Ist schicke Kleidung out bei der Masse der Menschen ?

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Nicht offen für weitere Antworten.
Du meinst ohne den von mir zitierten Unsinn?

Und bezüglich eines voraussehbaren "aber die Revolution war doch Voraussetzung": das war die Erfindung des Feuers auch.

Das ist genau deswegen voraussehbar, weil es das entscheidende Argument ist. ;)

Wie oben erwähnt wäre so etwas wie Hitler im Deutschland Kaiser Wilhelms (oder eines anderen mehr oder weniger klassischen Monarchen) nicht möglich gewesen, weil das Konzept der "Volksgemeinschaft" einer aristokratischen Gesellschaft komplett fremd ist.
"Volksgemeinschaft" bedeutet, dass innerhalb eines einzelnen Volkes alle komplett gleiche "Volksgenossen" sind und da ist kein Platz für einen Adel, der gegenüber dem Rest explizit privilegiert ist. Der Nationalsozialismus war eine explizit anti-monarchistische und anti-aristokratische Bewegung, wie man auch schon daran sieht, dass große Teile der Partei (unter anderem Goebbels) den Adel komplett enteignen lassen wollten.

Auch wenn das heute leider in der Schule nicht mehr gelehrt wird, ist es leicht nachzulesen, dass der Nationalsozialismus von Autoren der 20er und 30er Jahre als ein klassische demokratische Bewegung angesehen wurde.

Jemanden, der damals Nationalsozialisten in irgendeiner Kontinuität zur deutschen Aristokratie und dem Kaiserreich gesehen hätte, findet man hingegen sehr selten und Hitler hat das selbst auch nur aus rein taktischen Gründen (um Sympathien der alten Eliten zu gewinnen) und sehr zögerlich gesagt, weil der Großteil der NSDAP und insbesondere ihrer Führung das strikt abgelehnt hat.

Die heutige Unterteilung, dass Nationalsozialisten "rechts" waren, Kaiser Wilhelm und Bismarck auch irgendwie "rechts" und deshalb beide in die gleiche Gruppe gehören, ist im wesentlichen eine ahistorische Erfindung der Nachkriegszeit, die daran scheitert, dass a) diese Einschätzung von Zeitzeugen nicht geteilt wurde und beide Bewegungen verfeindet waren, b) Hitler sich wörtlich von den "Rechten" abgegrenzt hat, Goebbels sogar die NSDAP als "links" bezeichnet hat und c) die NSDAP mit linken Bewegungen (den Gegnern von Sorels "Obrigeitsstaat" wie der KPD zusammengearbeitet hat und deutlich mehr Gemeinsamkeiten hatte (Vernichtung der "reaktionären Eliten", Antisemitismus ("jüdische Zinsknechtschaft") usw.

Kurz: Im Sinne der klassischen Definition der Begriffe waren Wilhelm und Bismarck damals wie heute "rechts", Hitler aber eher linksextrem und die Annahme einer Kontinuität ist ähnlich sinnvoll wie die zwischen Stalin und Mutter Theresa.

Die komplette Umdefinition der Begriffe, nach denen dann Konservative und Nationalsozialisten hauchdünn nebeneinander stehen und Letztere mit Linken nichts zu tun haben , dürfte im Wesentlichen ein Produkt der akademischen Revolten der 68er Bewegung sein und auch auf ähnlichem Niveau wie deren andere Faschismustheorien - (ch verweise nur mal auf Wilhelm Reich und das Orgon....

Und da können wir auch gerne wieder den Bogen zum Threadthema schlagen. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der neben Alt-68ern nur Leute Einfluss auf die Mehrheitsmeinung haben, die von diesen jahrelang in 68er Denken geschult wurden.

Mit diesem Denken ist klassische Kleidung auf keinen Fall vereinbar, wie man es auch dreht und wendet.

Dresscodes oder auch nur minimale Vorgaben für das persönliche Erscheinungsbild sind automatisch "repressiv" - wie sonst liesse sich erklären, dass die Medien zusammen mit Eltern und Lehrern in westlichen Ländern immer wieder sehr effektive Kampagnen gegen Schulen durchführen, die kurze Hosen, Unterhemden oder bauchfreie Kleidung im Unterricht untersagen wollen? Jeder muss mit jeder Verhaltensweise zu jeder Zeit "toleriert" werden. Das könnte aber sicher proteus viel eloquenter ausführen als ich.

Viele Nutzer hier sagen gerne, sie seien sehr tolerant und würden deswegen erwarten, dass andere auch ihre Vorliebe für Anzüge tolerieren . Aber der Witz ist, dass das komplett dem Konzept von "Toleranz" in der westlichen Welt widersprechen würde. Die moderne Definition dieses Worts stammt nämlich auch von den 68ern. So liest man etwa bei Herbert Marcuse - noch heute von vielen Dozenten umschwärmt -, dass "Toleranz" nur heißt, dass man Dinge tun darf, die nicht "repressiv" sind. Als Beispiel gibt er an, dass es etwa erlaubt sein sollte, mehr Sozialstaat zu fordern, während gegenteilige Meinungsäusserungen verboten werden sollten, weil sie zu weniger "sozialer Gerechtigkeit" führen.

Und jetzt kann man das eben auch schnell auf die klassische Kleidung übertragen. Wann hat man das letzte Mal im großen Stil dauernd Anzug getragen? In den 50ern. Und an wen erinnert entsprechend jemand, der das immernoch macht. Genau, an die 50er. Und warum sollte jemand das machen, wenn er nicht dieses Signal aussenden wollte? Es gibt Millionen möglicher Bekleidungsstücke und er sucht sich dann ausgerechnet das aus, was uns an die Zeit der Unterdrückung und Ungleichheit erinnert. Das muss er absichtlich machen! Entspr

Deswegen sieht man Anzüge heute auch nur noch bei Berufsgruppen, die dem durchschnittlichen Bürger als fremd erscheinen (BWLer, Juristen, Politiker) und zu denen es eigentlich keine mir bekannten positiven Stereotypen gibt. Davon abgesehen gibt es noch ein paar Anlässe, zu denen man auch selbst Anzug trägt, aber die sind auch in ihrer förmlichen bzw. teilweise zeremoniellen Natur komplett von der täglichen Lebenswirklichkeit des Durchschnittsbürgers abgehoben (Hochzeiten, Bälle usw). Ich bin Akademiker und kenne viele, die keinen Anzug besitzen.

Selbst, wenn man denn einer der genannten Berufsgruppen angehört oder leider Gottes doch mal zu einem der genannten Anlässe muss, kommt man auch gerne mal mit Sneakers oder Sandalen zum Anzug , läuft mit einem locker sitzenden Krawattenknoten rum oder tut sonst etwas, um seine "Individualität" gegenüber den ganzen uniformierten Robotern auszudrücken und klarzustellen, dass man nur durch die repressiven Bedingungen in diese unangenehme Situation gebracht wurde.

Auch wenn hier im Forum das ästhetische Niveau glücklichweise sehr hoch ist und man nicht behaupten kann, dass die meisten hier ungern Anzüge tragen, sieht man doch das unterschwellige Signal oft heraus - maximal weiche Schultern (auf keinen Fall Schulterpolster), Krawatten sollten eher unkonventionell sein (Leinen, Shantung, Strick, Wolle), viel Muster, braune statt schwarzen Schuhen -, alles sollte möglichst locker und cool aussehen und auf keinen Fall so, dass man dem "Typus Anzugträger" entspricht.
Wie gesagt kann sich das Ergebnis durchaus sehen lassen, aber man muss diese Betrachtung anstellen, um den Gesamtmechanismus zu verstehen.
 
Tja, da ich gar nicht weiß wo ich anfangen soll lasse ich es. Ich würde Dich eh nicht überzeugen.

Hinweis: Du setzt einen linksextremen Hitler rhetorisch mit Mutter Theresa gleich (Bismarck, Hitler als Paar, gefolgt vom Paar Stalin, Mutter Theresa). Ich unterstelle da Ungeschicklichkeit, nicht Absicht. Solltest Du trotzdem nicht tun.
 
@Ahab
Dazu muss man dann allerdings erst klar definieren, was die Ideologie eines Staates genau ist. Ist es die Weltanschauung, die die aktuellen Machthaber vertreten, die, die die meisten Bürger vertreten oder doch eine ganz Andere?

Das Zitat von Renan ist auch sehr schwammig, da es insbesondere nichts dazu aussagt, ob auch jeder, der möchte, an diesem "gemeinsamen Leben" teilnehmen darf - die Vorraussetzung der "gemeinsamen Vergangenheit" könnte einer möglichen Interpretation zufolge genau dieser Annahme widersprechen, denn mit Zuwanderern hat man nach Definition keine gemeinsame Vergangenheit im engeren Sinne. Auch wäre zu klären, wie viel Einfluss Renan wirklich auf das französische Nationalbewusstsein hatte.

Dass viele Deutsche von napeolonischen Gesetzen nicht so begeistert waren, nachdem dieser Teile Deutschlands länger besetzt gehalten hatte, halte ich für eine natürliche Reaktion, die erstmal mit Nationalismus wenig zu tun hat.

Wir können hier kein ideengeschichtliches Seminar abhalten, aber wenn man Äußerungen "führender Intellektueller", Parlamentsdebatten, Reden von Präsidenten oder Monarchen, Nationaldenkmale etc. vergleichen würde, könnte man durchaus unterschiedliche dominierende Vorstellungen von Nation herausarbeiten. In Frankreich eine staatszentrierte, in Deutschland eine eher ethnische . Das ist auch keine originelle Idee von mir, dazu gibt es viel Literatur. Hinzu kommt, dass das deutsche Nationalgefühl stark mit der Gegnerschaft zu Frankreich verknüpft ist. Weiteres Beispiel gefällig: Sedanstag.

Die alles macht das deutsche Nationalgefühl problematischer als das Frankreichs oder der USA. Dennoch habe ich gegen einen Verfassungspatriotismus im Sinne Dolf Sternbergs nichts einzuwenden -- im Gegenteil.

Wie offen eine Gesellschaft tatsächlich für Zuwanderer ist, spielt dabei keine große Rolle. Tatsächlich stand und steht Deutschland in dieser Hinsicht gar nicht so schlecht da.
 
Die komplette Umdefinition der Begriffe, nach denen dann Konservative und Nationalsozialisten hauchdünn nebeneinander stehen und Letztere mit Linken nichts zu tun haben , dürfte im Wesentlichen ein Produkt der akademischen Revolten der 68er Bewegung sein und auch auf ähnlichem Niveau wie deren andere Faschismustheorien - (ch verweise nur mal auf Wilhelm Reich und das Orgon....
verstehen.

Jetzt werde ich unfreundlich: Das ist Humburg in den 20er und beginnenden 30er Jahren standen Konservative und Nationalsozialisten ganz eng beieinander. Das lässt sich historisch wirklich nicht bestreiten.

Und da können wir auch gerne wieder den Bogen zum Threadthema schlagen. Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der neben Alt-68ern nur Leute Einfluss auf die Mehrheitsmeinung haben, die von diesen jahrelang in 68er Denken geschult wurden.

Mit diesem Denken ist klassische Kleidung auf keinen Fall vereinbar, wie man es auch dreht und wendet.

Endlich wieder das Thema Kleidung. Danke erst einmal dafür. Dennoch halte ich auch diese These für ganz falsch.

1. Anekdote: Vor einer ganzen Reihe von Jahren habe ich im Club Voltaire einen Vortrag von Elmar Altvater gehört. Er trug einen grauen Dreiteiler und rauchte eine dicke Zigarre. An letzterem kann man sehen, wie lange das her sein muss.

2. Man sollte die 68er weder im guten noch im schlechten überschätzen. Sie waren in vielen Hinsichten eher ein Symptom gesellschaftlichen Wandels, als eine Ursache davon. In Hinblick auf Kleidungskonventionen haben schon Existentialisten (schwarzer Rollkragenpullover), Rock n' Roller, Beatniks etc. "abrüstend" gewirkt. Mit und nach 68 hat sich das lediglich verstärkt.

3. Wer heute "anzüglichen" Kleidungsstil mit politisch oder gesellschaftlich konservativen Positionen kurzschließt, ist genauso borniert, wie seine Lehrer, von denen er sich abgrenzen will. Der Kleidungsstil lässt Rückschlüsse auf genau eine Sache zu -- den Kleidungsgeschmack.
 
Ich denke das Thema meiner Urrrfrage wird hier seit ein paar Seiten völlig verfehlt. Kein Wunder das in diesem Land nix vorwärts geht wenn man mit einer Diskussion so vorbei schiessen kann wie Ihr.
Das scheint nur so. Der Zustand, den Du beklagst, liegt ja nur oberflächlich daran, dass viele sartoriale Kleidung in der Freizeit einfach nur blöd finden. Für eine Erkenntnis dieser Qualität bräuchtest Du keinen Thread zu eröffnen. :)

Die gesellschaftliche Rezeption von Kleidung hat halt vielfältige soziale und historische Aspekte, die dann auch schnell zutage treten, wenn man mal zusammen drüber nachdenkt. Ich finde gerade gut, dass es hier möglich ist, über die sozialen Hintergründe auch mal ausufernd zu reden und nicht nur, ob das Sakko besser blau oder grün sein sollte oder welches Tuch man sich in die Brusttasche steckt, damit es hübsch aussieht. ;)
 
Aus welchem gerechtfertigtem Grund?

Belegbare Quellen? :D

Konservativ waren die "Kaisertreuen" und (teils im Gefolge) die Bürgelichen, z.B. in der Zentrumspartei versammelt. Und die waren gewiss nicht nationalsozialistisch.

Du kannst Deine These noch so oft wiederholen: "Getretener Quark wird breit, nicht stark."

Schon einmal etwas von DNVP gehört? Oder von Hugenberg? Das Zentrum war in Teilen konservativ, da aber politischer Katholizismus gerade nicht mit dem Konservatismus, der aus dem Kaiserreich kam, zu verwechseln.

Aber warum gebe ich mich damit eigentlich ab? JOG, Sorel, einige andere und ich haben zunächst freundlich, dann allseits etwas polemischer, aber immer mit Argumenten miteinander gestritten. Ich denke, wir alle können das gut vertragen. Von Dir kommen nur Beschimpfungen. Würdest Du hier nicht regelmäßig gute Outfits posten, ich würde Dich für einen Troll halten. Wer der Schwätzer ist, das sollen die anderen Leser beurteilen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Konservativ waren die "Kaisertreuen" und (teils im Gefolge) die Bürgelichen, z.B. in der Zentrumspartei versammelt. Und die waren gewiss nicht nationalsozialistisch.
Klar, sonst wären sie ja in der NSDAP gewesen. ;) Aber Ahab meint ja nicht, daß sie Nazis gewesen wären, sondern nahe beieinander. Ich würde das, glaube ich, nicht so stark ausdrücken wie Ahab, aber die unguten Verbindungen zwischen Teilen des bürgerlichen rechten Lagers und Nazis in der Gegnerschaft zum Weimarer "System" sind bei allen Unterschieden der Positionen nicht wegzureden (Papen: "Wir haben ihn uns engagiert", Hugenberg etc...). Auch wenn man in Bezug auf die zu errichtende Staatsordnung unterschiedliche Vorstellungen hatte und die Nazis dann auch rechte Gegner beseitigt haben (Schleicher etc...) und später Teile des Widerstands von rechts kamen.
Wörtlich genommen waren die Monarchisten in der Weimarer Zeit ja auch eigentlich keine Konservativen (wollen, daß es bleibt wie's ist) sondern Reaktionäre (wollen's wie's früher war). ;)
 
Ahab hat gesagt.:
Wie offen eine Gesellschaft tatsächlich für Zuwanderer ist, spielt dabei keine große Rolle. Tatsächlich stand und steht Deutschland in dieser Hinsicht gar nicht so schlecht da.
Aus meiner Sicht spielt das schon eine große Rolle, denn wenn "Fremde" generell abgelehnt werden, vertritt man einen nach außen hin abgrenzenden Nationalismus. Wir waren uns ja schon einig, dass man das bei den USA so sehen könnte. Das würde heißen, auch wenn man das nach außen hin anders dargestellt hat. Bei Frankreich weiß ich es nicht im Detail. Nicht-Weiße waren dort aber sicherlich auch eher weniger willkommen, auch wenn sie Voltaire und Rousseau im Schlaf auswendig konnten.

In England fand man andere ethnische Gruppen generell auch nicht so prickelnd und die antideutsche Stimmung war im ersten Weltkrieg so stark ausgeprägt, dass der König seinen Namen ändern musste.

Entscheidend ist für mich aber auch, dass es im wilhelminischen Deutschland keine weitreichende Weltanschauung gab, die die Ausrottung bestimmter Ethnien gefordert hätte. Hier ist also eine Kontinuität vom Nationalismus des 19. Jahrhunderts zu dem des 20. nicht gegeben.
Jetzt werde ich unfreundlich: Das ist Humburg in den 20er und beginnenden 30er Jahren standen Konservative und Nationalsozialisten ganz eng beieinander. Das lässt sich historisch wirklich nicht bestreiten.

Ganz freundlich kann ich antworten: Ne :) Die SA wurde 1932 durch die konservative Regierung unter Brüning mit Zustimmung von Hindenburg verboten, später hatten Hindenburg und von Papen sich dann eigentlich privat geeinigt, das Abenteuer Weimar für gescheitert zu erklären, geordnet zur Monarchie zurückzukehren und die Nazis zu entsorgen, Nur Schleicher wollte nicht mitmachen, weil dieser Personenkreis wegen der ganzen politischen Machtkämpfe und Intrigen vorher völlig zerstritten war.

Stattdessen kam man dann später zu der Lösung, doch eine Regierung mit Hitler zu bilden, um einen Bürgerkrieg zu verhindern, der faktisch drohte, wenn Hitler mit seiner Privatarmee und die Kommunisten, die auch potentiell Millionen mobilisieren konnten, gegen den Staat losgeschlagen hätte, wobei dann auch noch ausgerechnet wurde, dass die Regierung verlieren würde. Das wiederum in einem Land, dass permanent Angst haben musste, von außen angegriffen zu werden (Stichwort: Ruhrbesetzung).

Und selbst hier gilt noch die Einschränkung, dass Papen eigentlich dachte, Hitler "einrahmen" zu können und das sowieso nur für ein hochgradig temporäres Bündnis hielt.

Eine koordinierte Zusammenarbeit über einen längeren Zeitraum oder gar wesentliche ideologische Gemeinsamkeiten hat es hingegen nie gegeben, auch wenn man aus heutiger Sicht wohl die Einrahmungsstrategie für gelinde gesagt suboptimal halten kann.
Papen hat dann aber sogar wenig später eine offene Anti-Hitler Rede gehalten, für die sein Redenschreiber ermordet wurde. Selbst diese einmalige Zusammenarbeit war also in jeglicher Hinsicht widerwillig.

Ahab hat gesagt.:
Vor einer ganzen Reihe von Jahren habe ich im Club Voltaire einen Vortrag von Elmar Altvater gehört. Er trug einen grauen Dreiteiler und rauchte eine dicke Zigarre. An letzterem kann man sehen, wie lange das her sein muss.

Das mit der Zigarre klingt in der Tat recht kurios, Dreiteiler sehe ich aber selbst heute bei älteren Leuten gar nicht so selten (häufig will ich nicht sagen) und auch bei jüngeren manchmal - im ersten Fall allerdings mit Sackanzug und überproportioniertem Windsor, im zweiten Fall mit deutlich sichtbarem Gürtel und runterhängender Krawatte. :)

Ahab hat gesagt.:
Man sollte die 68er weder im guten noch im schlechten überschätzen. Sie waren in vielen Hinsichten eher ein Symptom gesellschaftlichen Wandels, als eine Ursache davon. In Hinblick auf Kleidungskonventionen haben schon Existentialisten (schwarzer Rollkragenpullover), Rock n' Roller, Beatniks etc. "abrüstend" gewirkt. Mit und nach 68 hat sich das lediglich verstärkt.

Die Frage ist aber, wieviele Existentialisten und Beatniks oder Leute, deren Weltbild davon geprägt ist, es heute noch gibt und inwiefern diese Weltanschauung nicht nur festlegt, dass man nicht selbst Anzug trägt, sondern auch, dass andere dies nicht tun sollten. Ich höre ja selbst hauptsächlich Extreme Metal und war auch mal im Tweed Sakko auf einem Death Metal Konzert - es waren zwar nicht alle begeistert, aber eine richtig offene Abneigung habe ich nur in studentischen Kneipen und im Umgang mit 68ern erfahren. :) Nicht, dass das repräsentativ wäre, aber ich fand es ganz bemerkenswert.

. Wer heute "anzüglichen" Kleidungsstil mit politisch oder gesellschaftlich konservativen Positionen kurzschließt, ist genauso borniert, wie seine Lehrer, von denen er sich abgrenzen will. Der Kleidungsstil lässt Rückschlüsse auf genau eine Sache zu -- den Kleidungsgeschmack.

Nun ist aber bestimmte Kleidung für die meisten Menschen gedanklich strikt mit bestimmten Einstellungen oder Gruppenzugehörigkeiten verbunden. Ansonsten wäre Kleidung auch kein Gruppenphänomen, sondern jeder würde etwas völlig Unterschiedliches tragen, nicht weißes statt hellblauem Hemd, sondern der eine vielleicht ein futuristisches Kostüm, der nächste wieder Mittelalterklamotten und der Dritte dann vielleicht Requisiten aus Fantasyfilmen. Tatsächlich sah man aber zu allen Zeitpunkten auf der Straße eine sehr einheitliche Kleidung, so dass im 19. Jahrhundert dann zwar der eine Gehrock eine stilvolle Kombination aus Gehrock, Stehkragen und Zylinder trug und der andere eine geschmacklose; beide trugen aber Gehrock, Stehkragen und Zylinder und waren deshalb als Mitglieder einer gemeinsamen kulturellen Gruppe erkennbar, vermutlich des Bürgertums oder Adels.

Seit im Laufe der großen Kulturrevolution Vertreter gehobener Schichten sicherlich gelyncht werden würden, wenn sie alle einheitlich an maßgeschneidertem Doppelreiher mit Hermes-Krawatte erkennbar wären (es gibt tatsächlich Kreise in den USA, da ist "Suit" im Sinne von Anzugträger eine abwertende Bezeichnung für die Mittelklasse und alles drüber) , hat man bestimmte Kleidungsstücke als Erkennungsmerkmal sozialer Schichten aufgegeben. Vor ein paar Jahren hätte man vielleicht gedacht, dass die Jogginghose sich auf die unteren Schichten beschränken würde, aber das war eine grobe Fehleinschätzung.

Wenn man es genau bedenkt, hängt Kleidung heute eigentlich fast nur noch mit einer gewissen Lebenseinstellung und Zugehörigkeit zu einer selbst gewählten Gruppe zusammen, z.B. Band-Shirts für die Metal-Szene oder seltsam gemusterte Röcke für die Bio-Homöopathieszene.

Gleichzeitig gilt aber auch, dass man automatisch einer dieser Gruppen zugeordnet wird, wenn man deren Kleidung trägt.

Deshalb hatte ich ja auch angeführt, dass man nicht Black-Metal T-Shirts tragen kann und sich dann beschweren, dass man mit dieser Szene in Verbindung gebracht wird.

Auf den ersten Blick würde jetzt jeder hier sagen, dass Anzüge nicht mit einer einheitlichen Weltanschauung verbunden sind. Stimmt an sich, aber zumindest liegt der klassischen Kleidung zwingend die Annahme zu Grunde, dass sowas wie Ästhetik bzw. eine ästhetische Ordnung überhaupt existiert und man muss diese ja auch irgendwie nach außen symbolisieren wollen, denn niemand trägt Kleidung wirklich nur für sich selbst.
Jetzt ist es aber so, dass diese Annahme weltanschaulich schon bereits mit einer Kultur nicht mehr vereinbar ist, in der nur die exzessive Darstellung von "Lockerheit" (im Sinne von nach außen hin dargestellter Ablehnung früherer Konventionen, die keine Rolle mehr spielen) als ästhetisch gilt und es als Meisterwerk der Kunst gefeiert wird, wenn jemand eine Klobrille an die Wand klebt. (Eine schöne Parodie findet sich in Tom Wolfes letztem Roman "Back to Blood").
Die Annahme, die man zwangsläufig nach außen trägt, ist also auch repressiv und folglich nicht akzeptabel.

Abgesehen davon weiß auch jeder, dass dauerhaft bestimmte Arten von Kultur nie koexistieren können. In einer Gesellschaft, in der wie früher der Maßanzug als sehr erstrebenswert gilt, wird man nie plötzlich Jogginghosenträger als gleichermaßen sozial akzeptabel ansehen und umgekehrt. So einen Zusammenprall von verschiedenen Ordnungs- bzw. Formalitätsebenen macht das menschliche Gehirn dauerhaft nicht mit.

@Sorel
Ich würde eigentlich doch gerne beim Thema Kleidung bleiben und nicht abdriften, deshalb nur zwei Frage (die ich mir selbst mal gestellt habe und die mir sozusagen als "Red Pill" im Bezug auf die preußische Monarchie dienten):
Wie kommt es, dass ausgerechnet die schärften Polemiken gegen das Kaiserreich und den Monarchen ("Der Untertan" von Heinrich Mann, die ständigen Witze über Wilhelm und seine verschiedenen Uniformen, usw.) alle im Kaiserreich - in diesem "Obrigkeitsstaat" veröffentlicht wurden, ohne juristische Konsequenzen für die Betroffenen?
Wieso konnte die Obrigkeit die SPD nicht entfernen oder den Kulturkampf gewinnen? Das widerspricht doch genau dem Konzept des Obrigkeitsstaats - Hitler hatte jedenfalls nicht solche Probleme, seine Gegner zu beseitigen.
 
Das ist genau deswegen voraussehbar, weil es das entscheidende Argument ist. ;)

Im Bundestag weiß man, dass im Eifer des Gefechts oder auch als rhetorisches Mittel zur Machterlangung gerne exorbitant lange Monologe gehalten werden, die es dem gegnerischen Diskutanten unmöglich machen (sollen) fundiert zu antworten. Die Höflichkeit im Dialog sich möglichst kurz zu fassen und auf das Sujet zu beschränken, ist leider keine Selbstverständlichkeit. Auch deshalb hat man gezwungenermaßen die Redezeiten temporär begrenzt.

Nun stellst Du in Deinen Ausführungen reichlich Behauptungen auf, die nicht als bloße Meinungsäußerung deklariert sind, nennst aber auch keine näheren Quellen. Gleichzeitig verbrämst Du wissenschaftliche Arbeiten, die pejorativ als von 68ern motiviert disqualifiziert werden. Dies ist eigentlich häufig die Diktion eines Ideologen. Deshalb gestatte mir einige Fragen?

1.) Du schreibt von einem klassischen Rechts-Links-Schema, das Deiner Meinung nach auch heute noch Gültigkeit besitzt. Worauf berufst Du Dich dabei und warum sind welche politischen Bewegungen in einer Richtung vereint?

2.) Hältst Du den deutschen Faschismus für ein demokratisches Gebilde, weil er die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik zur „Machtergreifung“ genutzt hat?

3.) Welche Quelle belegt eine antisemitische Argumentation durch die KPD bezüglich einer „jüdischen Zinsknechtschaft?“

4.) Zuletzt, um nicht zu viel Raum einzunehmen. Bist Du der Meinung, dass Marcuse für alle „Linken“ spricht? Und wärst Du so freundlich die Quelle seiner Äußerung offenzulegen, um mir die Möglichkeit zu geben, einen Zusammenhang zu eruieren?
 
Zuletzt bearbeitet:
Nein, der Zweifel ist eine beschissene Eigenschaft und zeugt von einer schlimmen Kindeit. Ist aber weiters in der laufenden Diskussion nicht so wichtig.
...

Über die Existenz des Obrigkeitsstaats herrscht nicht nur unter Geschichtswissenschaftler Konsens. Wenn sich jemand nun außerhalb der herrschenden Meinung stellt, hat er nach allgemeinen Verständnis zu erklären, warum er dies tut. Insbesondere, möchte er seine Meinung in Wissenschaftskreisen oder auch lediglich gesellschaftlich etablieren.

Mit dem Verlinken der Bundeszentrale für politische Bildung drücken ich zum einen aus, dass ich deren Auffassung in dieser Frage folge, zum anderen biete ich damit überhaupt erst eine Erwiderungsbasis für den werten JOG.

Ansonsten vielen Dank für die Literaturempfehlung.
 
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