger stilvolle, Dinge gemeinsam zu tun. So erkennt man sich auch später wieder. Nicht zuletzt bringen die Kinder ein ganz großes Selbstbewusstsein mit und einen Sinn dafür, dass ihnen ein guter Platz im Leben gebührt. Solche Dinge sind es wohl eher, an denen "man" sich erkennt, später im Berufsleben. "Stil" würde ich da jetzt nicht unbedingt nennen, auch wenn natürlich eine gewisse Vorliebe für klassische Mode erkennbar ist: Für mich sind weder Pferdchenpolos noch Bootsschuhe per se stilvoll. In diesem Kontext bilden sie vielmehr "einen" Stil, oder besser einen Style ab, den man nämlich früher "Popper" genannt hat.
 
Besten Dank für die Buchtipps, Aorta!
"La distinction" von Bourdieu ist für mich selbst nach wie vor eines der unterhaltsamsten und erhellendsten Büchern zu diesem Thema.

Meiner Erfahrung nach haben die Kinder der Oberschicht nur wenig mehr Stilempfinden oder "Stil" oder "Benehmen" oder "Gentlemanhaftigkeit" als die der Mittelklasse. Was sie ausmacht, ist die Kleidung, an der sie sich erkennen (PRL, TH, Timbis),...

Sind diese Brands nicht vielmehr Erkennungsmerkmal des Prätendenten?

Es grüsst, albarello
 
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