Was also ist guter Stil?

Ich denke nicht, dass die Kultur einen Wohlfühleffekt benötigt. Schläfert sowas nicht eher ein? Als Gegenbeispiel würde ich den intellektuellen Teil der Solidarnosc im tristen, grauen Polen anführen.
Gerade Abscheu und triste, trostlose Umgebung fordert doch heraus, den Umbruch herbeizuführen?
China? Russland? Beliebige Dritte-Welt-Länder, die von kleinen Gruppen beherrscht werden? In den meisten Fällen fördert das meiner Ansicht nach irgendwann auch Resignation. Der überwiegende Teil der Welt ist trist und trostlos, die erste Welt und deren von dort aus kultivierten Erholungsgebiete im Rest der Welt sind die Ausnahmen von der Regel.

Aber ich glaube, man kann auch nicht jedes gesellschaftliche Phänomen mit der Anwesenheit oder Abwesenheit eines guten Anzugs bzw. eines Le-Corbusier- oder Frank-Gehry-Baus erklären. :)
 
China hat immerhin aktuell einen Nobelpreis in Literatur iirc, wenngleich vielleicht Politik da eine Rolle mit hineingespielt hat.
Dostojewski kam ja auch von ganz unten.

Ist Kunst nicht produktiver, je aussichtsloser etwas erscheint? Eine zufriedene, fette Gesellschaft habe ich nicht als Ausgangspunkt sämtlicher oder der meist überwiegenden Inspirationen im Kopf. Vieles entstand ja auch aus der Not heraus. Natürlich erleichtert Freiheit (der Finanzierung und des Denkens) vieles, aber waren nicht sämtliche Impressionisten, Dadaisten, expressionisten und wie sie alle genannt werden bettelarm?

Oder britische Subkulturen mit ihren heute noch vorhandenen Einflüssen, gerade punk, entstand in tristen Arbeitersiedlungen durch perspektivlose Kids, ebenso wie ein paar Jahre früher in New York. Die schrille reiche Tante war damals nur ein Katalysator.

Eine angenehme Atmosphäre, vielleicht auch optisch hervorragend, kann Inspiration sein, ablenken und herausfordern. Das Gegenteil aber auch.
 
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Ich glaube, wir sind hier dabei, einem netten Hobby eine viel zu schwergewichtige Social Message aufzudrücken. Wenn ich mir einen Anzug mit Krawatte anziehe (also quasi immer in einer urbanen Öffentlichkeit), dann tue ich das nicht, weil ich mich moralisch/bürgerlich dazu verpflichtet (und entsprechend auch moralisch überlegen den ungewaschenen Massen gegenüber) fühle, sondern weil mir das Spaß macht und das meinem Sinn für eigene Ästhetik entspricht. Ein Anzug macht noch keine Umgangsform, er kann, wenn er allein auf weiter Flur steht, auch als Protestzeichen des Reaktionären missverstanden werden. Und umgekehrt sind viele öffentliche Anzugträger im politischen und beruflichen Leben nicht gerade ein Beispiel für moralische (oder auch nur ästhetische) Überlegenheit.

Ich würde mir wünschen, dass das sichtbare Sich-Mühe-Geben bei sartorialer Kleidung auch an das Bessere im Menschen beim Träger und beim Betrachter appelliert. Aber das ist für mich eher eine sekundäre Erwägung. Ich denke, dass ein kleidungs- und Architektur bezogen (das halte ich für einen elementaren Zusammenhang) ästhetischeres Stadtbild eine kreativere und positivere Erlebniswelt für alle Beteiligten schaffen würde und das ist doch ein erreichbareres erstrebenswertes Ziel ohne allzu wertebehafteten Ballast. Ein "Gentleman" ist man nicht durch Tragen eines Anzuges und durch Tragen von Jeans und T-Shirt wird man es nicht weniger.

Stimmt wohl. Aber: siehe chapism in England. Das ist, typisch Englisch, skurril und spaßig, hat aber auch seine "anarcho-dandyistische Seite."
 
Ist Kunst nicht produktiver, je aussichtsloser etwas erscheint?
Ich glaube, das ist ein ebenso romantischer wie dekadenter Gedanke aus der Perspektive des Satten. ;) Wenn man mal die alten Meister in den Museen sieht, war da wenig möglich ohne den Reichtum der jeweiligen Mäzene.

Von daher hänge ich schon der These an, dass das Zufriedene, Fette in einer Gesellschaft erst die Grundlage dafür legt, dass es so etwas wie hauptberufliche Kunst als größeres gesellschaftliches Phänomen abseits einiger interessierter Einzelpersonen geben kann. Aber ich glaube, das führt uns vom Ursprungsthema schon etwas weg.

Oder britische Subkulturen mit ihren heute noch vorhandenen Einflüssen, gerade punk, entstand in tristen Arbeitersiedlungen durch perspektivlose Kids, ebenso wie ein paar Jahre früher in New York. Die schrille reiche Tante war damals nur ein Katalysator.
Ja, aber war das kreativ oder nur ein zufällig gesellschaftlich wahrgenommenes (und damit cooles :)) Mittel, um mit der tristen Gegenwart irgendwie zu leben, ohne durchzudrehen? In tristen Siedlungen mit perspektivlosen Kids im Rest der Welt entsteht meist eher Kriminalität und Drogensucht. Wenn man in solchen Umgebungen eine besondere Quelle von Kreativität sieht, ist das nicht unmöglich, geht aber nur mit sehr selektiver Wahrnehmung.

Eine angenehme Atmosphäre, vielleicht auch optisch hervorragend, kann Inspiration sein, ablenken und herausfordern. Das Gegenteil aber auch.
Ich glaube, letzteres inspiriert nur die, die immer inspiriert sind, die die Dinge bewusst aufnehmen, das sind dann die Subkulturen. Ersteres ist für jeden auch auf unterbewusster Ebene erfassbar.

Wie gesagt, ich sehe den öffentlichen Raum nicht als mögliche Brutstätte für Kunst. Das ist wieder so eine bedeutungsschwere Anforderung, die ich nicht mit dem Wunsch nach einer ästhetisch ansprechenden Umgebung verbinden möchte. Das ist für mich ein viel kleineres und universelleres Alltagselement, das jeden in seinem jeweiligen Handeln unterstützen kann. Wird man in einem Zen-Meditationsgarten zwangsläufig zum Kunstschaffenden? Vermutlich genauso viel oder wenig wie auf einer Mülldeponie. :) Aber das negiert ja nicht seine Wirkung auf das Gemüt seiner Besucher, auch wenn man daraus nicht in typisch deutscher Weise zwingend einen in Stückzahlen messbaren Output ableiten kann.
 
Logisch, ohne Mäzene wäre es nicht gelungen. Die haben eine Grundlage geschaffen für diejenigen, die wirklich künstlerisch Schaffende waren.
Aber plakativ formuliert kam oder kommt Kunst von unten - durchaus durch Unterstützung oder (Frei-)Räume von oben. Kunst kann man eben nicht mit Geld erschaffen, es muss irgendwas berühren. Und wenn man damals als kunstschaffender Fürst ein paar Jubelperser um sich hatte, hat die Kunst nicht überdauert.
Gegenbeispiele mag es genug geben, natürlich.
Ich denke aber - als Kunst-Unkenner -, dass wahre Kunst ein Denken voraussetzt, welches eine Vision erfordert, vielleicht den Wunsch nach etwas besseren. Oder den Ausbruch aus der dystopisch gefühlten Arbeitswelt in eine Phantasiewelt. Oder um durch ein Gedicht sich selbst ein Buch zu schreiben und in die Welt einzutauchen wenn man das Geld nict dafür hatte.

Reiche konnten sich das ja leisten, Phantasiewelten mit ihren Angestellten durchzuspielen.
 
Der Unterschied zum Sozialismus: Mindestens genauso brutal und dazu sehen alle scheiße aus!

Der Unterschied ist dass die Brutalität im Kapitalismus systemimmanent angelegt ist und im Sozialismus nur in der Umsetzung auftritt.

Womit wir wieder bei der Frage sind welche Rolle die Motivation spielt wenn das Ergebnis identisch ist. :)
 
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