bluesman528
Ruhrpotthanseat
@JOG, Ahab: Ihr habt viele Aspekte des Themas schon angesprochen und es gibt einige Punkte, bei dem ich einen von Euch beiden zustimme. Ein paar Anmerkungen habe ich allerdings auch noch.
Gerade der deutsche Nachkriegskonservativismus bis zum Ende der 60er Jahre, der vielen Altnazi-Mitläufern der alten Administration gerne eine Heimstatt bot, hatte in meinen Augen keine echte Werteerhaltung im Sinn und forderte eine Revolution von links geradezu heraus. Von daher ist die linke Bewegung der 60er Jahre eher eine Reaktion auf die Unbeweglichkeit der Rechten und nicht umgekehrt.
Aus heutiger Sicht war die sog. 68er-Bewegung erst der letzte Schritt in einen modernen offenen Staat, in dem die Bürger sich frei ausleben können und dürfen, solange sie die Freiheiten anderer nicht beschränken. Das eigentliche Problem existiert heute nur in der vereinfachten Sichtweise der Symbole der alten Zeit. Natürlich können Anzugträger heute unterschwellig mit dem verkrusteten, verlogenen, steifen Konservativismus alter Tage assoziiert werden, auch wenn sie wie ich nur die Ästhetik und vielleicht auch den hedonistischen Oberklassen-Glamour dieser Zeit damit verbinden.
Allerdings spielt der Freizeitbegriff heute auch eine große Rolle und ich bin mir nicht sicher, inwieweit man das noch trennen kann. Ahab hat das hier gut ausgedrückt:
Das habe ich selber an mir auch beobachtet, wenn ich mal eine Kombination statt einem lauteren Anzug in der Freizeit trage, was für mich ja eigentlich keinen Unterschied ausmacht. Die Fremdartigkeit für andere nimmt tendenziell ab, sobald die sartorial ungebildete Umgebung versteht, dass man nicht gerade vom Board-Meeting kommt, sondern nur eine andere Vorstellung von einem legeren Look hat. Dann ist man nicht mehr latent unsympathisch, sondern nur noch durchgeknallt, was man als Fortschritt betrachten kann.
Ehrlich gesagt finde ich das unter den besonderen historischen Verhältnissen Deutschlands hier bei uns vollkommen richtig. Man kann über mehr Toleranz für rechtes Gedankengut fröhlich schwadronieren, aber im Sinne eines Lernen aus und Verhindern von den ungeheuerlichen Auswüchsen der speziellen deutschen Geschichte, die auf diesem Gedankengut aufsetzten, halte ich es für unabdingbar, dass jedem klar gemacht wird, dass wir auch die zarten Anfänge einer solchen Monstrosität nicht mehr dulden werden.Nein, aber seine Ansicht hat sich offensichtlich in den meisten westlichen Ländern durchgesetzt ("Keine Toleranz der Intoleranz") . Das sieht man auch schon daran, dass jedes Jahr viele Menschen wegen "rechter" Äusserungen ihren Arbeitsplatz oder noch viel mehr verlieren (jüngst etwa die Zeitungsredakteurin, die empfahl, Kinder nicht zu "Schwulenhochzeiten" zu schicken), während es sehr schwer wird, in den letzten 50 Jahren überhaupt Fälle zu finden, in denen jemand für linke Äusserungen entlassen wurde, selbst wenn es um die offene Befürwortung des Stalinismus geht.
Das ist eine sehr tendenzielle Deutung. Wie schon unterschwellig angesprochen, manifestiert sich Konservativismus zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Dingen. Weiterhin muss man dabei unterscheiden, ob man Werte erhalten möchte (und ob ein Wert ein Wert ist, darüber kann man auch noch mal streiten) oder ob es um Erhaltung eines gesellschaftlichen Status Quo zum eigenen Klientelvorteil geht. Die Erhaltung von Wirtschaftsmacht und Kapital in den Händen weniger Profiteure zum Nachteil des ausgebeuteten Rests der Bevölkerung war eine wesentliche und gesellschaftlich nicht langfristig tolerierbare Triebfeder konservativen Gedankenguts. Weitere Eckpunkte wie die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau, der Argwohn vor neuen Kunstformen ("Negermusik", Expressionismus, Surrealismus, Performance Art) und vor der offenen Diskussion von Sexualität inkl. der Achtung der Rechte von Homosexuellen drücken vor allem nicht die Bewahrung von Werten, sondern eine allgemeine Menschen- und Triebfeindlichkeit und Angst vor den potenziell anarchischen Kräften des eigenen Freud'schen Es aus.Erneut kurz und knapp: Links Egalitarismus , Rechts Anti-Egalitarismus.
Gerade der deutsche Nachkriegskonservativismus bis zum Ende der 60er Jahre, der vielen Altnazi-Mitläufern der alten Administration gerne eine Heimstatt bot, hatte in meinen Augen keine echte Werteerhaltung im Sinn und forderte eine Revolution von links geradezu heraus. Von daher ist die linke Bewegung der 60er Jahre eher eine Reaktion auf die Unbeweglichkeit der Rechten und nicht umgekehrt.
Aus heutiger Sicht war die sog. 68er-Bewegung erst der letzte Schritt in einen modernen offenen Staat, in dem die Bürger sich frei ausleben können und dürfen, solange sie die Freiheiten anderer nicht beschränken. Das eigentliche Problem existiert heute nur in der vereinfachten Sichtweise der Symbole der alten Zeit. Natürlich können Anzugträger heute unterschwellig mit dem verkrusteten, verlogenen, steifen Konservativismus alter Tage assoziiert werden, auch wenn sie wie ich nur die Ästhetik und vielleicht auch den hedonistischen Oberklassen-Glamour dieser Zeit damit verbinden.
Allerdings spielt der Freizeitbegriff heute auch eine große Rolle und ich bin mir nicht sicher, inwieweit man das noch trennen kann. Ahab hat das hier gut ausgedrückt:
Genau so sehe ich das auch. Ein "Freizeitanzug" in unserem Sinne wird als solcher nicht mehr verstanden, für den Normalverbraucher ist ein Anzug in jeder Ausprägung Arbeitskleidung für Politiker, höhere Unternehmenshierarchien bzw. Unternehmensberater und andere unsympathische Parasiten. "Konservative Kleidung" hat durch die Ereignisse in den letzten 30 Jahren eben auch neue und andere Symbolkraft angenommen. Daraus ergibt sich vielleicht die Abneigung heutzutage auch eher als durch eine substanzielle Betrachtung, ob das jetzt konservativ ist oder nicht. Für die meisten Menschen sind die 50er Jahre einfach schon weit weg.Deshalb bin ich der Ansicht, dass die Verbindung von Kleidung, sozialem Stand, Konventionen etc. heute nur noch rudimentär gegeben ist. Zugleich folgt daraus aber auch, dass man sich "gut" anziehen kann, ohne dass daraus viel folgt. Vielen der Forumsmitglieder wird es so gehen, dass ihre Kleidungsvorlieben von ihrer Umwelt als netten Spleen betrachtet werden -- und nicht mehr als das,
[...]
Interessant ist nun aber, dass die Kleidung, um die es hier im Forum immer wieder geht, eigentlich nur Rückschlüsse auf ästhetische Vorlieben zulässt, aber kaum Aussagen über anderes. Vielleicht stimmt es, dass eine Vorstellung von "Lockerheit" mit "sartorialer Kleidung" nicht leicht in Verbindung zu bringen ist. Diese Lockerheit würde ich aber nicht so sehr mit 68 in Verbindung bringen, sondern eher mit der Freizeitindustrie.
Das habe ich selber an mir auch beobachtet, wenn ich mal eine Kombination statt einem lauteren Anzug in der Freizeit trage, was für mich ja eigentlich keinen Unterschied ausmacht. Die Fremdartigkeit für andere nimmt tendenziell ab, sobald die sartorial ungebildete Umgebung versteht, dass man nicht gerade vom Board-Meeting kommt, sondern nur eine andere Vorstellung von einem legeren Look hat. Dann ist man nicht mehr latent unsympathisch, sondern nur noch durchgeknallt, was man als Fortschritt betrachten kann.