Zu wenig Klassik im Forum? (verschoben aus Wtih-Sammelthread)

Sie, werter Shop, verwechseln den altbegriffenen Stil mit dem neumodischen Begriff Style als Ausdruck einer subkulturellen Aussendarstellung. Unabhängig von diktionären Betrachtungen kommt es mE bei Stil nicht auf eine auf Abgrenzung abzielende Extrovertiertheit an. Denn diese wäre wahrlich nur "clownesk".
Ich gebe Ihnen aber insoweit Recht, als das der Begriff Stil Raum für Interpretationen bietet, aber Sie überdehnen hier das ganze.
Ich bin iÜ primär mit Tobias d´accord.
 
Hallo Julius,

ja eine Unterscheidung zwischen Stil und "Style" kam mir auch schon in den Sinn.

Stil als Grundsätze (das nachdenken und diskutieren darüber) und Style als deren Auslegung.
(Ethik und Moral lassen grüßen. ;) )

MfG
Kansuke
 
Werter "Das gute Leben",

verstehe ich Ihren Beitrag richtig, dass ein Verständnis von Stil im Sinne von "klassischer Herrenmode" auf Elitarismus, Herrschaftswillen und Projezierung innerer Konflikte zurückzuführen ist?

Ich kann Sie diesbezüglich beruhigen. Ich kleide mich "stilvoll", weil ich Wert auf Qualität, Tradition und Ästhetik lege, nicht aufgrund eines Herrschaftswillens. Ich gehe auch nicht davon aus, dass mich viele Mitmenschen in die Nähe eines englischen Aristoktraten einordnen, wenn Sie mich in Cordhose, Tattersall-Hemd, Tweed-Jacke und Motiv-Krawatte mit "flying ducks" sehen. Vielmehr werde ich wohl als langweiliger, geschmacksverirrter Ewiggestriger eingestuft.

Ihr Vergleich zum Opernbesuch erschließt sich mir nicht: Wenn jemand in eine Oper geht, weil es ihm mehr um die Manifestation eines Herrschaftswillens als um die musikalische Erbauung geht, ist dies zweifelsohne stillos. Soweit stimmen wir überein. Wenn ein Student in die Oper geht, weil er Verdi liebt, ist das hingegen überhaupt nicht zu beanstanden. Auch bei diesem Punkt gibt es Übereinstimmung. Nur warum sollte sich jetzt dieser Student nicht anständig kleiden? Diese Schlussfolgerung kann ich nicht nachvollziehen.

Schließlich möchte ich bitten, nicht immer die Keule "Menschenwürde" zu schwingen. Angesichts von Kriegen, Tyrannei, Terror und Hungersnöten auf der Welt finde ich den Hinweis auf Art. 1 GG in unseren Zusammenhängen reichlich unpassend.

Im Übrigen möchte ich auf die kurzen, aber hervorragenden Ausführungen von Julius verweisen.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Lieber Spoozy,

vielen Dank für deine Antwort. In vielen Punkten sind wir durchaus ähnlicher Meinung. Dort, wo wir es nicht sind, ist dies jedenfalls zum Teil auf Missverständnisse zurückzuführen.

Ganz bestimmt, leider kann man sich online nicht ohne Hürden auf gemeinsame Nenner einigen, ohne lang und breit die eigene Position darzulegen.

Zum einen hast Du völlig Recht: Nur weil etwas erst drei Jahre alt ist, muss es nicht schlecht sein. Ich stelle in meinen Aussagen daher auch bewusst nicht auf das Alter ab. Obgleich mir auch bei starker geistiger Anstrengung spontan kein Kleidungsstück aus den letzten vierzig, fünfzig Jahren einfällt, das ich als stilvoll bezeichnen würde.

Lustigerweise fällt mir natürlich spontan auch keines ein, das Stand-alone funktioniert. Wohl aber kann man sagen, dass die körperbetonte Formgebung von Jacketts eine Entwicklung der letzten Jahre gewesen sein dürfte, die sicher nicht nachteilig war....

Auch meine ich mit stilvoll keinesfalls nur graue Anzüge. Sämtliche meiner Kombinationen sind durchaus farbenfroh. Wenn Du meinen Kleiderschrank durchwühlen würdest, würdest Du dann sogar auf so "neumodische" Kleidungsstücke wie bunt gestreifte Polo- und Rugby-Hemden stoßen - wenngleich auch nur vereinzelt. Und manchmal träume ich sogar davon, mir khaki Shorts zu kaufen und sie mit roten Kniestrümpfen zu tragen... :rolleyes:

Eine Gelegenheit hatte ich ja bereits, selig sei das SM-Treffen in Frankfurt. Dort fand ich dein Outfit wirklich ganz hervorragend, ohne zu übertreiben. Würde ich auch so eins zu eins übernehmen.

Wie schon geschrieben, halte ich Sander für einen stilsicheren Herren, auch wenn ich mich selbst nicht so kleiden würde. Gleiches gilt für dich. Obwohl deine Art, sich zu kleiden, für mich persönlich nicht in Frage kommt, ist bei deinen Kompositionen in der Regel zu erkennen, dass dahinter ein gewisses Verständnis und Können steckt. (Ähnliches gilt auch für die in diesem Thread verlinkten Fotos.) Ein solcher Ausdruck der Persönlichkeit ist überhaupt nicht zu beanstanden.

Puh, noch mal Glück gehabt. Aber danke, Lob aus berufenem Munde hört man gern.:)

... "Ein Gentleman fällt nicht auf, aber er bleibt im Gedächtnis." Sicher kann man das alles als überholt oder borniert ablehnen, aber dann bleibt als Rechtfertigung wieder nur das eigene Gutdünken - und das allein wäre für mich nur eine Spielart der Überheblichkeit.

Da ist schon was dran, ohne Zweifel. Allerdings muss man das vielleicht auch im Gesamtkontext, wie sich jemand gibt, sehen. Ergo: wenn jemand "laut" gekleidet ist, wäre es besser, nicht auch noch den Alleinunterhalter, Clown, Fernsehreporter und Modezar in einer Rolle vereinen zu wollen...

Letzlich versuchen wir auf Teufel komm raus, Begriffe die sich einer Definition entziehen, in ein enges, und damit allgemeingültiges Korsett zu zwängen.
Im Umkehrschluss gilt natürlich gerade dann, dass sich vortrefflich hierob disputieren lässt ;)

Anyway, drüben im WTIH-Thread gibt´s neues Kanonenfutter für die Augen...
 
Werter Tobias,

das mit dem Grundgesetz war gar nicht als Keule gedacht, sondern lediglich als Relativierung der Relevanz von Bekleidungsfragen. Im Kontext eines Stilforums sind Klagen über sartoriale Mißstände ja durchaus legitim, aber im Großen und Ganzen gilt meine Sorge ganz anderen Zuständen.

Natürlich hat Kleidung neben idiosynkratischen Faktoren immer eine sehr sehr starke soziokulturelle (und psychologische) Komponente. Sie spiegelt die gesellschaftlichen (Macht)Verhältnisse ihrer Zeit wider.Ich sage nicht, dass das Ihre persönliche Weltanschauung reflektiert, sondern gebe zu bedenken, dass das eine historischer Teil des Stilkanons ist - und empfinde wohl Ihren Anspruch auf Deutungshoheit als Echo solcher Distinktionsmechanismen. Ich finde ja auch, dass eine Beschäftigung mit der Geschichte eines Feldes und seinen Konventionen und der reflektierte, ironische, selbst radikal brechende Umgang damit eine willkommene, in einer Demokratie gar notwendige, Form der Mündigkeit darstellt. Für den einen mag im Sartorialen das Ergebnis ein Maßanzug sein, für den anderen aber Jeans und Parka (1965 durchaus ein Statement). Duchamps Urinal war einerseits ein Witz (ein sehr intelligenter, allerdings) aber auch Manifestation tiefgründiger Reflexion über die Problematik der Beziehung von Kunst und Ort (d.h. Museum) in der bürgerlichen Welt. Insofern selbstverständlich Kunst.

Werter "Das gute Leben",

verstehe ich Ihren Beitrag richtig, dass ein Verständnis von Stil im Sinne von "klassischer Herrenmode" auf Elitarismus, Herrschaftswillen und Projezierung innerer Konflikte zurückzuführen ist?

Ich kann Sie diesbezüglich beruhigen. Ich kleide mich "stilvoll", weil ich Wert auf Qualität, Tradition und Ästhetik lege, nicht aufgrund eines Herrschaftswillens. Ich gehe auch nicht davon aus, dass mich viele Mitmenschen in die Nähe eines englischen Aristoktraten einordnen, wenn Sie mich in Cordhose, Tattersall-Hemd, Tweed-Jacke und Motiv-Krawatte mit "flying ducks" sehen. Vielmehr werde ich wohl als langweiliger, geschmacksverirrter Ewiggestriger eingestuft.

Ihr Vergleich zum Opernbesuch erschließt sich mir nicht: Wenn jemand in eine Oper geht, weil es ihm mehr um die Manifestation eines Herrschaftswillens als um die musikalische Erbauung geht, ist dies zweifelsohne stillos. Soweit stimmen wir überein. Wenn ein Student in die Oper geht, weil er Verdi liebt, ist das hingegen überhaupt nicht zu beanstanden. Auch bei diesem Punkt gibt es Übereinstimmung. Nur warum sollte sich jetzt dieser Student nicht anständig kleiden? Diese Schlussfolgerung kann ich nicht nachvollziehen.

Schließlich möchte ich bitten, nicht immer die Keule "Menschenwürde" zu schwingen. Angesichts von Kriegen, Tyrannei, Terror und Hungersnöten auf der Welt finde ich den Hinweis auf Art. 1 GG in unseren Zusammenhängen reichlich unpassend.

Im Übrigen möchte ich auf die kurzen, aber hervorragenden Ausführungen von Julius verweisen.
 
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