JOG
Member
Du meinst ohne den von mir zitierten Unsinn?
Und bezüglich eines voraussehbaren "aber die Revolution war doch Voraussetzung": das war die Erfindung des Feuers auch.
Das ist genau deswegen voraussehbar, weil es das entscheidende Argument ist.
Wie oben erwähnt wäre so etwas wie Hitler im Deutschland Kaiser Wilhelms (oder eines anderen mehr oder weniger klassischen Monarchen) nicht möglich gewesen, weil das Konzept der "Volksgemeinschaft" einer aristokratischen Gesellschaft komplett fremd ist.
"Volksgemeinschaft" bedeutet, dass innerhalb eines einzelnen Volkes alle komplett gleiche "Volksgenossen" sind und da ist kein Platz für einen Adel, der gegenüber dem Rest explizit privilegiert ist. Der Nationalsozialismus war eine explizit anti-monarchistische und anti-aristokratische Bewegung, wie man auch schon daran sieht, dass große Teile der Partei (unter anderem Goebbels) den Adel komplett enteignen lassen wollten.
Auch wenn das heute leider in der Schule nicht mehr gelehrt wird, ist es leicht nachzulesen, dass der Nationalsozialismus von Autoren der 20er und 30er Jahre als ein klassische demokratische Bewegung angesehen wurde.
Jemanden, der damals Nationalsozialisten in irgendeiner Kontinuität zur deutschen Aristokratie und dem Kaiserreich gesehen hätte, findet man hingegen sehr selten und Hitler hat das selbst auch nur aus rein taktischen Gründen (um Sympathien der alten Eliten zu gewinnen) und sehr zögerlich gesagt, weil der Großteil der NSDAP und insbesondere ihrer Führung das strikt abgelehnt hat.
Die heutige Unterteilung, dass Nationalsozialisten "rechts" waren, Kaiser Wilhelm und Bismarck auch irgendwie "rechts" und deshalb beide in die gleiche Gruppe gehören, ist im wesentlichen eine ahistorische Erfindung der Nachkriegszeit, die daran scheitert, dass a) diese Einschätzung von Zeitzeugen nicht geteilt wurde und beide Bewegungen verfeindet waren, b) Hitler sich wörtlich von den "Rechten" abgegrenzt hat, Goebbels sogar die NSDAP als "links" bezeichnet hat und c) die NSDAP mit linken Bewegungen (den Gegnern von Sorels "Obrigeitsstaat" wie der KPD zusammengearbeitet hat und deutlich mehr Gemeinsamkeiten hatte (Vernichtung der "reaktionären Eliten", Antisemitismus ("jüdische Zinsknechtschaft") usw.
Kurz: Im Sinne der klassischen Definition der Begriffe waren Wilhelm und Bismarck damals wie heute "rechts", Hitler aber eher linksextrem und die Annahme einer Kontinuität ist ähnlich sinnvoll wie die zwischen Stalin und Mutter Theresa.
Die komplette Umdefinition der Begriffe, nach denen dann Konservative und Nationalsozialisten hauchdünn nebeneinander stehen und Letztere mit Linken nichts zu tun haben , dürfte im Wesentlichen ein Produkt der akademischen Revolten der 68er Bewegung sein und auch auf ähnlichem Niveau wie deren andere Faschismustheorien - (ch verweise nur mal auf Wilhelm Reich und das Orgon....
Und da können wir auch gerne wieder den Bogen zum Threadthema schlagen. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der neben Alt-68ern nur Leute Einfluss auf die Mehrheitsmeinung haben, die von diesen jahrelang in 68er Denken geschult wurden.
Mit diesem Denken ist klassische Kleidung auf keinen Fall vereinbar, wie man es auch dreht und wendet.
Dresscodes oder auch nur minimale Vorgaben für das persönliche Erscheinungsbild sind automatisch "repressiv" - wie sonst liesse sich erklären, dass die Medien zusammen mit Eltern und Lehrern in westlichen Ländern immer wieder sehr effektive Kampagnen gegen Schulen durchführen, die kurze Hosen, Unterhemden oder bauchfreie Kleidung im Unterricht untersagen wollen? Jeder muss mit jeder Verhaltensweise zu jeder Zeit "toleriert" werden. Das könnte aber sicher proteus viel eloquenter ausführen als ich.
Viele Nutzer hier sagen gerne, sie seien sehr tolerant und würden deswegen erwarten, dass andere auch ihre Vorliebe für Anzüge tolerieren . Aber der Witz ist, dass das komplett dem Konzept von "Toleranz" in der westlichen Welt widersprechen würde. Die moderne Definition dieses Worts stammt nämlich auch von den 68ern. So liest man etwa bei Herbert Marcuse - noch heute von vielen Dozenten umschwärmt -, dass "Toleranz" nur heißt, dass man Dinge tun darf, die nicht "repressiv" sind. Als Beispiel gibt er an, dass es etwa erlaubt sein sollte, mehr Sozialstaat zu fordern, während gegenteilige Meinungsäusserungen verboten werden sollten, weil sie zu weniger "sozialer Gerechtigkeit" führen.
Und jetzt kann man das eben auch schnell auf die klassische Kleidung übertragen. Wann hat man das letzte Mal im großen Stil dauernd Anzug getragen? In den 50ern. Und an wen erinnert entsprechend jemand, der das immernoch macht. Genau, an die 50er. Und warum sollte jemand das machen, wenn er nicht dieses Signal aussenden wollte? Es gibt Millionen möglicher Bekleidungsstücke und er sucht sich dann ausgerechnet das aus, was uns an die Zeit der Unterdrückung und Ungleichheit erinnert. Das muss er absichtlich machen! Entspr
Deswegen sieht man Anzüge heute auch nur noch bei Berufsgruppen, die dem durchschnittlichen Bürger als fremd erscheinen (BWLer, Juristen, Politiker) und zu denen es eigentlich keine mir bekannten positiven Stereotypen gibt. Davon abgesehen gibt es noch ein paar Anlässe, zu denen man auch selbst Anzug trägt, aber die sind auch in ihrer förmlichen bzw. teilweise zeremoniellen Natur komplett von der täglichen Lebenswirklichkeit des Durchschnittsbürgers abgehoben (Hochzeiten, Bälle usw). Ich bin Akademiker und kenne viele, die keinen Anzug besitzen.
Selbst, wenn man denn einer der genannten Berufsgruppen angehört oder leider Gottes doch mal zu einem der genannten Anlässe muss, kommt man auch gerne mal mit Sneakers oder Sandalen zum Anzug , läuft mit einem locker sitzenden Krawattenknoten rum oder tut sonst etwas, um seine "Individualität" gegenüber den ganzen uniformierten Robotern auszudrücken und klarzustellen, dass man nur durch die repressiven Bedingungen in diese unangenehme Situation gebracht wurde.
Auch wenn hier im Forum das ästhetische Niveau glücklichweise sehr hoch ist und man nicht behaupten kann, dass die meisten hier ungern Anzüge tragen, sieht man doch das unterschwellige Signal oft heraus - maximal weiche Schultern (auf keinen Fall Schulterpolster), Krawatten sollten eher unkonventionell sein (Leinen, Shantung, Strick, Wolle), viel Muster, braune statt schwarzen Schuhen -, alles sollte möglichst locker und cool aussehen und auf keinen Fall so, dass man dem "Typus Anzugträger" entspricht.
Wie gesagt kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen, aber man muss diese Betrachtung anstellen, um den Gesamtmechanismus zu verstehen.