Dresswatches mit blauem Ziffernblatt

Es handelt sich bei meiner Einschätzung nur um eine Grundlage von der man ausgehen kann. Erst die Regeln beherrschen, dann brechen. Es spricht sicher nichts dagegen auch mal sportliche Elemente in ein Uhrendesign aufzunehmen. Eine solche Uhr wäre dann sicher noch zum Anzug tragbar, ist halt der Zeitgeist. Aber eine Rolex Deapsea z.B. passt zum Anzug wie Turnschuhe. Beides sieht man ja trotzdem recht häufig.


Wir drehen uns zeigergleich im Kreis, aber ich will es gern noch einmal aufschreiben: Die von Dir aufgeführten dürftigen Kriterien taugen gar nicht zum Regelwerk, weil sich mit ihnen der Charakter einer Uhr bis hin zu ihrer sozialen Funktion nicht einmal vage bestimmen lässt.
Darum brechen Hersteller, Niels, Shivago und ich gar keine Regel mit blauen Dresswatches.
 
Dann frage ich mal ganz naiv: Weshalb gerade diese Eigenschaften? Verglichen mit Schuhen wäre das der schwarze Captoe Oxford, der Formalität ausstrahlt. Ich will dieser Wahrnehmung nicht widersprechen, aber demnach wären fast alle Uhren aus den 1950er und 1960er Jahren mit einem durchschnittlichen Design heute "Dresswatches" (zum Beispiel meine Zenith 220 in Edelstahl). Ist das so?
Yepp. :)

Dass die bunt funkelnde Sportuhr mit Metallarmband, Chronograph und Tachymeter zum formalen Auftritt nur begrenzt harmoniert, leuchtet mir ein. Aber warum keine Lange 1 mit Gangreserveanzeige (abgesehen davon, dass sie sich kaum jemand leisten kann)?
Wir müssen hier fein unterscheiden zwischen der überkommenen traditionellen Nutzung der "Dresswatch" und dem heutigen Wandel der Tragegewohnheiten. Eine sog. "gute Uhr" war in den alten Tagen das Teil, das die Zeit einigermaßen genau darstellte und dabei unauffällig/stilvoll den Anzugauftritt der 30er bis 60er komplettierte, der nun mal urbane Alltagskleidung war.

Natürlich haben sich heute auch Uhrenkategorien entwickelt, die den veränderten Kleidungsgewohnheiten Rechnung tragen. Die Lange 1 und die IWC Portugieser Gangreserve sind typische Beispiele für auffällige, sportlichere Dresswatches, die auch zum Pullover/Hemd/Chino gut funktionieren und natürlich auch zum Anzug getragen werden. Auf der anderen Seite haben sich auch "dressigere" Sportuhren herauskristallisiert (Rolex Datejust, Omega Seamaster Aqua Terra etc.), die Merkmale einer schlichten Dresswatch mit sportlicher Farbgebung, Größe und ggfs. einem Metallband verbinden. So was trage ich auch zu einem informellen Anzug mit Hemd mit Knopfmanschette, wie z.B. heute geschehen. Gelegentlich schrecke ich auch nicht vor einem Chrono zurück, auch die waren ja früher etwas kleiner und schlichter.

Wobei, wenn Du historisch argumentierst, man ja auch einwenden könnte, dass die klassische Sportuhr, der Chronograph, ja nicht von Sportlern, sondern von Zuschauern im (Freizeit-)Anzug getragen wurde ...
Den Chrono haben zuerst Artillerieoffiziere getragen. Ist jetzt kein Sport, okay. :) Aber dann kamen in der 50ern zu Fangios Zeiten die Rennfahrer als Sportlerzielgruppe, die wollten halt auch mal ungefähr selber eine Rundenzeit messen. Damit wurde das natürlich ein "cooler" Männerartikel, der sich seitdem mehr über das Image als über die Funktion durchgesetzt hat.

Nun bin ich ja ein besonders hartnäckiger Kritiker von unangemessen freizeitlichen Zeitmessern, aber bei deren Beurteilung – und Ausschluss – reichen die genannten Kriterien nicht aus, weil sich der Charakter einer Uhr damit nicht bestimmen lässt, um den es hier doch wohl geht.
Man kann den Begriff heute nur als groben Anhaltspunkt nehmen, weil sich seit den 60ern alle möglichen Zwischenkategorien von Uhren entwickelt haben. Aber dessen ungeachtet ist immer noch klar, das sich die Auffälligkeit der Uhr mit der steigenden Formalität der Kleidung herunterentwickeln sollte. Und was Schlichtheit bei einer Uhr bedeutet, ist zum Glück auch noch nicht völlig in Vergessenheit geraten. :)
 
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