Der klassiche Stil - was gehört für euch dazu, was ist verpönt

@Beethoven: Ich stimme Ihnen in weiten Teilen zu. Ich möchte mir nur dazu eine Anmerkung erlauben, weil das das gerne beackerte Gebiet der iGent-Sprezzatura berührt. :)

Diese besagten Menschen beeindrucken uns nicht durch den gezielten Regelbruch. In allen Beispielen, die mir dazu einfallen, der viel zitierte Agnelli an der Spitze, handelt es sich hier nur um eine persönliche Affektiertheit, die ich an der Grenze zur Lächerlichkeit sehe. Der Grund, warum manche damit "durchkommen", liegt nicht in der Kleidung selbst begründet oder darin, dass sie sich damit eine persönliche Note geben. Es liegt an ihrem gesellschaftlichen Status, der die meisten von uns ängstlich macht, dieses affektierte Gehabe als das zu bezeichnen, was es ist. Ob der Status nun wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Natur ist, spielt dabei keine Rolle. Die Lächerlichkeit tritt halt offen zutage, sobald jemand, der diesen Status nicht hat, es zu kopieren versucht.

Werter bluesman528,

ich wollte mich eigentlich nicht zu diesem Thema äußern, aber nun muss ich doch heftig wiedersprechen! Ich kann nicht behaupten, dass ich Gianni Agnelli persönlich kannte, aber ich hatte das Glück, ihm mehrmals zu begegnen. Wer diesem Gentleman Affektiertheit zum Selbstzweck vorwirft, hat ihn NIEMALS erlebt. Es ist natürlich sehr leicht, die ewig gleichen Vorurteile zu bedienen. Auch die omnipräsenten Lino Ieluzzi und Nicola Ricci sind sehr höfliche, gebildete Männer mit Stil und untadeligen Umgangsformen. Mit Beiden habe ich regelmäßigen Kontakt und es ist mir jedesmal eine Freude. Weder trage ich meine Uhr über der Manschette, noch lasse ich die Schliessen meiner DM's offen, aber die Herren deshalb als Affektiert zu bezeichnen, fiele mir nicht im Traum ein. Vorallem nicht, würde ich sie nur von Bildern her kennen!:)
Ich darf aus meiner Vita heraus sagen, dass ich Menschen aus vieler Herren Länder kennengelernt habe und es gibt in England, unabhängig vom sozialen Status, genauso viele Menschen mit schlechten Umgangsformen, wie in Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich. Umgekehrt verhält es sich ebenso;)
Nichts für ungut und schöne Grüße

Sandro
 
Es ist natürlich sehr leicht, die ewig gleichen Vorurteile zu bedienen. Auch die omnipräsenten Lino Ieluzzi und Nicola Ricci sind sehr höfliche, gebildete Männer mit Stil und untadeligen Umgangsformen. Mit Beiden habe ich regelmäßigen Kontakt und es ist mir jedesmal eine Freude. Weder trage ich meine Uhr über der Manschette, noch lasse ich die Schliessen meiner DM's offen, aber die Herren deshalb als Affektiert zu bezeichnen, fiele mir nicht im Traum ein. Vorallem nicht, würde ich sie nur von her kennen!:)
Lieber Sandro, es liegt mir natürlich grundsätzlich fern, Ihre italienischen Landsmänner zu beleidigen. Vielleicht reicht ihre mediterrane Lebenslust in Bereiche hinein, die ich als phantasieärmerer Teutone nur nicht verstehe. Aber auf meine gepflegten Vorurteile bzgl. solcher charakteristischen Äußerlichkeiten lasse ich dennoch nichts kommen. ;)

Dass die besagten Leute im persönlichen Kontakt mit Bekannten sehr angenehm sein können, wollte ich keineswegs bestreiten.
 
Warum auch nicht? ich bin immer ( meistens ) sehr höflich, drücke mich gewählt aus und denke, ich benehme mich gut - mit dem Ergebnis, das mich viele Leute für arrogant halten. Das sind fast immer Leute, die mich nicht kennen.
Wenn ich heute im Anzug durch eine deutsche Kleinstadt laufe, werde ich angeschaut, als hätte ich zwei Köpfe. Warum soll ich mich bemühen. Leuten zu gefallen, die ich weder kenne noch kennenlernen möchte? Meine Kleidung ist sicher eine Marotte, meine Ausdrucksweise vielleicht ein Spleen. Na und? Von daher gebe ich Bertone vollkommen recht. Davon ausgehend, das wir alle immer irgendeine "Rolle" spielen, warum soll das bei den genannten Personen anders sein?
Jeder wird seinen persönlichen Stil auch als Ausdruck seiner Persönlichkeit verstehen ( sonst wäre es kein Stil sondern Kopie ). Der anderer Leute muss nicht der meine sein, dennoch kann ich ihn akzeptieren oder als gegeben hinnehmen. Das ist, wenn schon nicht guter Stil, zumindest gutes Benehmen.
Und da man nur den bekehren kann, der bekehrt werden will: Ich habe mit mir und meinen Unzulänglichkeiten genug zu tun, da muss ich mich nicht noch um andere kümmern.
Hier gibt es eine niedliche Serie, Poirot, über den berühmten Detektiv. Wenn man sich anschaut, wie der Protagonist - immer wie aus dem Ei gepellt - von seinem Umfeld belächelt und unterschätzt wird, ist das immer ein DejaVu.
 
@Bertie: (...)
In einem Stilforum die unzähligen Strömungen innerhalb der Kriegerkasten, die in Europa im Grunde erst seit den Entwicklungen der Edo Zeit wahrgenommen werden, aber schon vieeel älter sind, aufzuzählen, wäre der Sache sicherlich nicht dienlich. Aus dem Grund habe ich den bekannten Begriff des Bushido verwendet, der zumindest auch im Buch der 5 Ringe Erwähnung findet.
Ich habe 5 Jahre in Japan gelebt und nur an der Oberfläche gekratzt. Das japanische Gesellschaftssystem ist viel zu komplex und vielschichtig, auch aus historischer Betrachtung, um es in ein paar Sätzen einem Gaijin nahezubringen.
Der Begriff Bushidô findet bei Musashi allerdings nicht im Sinne eines "allgemeingültigen, für alle Angehörigen der Kriegerkaste verbindlichen Verhaltens- und Moralkodex" Anwendung, das sei dazugesagt.
Auch bei Yamamoto Tsunetomo oder bei Daidoji Yuzan (und anderen) finden wir keine Erwähnung eines solchen Kodex, da es ihn einfach nicht gab.
(Man lese dazu u.a. Friday).
:)
Manchmal wird behauptet, das Buke sho Hatto sei so etwas wie ein "Vorläufer" des (nichtexistenten) Bushidô, aber das ist sachlich einfach nicht richtig ...
Wir haben es bei Inazo Nitobes "Bushidô" erwiesenermaßen mit etwas zu tun, was man "invented traditions" nennt.

Ja, ja ... ich weiß ... ich bin total OT ...
Aber ich kann nicht anders ...

Ich las gerade eben noch einmal nach, was Florian Coulmas sagte ...
(Er leitet seit 2004 das Deutsche Institut für Japanstudien in Tokyo).

Wir lesen:
Zitat:
Spiegel: War in der modernisierten Gesellschaft noch Platz für die überlieferte Ethik der Samurai?

Coulmas: Die legendären Kriegertugenden wurden nach dem Ende der Samurai gewissermaßen exhumiert und für den Export aufbereitet. Eines der berühmtesten Bücher über den "Weg des Kriegers" ("Bushidô") verfasste Inazo Nitobe für ein westliches Publikum auf Englisch. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es ins Japanische übersetzt. Da sagten sich viele Japaner beeindruckt: "Oh, so sind wir also" (lacht). Der exhumierte Samurai ist eine idealisierte, ideologisierte Figur.
(Spiegel-Magazin "Geschichte", 5/2011, S.18)
;)
Es gab keinen "Bushidô" im feudalen Japan.
Das einzige, was es gab, waren "Hausgesetze" in diversen Han, aber nicht einmal jedes Han hatte das.
So, und nun versuche ich, wieder die Klappe zu halten ...
:eek:

Bertie
 
Sorry fuers OT:
[...] Florian Coulmas sagte [...]
Guter Mann. Schade nur, dass er nicht so gut dozieren kann, wie er schreibt (mit Ausnahme vielleicht von "The Writing Systems of the World").

@ proteus: Wo hast du denn in Japan gelebt?

Wir könnten jetzt einen mehrseitigen Diskurs beginnen, wobei man unterscheiden muss zwischen bsp. China, Japan, Korea usw. - Länder, die kulturell und entwicklungstechnisch wenig gemein haben.
Hmm...da komme ich etwas ins Gruebeln, wie du das meinst. So weit ich weiss, haben alle drei Laender grosse Gemeinsamkeiten in ihrer kulturellen Entwicklung. Korea als Kulturbruecke, ueber die nacheinander unter anderem die Lehre des Konfuzius, der Nassfeldreisanbau, der Buddhismus, die Schrift und der Gebrauch von Essstaebchen von China nach Japan ueberliefert worden sind. Die Kunst des Porzellanmachens uebrigens auch. Um nur mal die wichtigsten zu nennen. Man "munkelt" sogar, dass der Tenno (und damit das japanische Volk) koreanische Vorfahren habe. ;)

Wer sich in Japan mit der eigenen Kultur-, Kunst- und Literaturgeschichte befassen moechte, kommt um die chinesische Sprache und die chinesische Geschichte nicht herum.

In der Literatur findet man haeufig oben aufgefuehrte Merkmale als Kriterien fuer einen ostasiatischen Kulturraum der deie Laender China, Korea, Japan und teilweise Vietnam umfasst.

So genug offtopic. Falls Bedarf besteht, wuerde ich vorschlagen, diese Diskussion in einem eigenen Thread weiterzufuehren. :)
 
Was wäre Dein Begriff dafür ?

Höflichkeit, Benimm, Bildung etc. pp. sprechen meiner Meinung nach nicht gegen Affektiertheiten, Marotten, Spleens, Schrullen...;)

Lieber bertone,

nun ist mein Deutsch nicht so gut, wie das der Meisten hier und so kann es durchaus sein, dass ich mich vertue. In meinem Verständnis der deutschen Sprache, sind Wörter wie "Spleen", "Schrulle" und "Marotte" eher positiv belegt, während "Affektiertheit" deutlich negativ ist. Gleichzusetzten mit zickig. Und da ist für mich der Hauptunterschied. Während eine Marotte (oder Spleen / Schrulle) etwas, wie z.B. das Tragen von bunten Socken zum dunklen Anzug ist und niemanden in seinem Umfeld einschränkt, wirkt sich Affektiertheit mbMn immer in einschränkender Weise unangenehm auf seine Mitmenschen aus. Wie gesagt, es kann sein, dass dem nicht so ist, aber bis jetzt habe ich es nunmal immer so wahrgenommen. Es liegt mir auch fern, über dieses Thema nun einen Streit vom Zaun zu brechen, denn das wäre es nicht wert.

Die Erfahrungen des Users proteus kann ich bestätigen, denn weil ich noch nie auf einer betriebsinternen VA mehr getrunken habe, als ich vertrage und auch nach Mitternacht meine Krawatte nicht gelöste habe, hat mir das den Ruf eines arroganten Schnösels und einer Spaßbremse eingebracht. Von Beiden Eigenschaften bin ich, laut meinem engen Umfeld, so weit entfernt wie ein Wildschwein vom Weltrekord im Stabhochsprung.

Vielleicht habe ich einfach zu viel Respekt vor meinen Mitmenschen, als das ich sie, ohne genaue Kenntnis, bewerten oder beurteilen würde.

Um es zum Abschluss nochmal deutlich zu sagen: Eine über der Manschette getragene Uhr gefällt mir nicht im geringsten, aber sie schränkt auch meine persönliche Freiheit in keinster Weise ein, während mich ein affektierter Mensch sehr wohl in meiner persönlichen Freiheit (sollte ich ihm begegnen) einschränkt, weil ich die Launen eines Anderen ertragen müsste.

Wie erwähnt, nur meine persönliche Meinung.

Liebe Grüße

Sandro
 
Hmm...da komme ich etwas ins Gruebeln, wie du das meinst. So weit ich weiss, haben alle drei Laender grosse Gemeinsamkeiten in ihrer kulturellen Entwicklung. Korea als Kulturbruecke, ueber die nacheinander unter anderem die Lehre des Konfuzius, der Nassfeldreisanbau, der Buddhismus, die Schrift und der Gebrauch von Essstaebchen von China nach Japan ueberliefert worden sind. Die Kunst des Porzellanmachens uebrigens auch. Um nur mal die wichtigsten zu nennen. Man "munkelt" sogar, dass der Tenno (und damit das japanische Volk) koreanische Vorfahren habe. ;)
Definitiv gibt es Verbindungen. Nicht nur, dass die japanische und koreanische Schrift und ein nicht zu vernachlässigender Teil von Begriffen auf chinesischen Schriftzeichen bzw. Worten basiert, auch basieren viele japanische Musikinstrumente auf chinesischen Originalen. Kleines Beispiel sind die Taikos, von denen viele Westler aufgrund der vielen japanischen Taiko-Bands annehmen, dass es sich um ein urtypisches japanisches Intrument handelt. Tatsächlich aber stammen die Trommeln wohl ganz ursprünglich aus China und sind dann über Korea nach Japan gekommen. Deshalb findet man auch noch heute in allen drei Ländern diese Großtrommeln.
Allerdings war der Kulturaustausch nicht nur einseitig, es gibt auch Lehnwörter, die aus Japan später in die chinesische Schrift integriert wurden.
Generell muss man sagen: die japanische Sprache und Kultur hat sich eigenständig entwickelt. Aber das chinesisches Kaiserreich hat (zumindest für eine gewisse Zeit lang) einen recht grossen Einfluss auf Korea, Japan und auch Vietnam gehabt und viel beeinflusst, auch wenn man das in Japan nicht gerne hören mag.
 
Gestern erzählte mir ein Kumpel, was für ihn der "höchster Punkt vom Stil" sei.
Für ihn gehörte zum Stil nicht nur entsprechende Kleidung zutragen, sondern auch das Aussehen, entsprechende Auto, Haus, Intelligenz, Humor, Selbstverteidigung, akademischer Grad, "Soziale Ader" und andere materielle Dinge und Eigenschaften dazu.

Vielleicht noch eine Anmerkung von mir dazu: es ist natürlich immer schön, wenn man quasi so ein "Gesamtpaket" hat. Man muss sich aber auch immer fragen, wie realistisch das ist. Gerade so Sachen wie "Intelligenz, Humor, Charme, soziale Ader" sind ja Sachen, die man nur bis zu einem gewissen Grad selber beeinflussen oder trainieren kann. Andere Dinge wie ein "entsprechendes Auto, Haus" und eventuell auch noch die passenden Urlaube in den richtigen Locations sind gehaltsabhängig und daher auch nicht beliebig für jedermann verfügbar.

Man sollte also vorsichtig sein, dass man sich nicht zu hohe Ziele steckt oder unrealistische Anforderungen an sein eigenes Leben stellt. Das kann nämlich dann auch in Frustration oder Depression enden.
 
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