Da, wie schon ausgeführt wurde, das Thema "guter deutscher Kleidungsstil" nicht exakt zu greifen ist, würde ich zunächst mal nachfragen, was Du darunter verstehst. Du hast doch sicher Bilder dazu im Kopf, kannst Du vielleicht mal ein paar Bilder aus dem Netz, die dem entsprechen, hier verlinken?Ich bin etwa 45, und was ich suche sind Hinweise auf Beispiele guten deutschen Kleidungsstils. Darunter verstehe ich: etwas konservativer, aber nicht sackig; ehrliche und solide Material- und Verarbeitungsqualität; keine Wucherpreise; lange Haltbarkeit.
Wobei ich meine, daß schwere Stoffe "damals" keine deutsche Besonderheit waren, sondern auch z.B. englische Anzüge aus der ersten Hälfte des 20. Jh. deutlich schwerer waren als heute. Zum einem, da leichte Stoffe damals nicht so gut herzustellen waren, zum anderen wegen schlechterer Heizungsmöglichkeiten. Und für die allermeisten Träger mußte ein Anzug eben auch aus finanziellen Gründen so lange wie möglich halten. Laut Sator im Cutter and Tailor-Forum ist in englischen Fachartikeln aus den 1950ern 12oz als "tropical weight" gehandelt worden.Ich würde aber um einen - sehr wichtigen - Punkt erweitern.
Um das schwierige Wort "traditionell" zu vermeiden, würde ich sagen, dass die "ursprüngliche" deutsche Bekleidung - zu all den von Bartholomäus genannten Punkten - vor allem aus dicht gewebten, schweren und steifen Stoffen gefertigt wurde.
Ob diese Steifheit + Langlebigkeit gewollt war oder nur aus Mangel an alternativem Material und technischen Möglichkeiten entstanden ist, kann ich nicht sagen.
Hatten wir ein solches Thema nicht schonmal - zumindest in sehr ähnlicher Form?
Ich meine das wäre seinerzeit eskaliert[emoji33]
Interessante Frage und ich bin gespannt, ob hier eine verwertbare Antwort entstehen wird. Ich glaube, nein. Um Dir bei Deiner Frage weiterzuhelfen, versuche ich mal folgende Herleitung:
Eigenschaften der Herrenkleidung wurden in der Vergangenheit durch viele Faktoren beeinflusst. Darunter:
- Berufsspezifische und pragmatische Anforderungen, z.B. Shooting Jackets in England
- Militär, z.B. der Trenchcoat, bzw. lokal verbreitete Landtrachten
- Wetter, z.B. Brogue-Löcher in englischen Landschuhen, Wachsjacken
- Handel mit bestimmten Regionen, dadurch die Verfügbarkeit von Stoffen, z.B. Seidenstoffe in Italien und England / Indien
- Industrialisierung, dadurch die Rationalisierung vieler Arbeitsgänge in der Herstellung
Deutschland war lange ein Flickenteppich, weite Teile des Landes lebten von der Produktion / der Landwirtschaft (und nicht vom Handel), das Militär hatte einen hohen Stellenwert, all das wurde außerdem durch zwei misslungene Weltkriege und eine Neuordnung der Gebiete unter verschieden Regierungsformen und die Wanderung von Flüchtlingen quer durch das Land durcheinander gebracht. Das Wirtschaftswachstum brachte reichlich Fernweh inklusive einer Vergötterung jeglicher Importware (die Welt bewundert die Qualität von Made in Germany, die Deutschen hingegen bewundern die Leichtigkeit fast aller anderen Länder).
Meine These: Dadurch konnte kein Bekleidungsstil entstehen, der über die zufällige Zusammenstellung einiger Stücke hinaus geht, die man sich woanders abgeguckt (und dann für den Weltmarkt rationell hergestellt) hat. Auch wenn es bis 1945 regional übliche Kleidungsstile gegeben haben wird, haben sich diese mit den Ereignissen nach 1945 und dem Wirtschaftswunder aufgelöst. Was bleibt, ist ein wenig Tracht hier und dort für Folkloreveranstaltungen und sehr, sehr viel solide, qualitativ "makellose", aber wenig eigenen Stil entwickelnde Industrieware.
Einen deutschen Bekleidungsstil, der auf Augenhöhe mit dem anderer Länder steht und auch von Fremden als ein solcher bezeichnet oder verstanden wird, wirst Du deshalb nicht finden.
Andere Meinungen?
Vielleicht am ehesten an einen nicht ausstaffiert aussehenden Anzug oder eine Kombination aus deutscher Fertigung, den ein mittel bis gut verdienender Bürger oder Beamter trägt, nicht weil er muss, sondern weil er will, weil er sich selbst in seiner Kleidung widergespiegelt sehen will.
Nein. "Mittel bis gut verdienend" und "Kleidung aus deutscher Produktion" schließen sich ziemlich aus, wenn Kleidung nicht Lebensmittelpunkt ist.
Was bedeuten würde, ein gut Verdienender könnte sich keinen guten Anzug z.B. von Regent leisten?
Rechne für einen Regentanzug mal 2.000€. Jetzt weiß ich nicht wo Du "gut verdienend" ansetzt ("mittel" ist wohl schon aus dem Rennen, was?), aber das ist eine Größenordnung die dann recht oft Thema von Priorisierung wird. "Wohnen, Essen, Auto, Versicherungen, Kinder - muss es Regent sein, oder tut fürs Büro auch Boss, denn dann könnten wir im Urlaub auch verreisen?"