Sich traditionell "deutsch" kleiden

Zunächst einmal: C&A ist ein niederländisches Unternehmen und hat erst in Deutschland, als wichtigsten Auslandsmarkt, "gelernt", billige Kleidung zu ,achten, um mit den zahlreichen Discounter Angeboten Schritt zu halten.

In Deutschland ist das Problem zudem weniger, ob sich ein Mann gute Kleidung leisten kann, sondern ob er sie sich leisten will. Hunderte von Eurosatory werden für Scheußlichkeiten von LaMartina ausgegeben oder für hippe Sneaker, die keinen Schuss Pulver wert sind. Von Verschuldung bis zur Insolvenz für Handys, Unterhaltungselektronik oder Autos ganz zu schweigen. Am Stammtisch kann man mit PS und Automarke immer noch besser Punkten als mit rahmengenähten Schuhen.

Waren die 20-30er Jahre der Höhepunkt der Eleganz, würde den Deutschen nach dem Krieg nachhaltig alles extravagante, modische zugunsten des ingenieurslooks ausgetrieben. Guter Kleidung haftet etwas dekadentes, geckenhaftes, ja fast schon unseriöses, an. Ganz zu schweigen von dem innigen Bestreben des deutschen Michels, bloß nicht aufzufallen.

Was wir heute als klassische Herrenmode bezeichnen kommt zu 90% aus dem Britannien der 20-30er Jahre und hat sich seitdem nicht mehr groß verändert. Die Italiener haben es dann variiert, leichtere Stoffe und Farbe dazu getan.
Ich wage zu behaupten, heute kann so gut wie keiner einen Unterschied eines dunkelblauen Anzugs von der Stange erkennen, gleich ob er von Regent, Chester Barrie oder Brioni ist.

Einen deutschen Stil zu finden wird schon aus dem Grunde schwerfallen, weil es kaum noch deutsche Hersteller gibt. Und die meisten imitieren dann die bekannten Vorbilder aus Italien und England.

Den deutschen Technokratenstil kann man mit jeder Marke abbilden. Man sollte keinen Geschmack haben, zumindest keinen guten, und möglichst günstig kaufen, dann fällt man in der UBahn zwischen Sparkassen Kassierer und Buchhalter nicht auf. Oder man kauft den Krempel in glänzend mit spitzen Schuhen und gehört zur Gruppe der jungen, dynamischen.

Ob das erstrebenswert ist?
 
Regent ist eine Nachkriegserfindung. Ganz gut wird es auch hier auf den Punkt gebracht:

http://www2.klett.de/sixcms/media.php/229/29260X-6201.pdf

Dominierend waren lange Zeit die Engländer. Regional gab es auch in Deutschland Zentren der Textilindustrie, diese stellten später auf Kunstfasern um und gingen nach dem Krieg an den Osten verloren oder kaputt.

Eine andere Frage wäre natürlich, ob es einen deutschen Kleidungsstil gegeben haben könnte, der nicht zwangsläufig mit in Deutschland hergestellten Produkten verbunden war.
 
Stört das? Vielleicht brauchen wir ja einen Zeitraum für "traditionell" (sonst komme ich am Ende noch mit Mamutfelllendenschurz an ;) ). Und selbst wenn ist es ja durchaus denkbar dass eine im 21. Jhd. erfundene Firma einen traditionellen Stil aufnimmt.

Ja, die Frage ist natürlich entscheidend. Und die Frage, ob es überhaupt ein traditioneller Kleidungsstil sein soll. Die bisherigen Ausführungen des Eröffners legen allerdings nahe, dass er einen historischen Bezug in seiner Kleidung wiederfinden will. Ob ihm die 1950er Jahre genügen?

Noch ein beispielhafter Artikel von 1961 über das, was damals mit den Textilbetrieben in Deutschland geschah: Aufgrund der Vollbeschäftigung und sinkender Umsätze schrumpften sie davon oder stellten die Produktion um - auf Fußböden, Plastikfolien, Elektroprodukte oder Kunststoff.

http://www.zeit.de/1961/09/die-textilindustrie-veraendert-ihr-gesicht

Ist es Zufall, dass deutscher Bekleidungsstil heutzutage stark an diese Wirtschaftszweige erinnert? ;)
 
1. Wir reden doch von guter Kleidung. Daher reden wir nur von ca. 0,1 % der Bevölkerung. Das betrifft aber nicht nur auf D, sondern auch auf Italien und England zu. Auch dort laufen nicht alle in teuren Anzügen herum, auch wenn das scheinbar viele glauben. Auch dort werden zu große, zu lange Stücke von der Stange getragen, Turnschuhe, Funktionsjacken, Gürteltaschen und Ban-T-Shirts. Vielleicht heißen die Marken dort anders, es kommt aber im ERgebnis aufs gleiche hinaus.

2. Es kann eigentlich nur um die Nachkriegszeit gehen, die natürlich auch von dem beeinflusst ist, was während und vor dem Krieg geschehen ist. Auch der italienisch Stil wie man ihn heute kennt und liebt hat sich erst in der Nachkriegszeit und weit danach entwickelt, maßgeblich durch Giorgio Armani. Vorher waren die italienischen Schneider doch eher preiswerte Kopisten englischer Mode (Rubinacci = London House z.B.). Zu meiner Schulzeit galt Italien noch fast als Entwicklungsland.

3. Wenn man Modestile verschiedener Länder vergleichen will kann, es heutzutage nicht darauf ankommen wo die Teile gefertigt werden, sondern was gerne getragen wird und im jeweiligen Land innerhalb der kleinen Gruppe der Betroffenen anerkannt ist.

4. Was anerkannt bzw. beliebt ist oder eben nicht, hat u.a. klimatische, religiöse, politische und gesellschaftliche Gründe.

- Klimatisch: je weiter südlich desto eitler, leichter und lockerer, Ausnahme USA, völlig uneitel, weil protestantisch geprägt, siehe später. Je weiter nördlich, desto introvertierter und sparsamer.

- Religiös: katholisch: Eitelkeit und Verschwendung sowie Pomp und Genuss nicht abgeneigt, protestantisch: jede Form von Eitelkeit und Prunksucht ist verpönt, Geist steht über dem Körperlichen, Kleidung muss praktisch und langlebig sein. Dazu ist zu sagen, dass Großbritannien eigentlich katholisch ist, nur das die keinen Papst haben, sondern die Königin. Trotzdem ist dort ein protestantischer Einfluss zu spüren, weil Sparsamkeit durchaus durch die nördliche Lage und den deutsch geprägten Adel nicht unbekannt ist. So ist imo der typische britische Stil zu erklären.

- Gesellschaftlich: innerhalb Deutschlands war der südliche Teil eher ländlich geprägt, der nördliche Teil eher militätisch/beamtlich/industriell.

- politisch: Wenn wir von Deutschland reden, gibt es eigentlich mindestens 3 prägende Länder. Den katholischen ländlichen Süden, also vor allem Bayern und Österreich, da ist man durchaus schon etwas eitler und dem Pomp nicht abgeneigt, vor allem aber ist man das stolz auf seine Tracht und kann schon man Loden oder Janker tragen.
Dann den protstantische Norden. Preußen, der hatte in der Nachkriegszeit modisch am meißten zu leiden. Erstens durch die Sozialisten, zweitens durch die Tatsache, dass nach dem Krieg Uniformen verpönt waren. Die Zivilkleidung orientierte sich imo eher nach England, nur, dass Farben und Muster eher Dezent waren.
Insgesamt ist aber zu beobachten, dass Deutsche allgemein, also von Österreich bis Schleswig Holstein nach dem Krieg alle noch zurückhaltender waren (auch modisch) und sind, was sich langsam auflöst.

Und so erklärt sich der von mir behauptete typisch deutsche Stil.

Der Stresemann ist ein gutes Beispiel für deutschen Stil (leider nicht mehr von heute). Praktisch, sparsam (die einzelnen Teile sind austauschbar), optisch zurückhaltend.

Ein Wort zum Adel: der ist eine schwierige Vergleichsgruppe, weil doch europäisch sehr vernetzt und daher auch nicht so stark unterschiedlich in verschiedenen Ländern Europas.
 
Deutsche sind in der Regel ausgezeichnet gekleidet, was weniger an der gewählten Bekleidung liegt als am Alkohol. Dies trifft, der Gerechtigkeit wegen muss es gesagt werden, selbstverständlich ebenso für den gemeinen Engländer oder Amerikaner zu, weniger allerdings auf den Italiener.
 
Im „Journal of Psychology“ berichteten französische Forscher darüber, dass sie Barbesucher zu ihrer Attraktivität befragten. Neben der Umfrage wurde der Alkoholspiegel gemessen. Das Ergebnis: Je höher dieser war, desto höher schätzten die Probanden ihre Attraktivität ein. Nun könnte man meinen, dies findet seine Ursache in der dem Alkohol inhärenten Rauschwirkung, da damit eine Eintrübung der Wahrnehmung einher geht, aber weit gefehlt.
 
Mir ist die Fragestellung nicht ganz klar bzw. es werden hier mMn zwei unterschiedliche Fragen diskutiert:

1) wie sieht typisch deutsche Bekleidung tatsächlich heute aus; gewissermaßen der Durchschnitt

2) was zeichnet Bekleidung in Deutschland charakteristisch aus, wie hebt sie sich von den Eigenheiten anderer Länder ab.

Frage 1 finde ich uninteressant, auf Frage 2 weiß ich keine Antwort. :D
 
Da ist man mal zwei Tage dienstlich unterwegs und kann sich erst so spät in ein Thema einklingen. :(

Es gibt m.E. nur drei klar erkennbare Stile westlicher (Herren-)Kleidung: den britischen, den italienischen und (mit Abstrichen) den amerikanischen. Einen deutschen Kleidungsstil gibt es so viel oder so wenig wie einen französischen, niederländischen, polnischen oder spanischen. In allen Ländern gibt es Besonderheiten, aber keinen übergreifenden Stil der Kleidung. Man orientiert sich halt stärker nach GB oder Italien, je nach Geschmack.

Wenn man seine deutsche Herkunft nicht verleugnen will, so kann man durchaus einige regionaltypische Bestandteile des Kleidungsstils wählen. Im Winter muss es kein British Warm Overcoat sein, es darf auch Loden sein. Allerdings ist dies weniger "deutsch" als "alpin". In den Hansestädten orientiert man sich seit dem 18. oder 19. Jahrhundert an England. Man darf aber auf den Trilby verzichten und auch mal einen Elbsegler oder Prinzen Heinrich wählen.

Die Pointe ist, als historisch stark föderaler Staat zeigen sich in Deutschland in Bezug auf die Kleidung eher regionale als gesamtstaatliche Besonderheiten und Gemeinsamkeiten

Nun frage ich mich: Was soll ich tragen, um meine hessische Identität zu beweisen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Von innen heraus ist man ja meist betriebsblind, da helfen externe Meinungen. Also, hören wir uns doch im Ausland um. Ein US-Amerikaner muss bei "traditionelle, typisch deutsche Kleidung" gar nicht lange überlegen: Wadenwärmer, Krachlederne, kariertes Hemd, Seppelhut.

Damit wäre also auch dieses Thema geklärt, Strang kann zu. :D
 
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