Wo ist Bernhard Roetzel?

Ja, und wenn man es von einer noch allgemeineren Perspektive sieht: Man muss sich ab und an vergegenwärtigen, dass das eigene Hobby nicht dazu taugt, universell gültige und v.a. richtende Urteile zu fällen. Das merkt man, wenn man verschiedene Interessen hat, besonders, wenn diese wenig Überlappung in der Klientel haben.

Beispiel: In ähnlich schmalen Zielgruppen wie hier im Forum kanzeln die Mitglieder eines Sportforums wahrscheinlich 90% der User hier als eigentlich nicht lebensfähige Krüppel ab, die in unverantwortlicher Weise ihren Körper nicht so behandeln wie man es sollte und v.a. bei der Lebenserwartung des 21. Jhdts dringend für eine lange Lebenszeit vorbereitet werden sollte. Im HiFi-Forum dagegen ist es keine Musik wert, ja man beleidigte den Komponisten, würde man sie auf einer ordinären Anlage hören usw usf.

Wer da wie (glücklicherweise die meisten hier) es vermag, die Scheuklappen abzulegen, hat sicher eine konstruktivere Sicht auf die Dinge. Gerade wenn man jemanden hin zu guter Kleidung bewegen möchte.
 
Nun sind mir Sport- und Musikgeschmack anderer Menschen schnurzpiepegal, während sie mir den Anblick ihres lieblosen Kleidungsstils leider tagtäglich unter die Nase halten. Zumal wir uns in dieser "Nische" schlicht dessen bedienen, was vor 50 Jahren ganz normaler gesellschaftlicher Konsens war. Es geht dabei nicht um die Schaffung eines neuen Nerdkults, sondern um die Bewahrung dessen, was einmal war. Und es findet vielfach Anklang bei jungen Leuten, die klassischen Stil sehen und sich freuen. Während Sportautisten und 25KHz-Tonhörer eher ein Stirnrunzeln ernten (und das sage ich als Musiker).
 
Taxifahrer-Dieter kann sich mit finanziell relativ geringem Aufwand einen kaum getragenen Smoking zulegen - von Opas Schneiderarbeit über gängige RTW-Sachen zu den besonderen Einzelstücken.
Mit seinem günstigen und schönen Smoking sowie einem Top-TaxiParkplatz an der Oper dürfte dem wohlbekleideten (und üppig subventionierten) Operngenuss nichts mehr im Wege stehen...;)
Damit der Smoking (und ein zweiter wg. der 'Rotation') weiterhin genügend 'Tragezeit' bekommt, könnte Dieter natürlich auch gleich zu einem geeigneten 'Fahrerservice' wechseln und sich entsprechend kleiden...
 
Nun sind mir Sport- und Musikgeschmack anderer Menschen schnurzpiepegal, während sie mir den Anblick ihres lieblosen Kleidungsstils leider tagtäglich unter die Nase halten. Zumal wir uns in dieser "Nische" schlicht dessen bedienen, was vor 50 Jahren ganz normaler gesellschaftlicher Konsens war. Es geht dabei nicht um die Schaffung eines neuen Nerdkults, sondern um die Bewahrung dessen, was einmal war. Und es findet vielfach Anklang bei jungen Leuten, die klassischen Stil sehen und sich freuen. Während Sportautisten und 25KHz-Tonhörer eher ein Stirnrunzeln ernten (und das sage ich als Musiker).

Die Sportautisten würden argumentieren, dass ihnen Kleidungs- und Musikgeschmack schnurzpiepegal sind, während es ihnen nicht egal ist, dass sie per Sozialversicherungsbeiträge die Pflegedienste derjenigen Kleidungsautisten zahlen müssen, die nichts dafür getan haben, dass sie so lange wie möglich diese Dienste nicht in Anspruch nehmen müssen, weil sie sich lieber mit Klamotten beschäftigt haben.

Obwohl ich es unsinnig finde - das ist ja die Kernaussage meines posts - gegenseitige Interessen auszuspielen, finde ich diesen Grund mindestens genauso gewichtig als das verletzte ästhetische Empfinden.

Deine Aussage, dass etwas einmal Konsens war und du ihn bewahren möchtest, zeigt ja sehr gut, dass wir bei unseren Hobbys meist keine allgemeingültigen sachlichen Begründungen haben.
 
Deine Aussage, dass etwas einmal Konsens war und du ihn bewahren möchtest, zeigt ja sehr gut, dass wir bei unseren Hobbys meist keine allgemeingültigen sachlichen Begründungen haben.
Das ist gar nicht das Problem. Wir haben schlicht keine allgemeingültige sachliche Alternative des gleichen Komplexitätsgrads. Deswegen behalten wir, was wir haben.

Was ja auch nicht ganz stimmt: Das, was wir hier im Forum tragen, ist ja von diversen neueren Subkulturmoden beeinflusst und deswegen auch längst nicht mehr das, was Opa Egon anno dazumal trug. Es ist unsere durchdachte zeitgenössische Interpretation einer seit über 100 Jahren eben dadurch jung gebliebenen Kleidungsform.
 
"Das ist gar nicht das Problem. Wir haben schlicht keine allgemeingültige sachliche Alternative des gleichen Komplexitätsgrads. Deswegen behalten wir, was wir haben." ...oder auch nicht. :)

Es ist ja der Punkt, dass sehr viel bei Kleidung, aber eben auch bei anderen Hobbies nicht allgemeingültig sachlich begründet werden kann. Weder etwas, dass seit 50, 100 oder sonstwie Jahren sich (vermeintlich) nicht verändert - oder wie du selbst im zweiten Absatz sagst - doch verändert hat.

Um das klarzustellen: Ich finde es völlig in Ordnung, wenn Leute in ihren Hobbys aus irgendwelchen nicht-sachlich begründbaren Motiven Dinge bewahren oder ausüben wollen. Mein Punkt ist, dass man sich ab und zu gewahr werden sollte, dass es eben oft subjektive Anschauungen sind, nach denen man andere nicht objektiv richten kann und sollte.

Ich kenne das eben von anderen Bereichen, dass es sehr schwierig ist, sich diese Subjektivität einzugestehen. Deshalb das Beispiel von oben mit Sport und HiFi, das von deren Anhängern gegenüber uns hier exakt so formuliert werden würde - mit genauso wenig Berechtigung wie unsere Urteile hinsichtlich Kleidung gegenüber anderen.

Möge es der ein oder andere als Denkanstoß sehen, sich die Fähigkeit zu dieser Perspektive zu bewahren. Und die anderen dürfen meinetwegen gerne überzeugt von der Allgemeingültikeit ihrer Haltung weiterwandeln - ich kann ja auch nicht alle im Sport- und HiFi-Forum von der Subjektivität deren Sichtweise überzeugen (und für einen schönen Kleidungsstil werben). :)
 
Das ist mir ein bisschen zu schwarz-weiß. Klar gibt es (angebliche) 25khz Hörer, die der Meinung sind, dass Lautsprecher unter dem Preis eines Kleinwagens nichts taugen können, außerhalb dieser Gruppe ist es jetzt aber auch nicht so, dass jeder Musik auf dem Smartphone Lautsprecher super findet. Gleiches gilt für Fitness-Fanatiker, die jemanden der "nur" zweimal die Woche joggt als Couch-Potato eingruppieren, es ja aber auch wirkliche Couch-Potatos gibt.

Die Alternativen sind ja auch nicht Black Tie oder Blaumann. Ich persönlich finde es auch nicht nötig oder erstrebenswert, dass der Taxifahrer einen Smoking kauft (auch wenn's ihm zum Schnäppchenpreis gäbe). Sich aber für u.a. solche Anlässe irgendwie einen blauen Blazer zu kaufen und mit Hemd und vernünftig gebügelter Chino anzuziehen, erfordert auch noch keine religiöse Liebe zu klassischer Kleidung. Oder mal anders gesagt: Jeans, T-Shirt und Jack Wolfskin-Jacke sollten nicht die einzigen Elemente einer Garderobe sein.
 
Da stimme ich völlig zu - mein Punkt ist aber wie ich mehrmals versucht habe zu beschreiben ein anderer.

Die Konsequenz der Erkenntnis, dass es wenig sachlich objektive Kriterein für gute Kleidung - aber einen großen Teil historisch (obsoleter) Konventionen gibt, ist übrigens meiner Ansicht nach eine recht erfreuliche: Man konzentriert sich mehr auf ästhetisch (oft sogar objektiv begründbare) Ziele und kann sich an einem breiteren Repertoire erfreuen.

Beispiel Hochzeiten: Man kann sehr gut erklären, warum Morning Dress und Black Tie schön sind - aber auch ein dunkelblauer Anzug nicht nur mit schwarzen, sondern auch mit dunkelbraunen Schuhen. Weil es in allen Fällen ästhetische Begründungen gibt - man sich aber gleichzeitig bewusst ist, dass das no-go brauner Schuhe keine solche hat.

Man kann mMn da auch einen kulturellen Unterschied erkennen: Ein Bekannter, der in London lebte, erzählte, dass viele Engländer mit ihrer Kleidung einfach nur eine Konvention erfüllen wollen - da kommt dann eine scheußliche Krawatte zum ebensolchen Anzug und nur schwarze Schuhe, weil... Konvention eben: No brown in town usw.. Während in Italien jeder braune Schuhe zum blauen Anzug kombiniert, weil das eben eine schöne Farbkombination ist.

Da freue ich mich, dass trotz aller Beteuerungen, einen "klassischen englischen Stil der Herrenmode" zu verfolgen, im WTIH-thread viel Bella Italia zu sehen ist.
 
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