Der klassiche Stil - was gehört für euch dazu, was ist verpönt

Tut mir leid, aber das ist der typische Wikipedia-Unfug.[...] Schöne Idee, das mit der "geistigen Meisterschaft" - und vollkommener Blödsinn.

Stimme dir teils zu, teils nicht. Geistige Meisterschaft ist in meinen Augen sehr weit hergeholt, wenn nicht sogar Bloedsinn. Die Urspruenge und Geschichte des Karate moegen anders sein, da kenne ich mich nicht aus. So wie Kampfsportarten und Sport im allgemeinen aber derzeit in Japan praktiziert werden, wuerde ich schon sagen, dass eine geistige Erziehung stattfindet. Dazu muesste man sich allerdings die kulturellen und gesellschaftlichen Hintergruende genauer anschauen, was hier den Rahmen sprengen wuerde. Nur soviel, Sport (und das schliesst die gaengigen Kampfsortarten wie Judo, Kendo, Karate, Aikido usw. ein) ist in Japan anders organisiert als in Deutschland.

Sport findet hauptsachlich in der Schule und der Uni statt (damit meine ich nicht den Sportunterricht, den gibt es auch). Vor allem erstere hat eine ganz andere Erziehungsfunktion als in Deutschland. Insofern es sich also um "bukatsu", Klubaktivitaeten an Schulen und Unis, handelt, unterscheiden sich bspw. Baseball und Karate oder Kendo nicht besonders voneinander: 4 bis 5 mal Training die Woche und am Wochenende Turniere und Wettkaempfe. Neben der sportlichen Aktivitaet geht es auch um die Vermittlung von gesellschaftlichen und geistigen Werten. Bei traditionellen (japanischen) Sportarten wie Kendo stehen traditionelle japanische Werte mehr im Vordergrung in anderen Sportarten wie Baseball oder Fussball lassen sie sich aber genauso wiederfinden. Trainer sind im allgemeinen Lehrer! Sport in Vereinen oder von privaten Anbietern wie in Deutschland gibt es zwar auch, hat aber geringeer Bedeutung.

Viele Japaner fangen waehrend der Schulzeit mit einer Sportart an, treiben diese an der Uni bis zum Exzess und hoeren dann mit Einstieg in das Berufsleben wieder auf bzw. reduzieren diese stark. (mal etwas ueberspitzt formuliert)
Im Erwachsenenbereich stehen bei aktiver Ausuebung sportliche Ziele im Vordergrund mit Ausnahme von bspw. Firmen- oder Polizeisport.

Dieser Zusammenhang, und da gebe ich dir Recht, wird in Europa und Amerika oft missverstanden.
 
In Europa und den USA wird der Begriff "Kampfsport" meist auf den Bereich "Kampf" eingeschränkt. Wir könnten jetzt einen mehrseitigen Diskurs beginnen, wobei man unterscheiden muss zwischen bsp. China, Japan, Korea usw. - Länder, die kulturell und entwicklungstechnisch wenig gemein haben. In Japan ist Zen kulturell tief verwurzelt, wird aber selbst dort nicht von vielen in allen Aspekten gelebt. "Bushido", der Weg des Kriegers, ist viel mehr als nur Umgang mit Waffen, es ist ein lebenslanger Weg, der ungeheure Selbstdisziplin und Askese voraussetzt. Das würde aber sicherlich zu weit führen.

Ich bin fast sicher, das es in der heutigen Zeit für jeden sehr schwer sein wird, die Regeln dieser Wege getreu zu erfüllen. Zum einen aufgrund der Verweichlichung jeder Industrienation, zum anderen aufgrund des immensen zeitlichen und materiellen Aufwands. Schliesslich fehlt dem Westen auch der kulturelle Hintergrund dafür, die Unterordnung des Individuums unter die Gemeinschaft ist in Asien weit verbreitet und läuft den westlichen Ansichten zur Selbstverwirklichung extrem entgegen.

Dennoch denke ich, man kann sich auch in den asiatischen Kulturen das ein oder andere abschauen und sich "seinen" Weg damit pflastern. An dieser Stelle sei beispielhaft das Buch "Die Kunst des Krieges" empfohlen, ein Buch, das ich seit meiner Jugend immer wieder lese und das mir gerade bei schwierigen Entscheidungen oft geholfen hat.

Wie aber schon mehrfach angesprochen macht es wenig Sinn, sich in den Zen zu vertiefen und dabei zwanghaft die 9 Symphonien von Beethoven durchzuhören, weil "man" das so macht. Ich kann mit Jazz nichts anfangen, warum soll ich mich also damit beschäftigen?
Entscheidender ist meiner Meinung nach, das ich offen bin, mich vielleicht irgendwann dafür zu interessieren. Die wenigsten werden als Kind schon munter Bach Kantaten gesummt haben, auch dies ist ein Entwicklungsprozess.

Stil ist doch, sich selbst und sein Umwelt immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und permanent nach Verbesserung zu streben.
 
Der Begriff "Stil" ist in meinen Augen ein Hilfswort für sehr vieles. Es wird von jedem auf eine andere Weise verwendet, sei es im Zusammenhang mit Mengenangaben ("stilvoll" vs "stillos" bzw. "etwas hat Stil" vs "etwas hat keinen Stil"), Wertungen ("guter Stil" vs "schlechter Stil") oder einer englischen Umschreibung ("style" oder "stylish"). In der Kunst wird wenigstens auf Epochen oder Techniken eingegangen, in der Möbelindustrie auf eine bestimmte Anmutung ("Stilmöbel") und in Boulevard-Zeitschriften manchmal auf bestimmte Personen ("im Stile der britischen Königin").

Und nun die Frage nach dem "klassischen Stil" - die kann ich beim besten Willen nicht beantworten. Es wäre auch schade, wenn es hierauf eine Antwort gäbe. Und selbst wenn es sie gäbe, würde sie mich nicht wirklich interessieren. Das Leben wäre langweilig.

Das zeigt sich schon daran, dass man die "ist ... stilvoll?" Fragen nicht wirklich beantworten kann bzw. dass in den entsprechenden Threads niemals eine Antwort auf die Frage gefunden wird, ob Tattoos, Taucheruhren, Ohrringe, weiße Socken, Glatzen, Sportwagen, Benimmregeln, Adelstitel, Siegelringe, Einstecktücher, Fremdsprachen etc. nun "stilvoll", "guter Stil" oder überhaupt "Stil" sind oder einfach nur Unfug.

Die beiden Extrema wären sicherlich die alberne totale Toleranz ("anything goes" = alles, was irgendjemand macht, ist Stil, nämlich der Stil der entsprechenden Person) und eine absolute Regelunterwerfung ("man darf nur tragen, was aus derselben Epoche stammt" oder "Kleidung im reinen Stil muss in genau dieser Form in einer Modezeitschrift der vergangenen Jahrhunderte abgebildet worden sein, sonst ist sie nicht echt"). Beides funktioniert nicht. Die totale Toleranz nicht, weil dann die Stildiskussion absurd wäre, und die absolute Regelunterwerfung auch nicht, weil es dann keine Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Normen gäbe. Alles, was wir heute haben, war irgendwann mal neu und musste sich gegen Bestehendes durchsetzen. Dieser Trend darf nicht aufhören, aber auch nicht alles zerstören.

Es gibt Menschen, die uns durch ihre besondere Regeltreue imponieren. Zum Beispiel Personen, bei denen die Kleidung stets zueinander passt. Oder solche, die niemals kurzärmelige Hemden tragen, niemals braune Schuhe "after six", stets die richtigen Schuhe zum Smoking, alles immer sehr gepflegt und geordnet. Und es gibt Menschen, die uns durch den gezielten Regelbruch imponieren. Also z.B. ganz bewußt im korrekten Smoking, aber ohne Fliege erscheinen. Manchen Menschen "erlauben" wir diesen Regelbruch, anderen nicht. Er soll "zur Person passen", "authentisch sein" und "nicht aufgesetzt". Schwierig! Trägt eine kulturelle Größe besonders lässige Kleidung, kann das sehr gut aussehen. Trägt ein Kneipenbesitzer aus dem Rotlichtviertel einen weißen Anzug und eine Sonnenbrille mit Goldrand, ist das zwar ebenso "passend", aber noch lange kein "Stil". Oder doch?

In meinem Bekanntenkreis war ein leider kürzlich im hohen Alter verstorbener Künstler, der stets einen Lederhut und rote Turnschuhe trug. Als ich ihn das erste Mal sah, dachte ich: "Wie selbstherrlich." Beim zweiten Mal: "Schon wieder das, wie einfallslos." Beim zehnten Mal: "Ja, so ist er, das ist sein Stil. Dem ist er treu." Inzwischen existiert ein Nachruf auf ihn in Form eines Ölgemäldes, auf dem diese Dinge abgebildet sind.

Ich würde daher "Stil" in Zusammenhang mit Mode, Accessoires, Verhaltensweisen etc. viel emotionaler betrachten und auch eine dynamische Weiterentwicklung erlauben. Folgende Fragen würde ich mir stellen:

- Gefällt mir etwas besonders gut?
- Beeindruckt es mich?
- Erkenne ich eine gewisse Durchgängigkeit über die Zeit, also eine gewisse Unbeirrbarkeit?

Ich halte es für schwierig, bei diesem Thema konkreter zu werden.
 
Nunja, dass es hierauf keine "Universalantowrt" gibt ist wohl klar. Und wie schon zuvor gesagt ist das auch gut so!
Aber mich hat eben mal interessiert, was für die meisten von euch davon halten. Jedenfalls bin ich sehr positiv überrschaft muss ich sagen, oder um vielleicht das "Ergebnis" des Diskussion auf einen Satz runterzubrechen: Die meisten hier haben eben doch recht viel Stil, nach dem was hier die meisten danach definieren
 
@Beethoven: Ich stimme Ihnen in weiten Teilen zu. Ich möchte mir nur dazu eine Anmerkung erlauben, weil das das gerne beackerte Gebiet der iGent-Sprezzatura berührt. :)
Und es gibt Menschen, die uns durch den gezielten Regelbruch imponieren. Also z.B. ganz bewußt im korrekten Smoking, aber ohne Fliege erscheinen. Manchen Menschen "erlauben" wir diesen Regelbruch, anderen nicht.
Diese besagten Menschen beeindrucken uns nicht durch den gezielten Regelbruch. In allen Beispielen, die mir dazu einfallen, der viel zitierte Agnelli an der Spitze, handelt es sich hier nur um eine persönliche Affektiertheit, die ich an der Grenze zur Lächerlichkeit sehe. Der Grund, warum manche damit "durchkommen", liegt nicht in der Kleidung selbst begründet oder darin, dass sie sich damit eine persönliche Note geben. Es liegt an ihrem gesellschaftlichen Status, der die meisten von uns ängstlich macht, dieses affektierte Gehabe als das zu bezeichnen, was es ist. Ob der Status nun wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Natur ist, spielt dabei keine Rolle. Die Lächerlichkeit tritt halt offen zutage, sobald jemand, der diesen Status nicht hat, es zu kopieren versucht.
 
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@Beethoven: Ich stimme Ihnen in weiten Teilen zu. Ich möchte mir nur dazu eine Anmerkung erlauben, weil das das gerne beackerte Gebiet der iGent-Sprezzatura berührt. :)

Diese besagten Menschen beeindrucken uns nicht durch den gezielten Regelbruch. In allen Beispielen, die mir dazu einfallen, der viel zitierte Agnelli an der Spitze, handelt es sich hier nur um eine persönliche Affektiertheit, die ich an der Grenze zur Lächerlichkeit sehe. Der Grund, warum manche damit "durchkommen", liegt nicht in der Kleidung selbst begründet oder darin, dass sie sich damit eine persönliche Note geben. Es liegt an ihrem gesellschaftlichen Status, der die meisten von uns ängstlich macht, dieses affektierte Gehabe als das zu bezeichnen, was es ist. Ob der Status nun wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Natur ist, spielt dabei keine Rolle. Die Lächerlichkeit tritt halt offen zutage, sobald jemand, der diesen Status nicht hat, es zu kopieren versucht.

Das scheint mir eine zu statische oder konservative Betrachtung, denn selbst die sartoriale Klassik hat doch eine räumliche und zeitliche Dynamik. Viele ursprüngliche Regelbrüche und Idiosynkrasien sind - wenn der Kontext entsprechend günstig war - zu neuen Normen geronnen: der Smoking, die moderne Form der Krawatte, Brogues, Kragenformen, selbst der Anzug - deshalb laufen wir nicht mehr herum wie im Jahre 1850. Oder mit gepuderten Perücken. Der "Duke" hat quasi eigenhändig viele heute als klassisch betrachtete Praktiken qua seines Einflusses als Stilikone gegen die Tradition hoffähig gemacht. Wenn man Flusser u.ä. liest kommt man doch auch zu dem Schluß, das die Königsdisziplin im Stilspiel eben gerade das maximale Ausreizen und gekonnte Überschreiten der Regeln auf Grundlage ihrer intimsten Kenntnis darstellt - als Ausdruck von Individualität und der "mastery" über die Materie. Dass solche Versuche im I-Gent Kontext eher mal in die Hose gehen ist keine Frage, aber experimentieren ist nie ein fehler und dieses Forum soll ja doch gerade den kultivierten Austausch über diese Fragen und wechselseitige Weiterentwicklung ermöglichen.
 
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Diese besagten Menschen beeindrucken uns nicht durch den gezielten Regelbruch. In allen Beispielen, die mir dazu einfallen, der viel zitierte Agnelli an der Spitze, handelt es sich hier nur um eine persönliche Affektiertheit, die ich an der Grenze zur Lächerlichkeit sehe. Der Grund, warum manche damit "durchkommen", liegt nicht in der Kleidung selbst begründet oder darin, dass sie sich damit eine persönliche Note geben. Es liegt an ihrem gesellschaftlichen Status, der die meisten von uns ängstlich macht, dieses affektierte Gehabe als das zu bezeichnen, was es ist. Ob der Status nun wirtschaftlicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Natur ist, spielt dabei keine Rolle. Die Lächerlichkeit tritt halt offen zutage, sobald jemand, der diesen Status nicht hat, es zu kopieren versucht.

Der Begriff Affektiertheit unterstellt den absichtlichen, bewußten Regelbruch um seiner selbst willen. Ich gebe Ihnen Recht, dass ein gezielt initiierter Stilbruch albern wirken kann, wenn er zu aufgesetzt ist.


Es gibt aber auch Menschen, die ihre Kleidung aus einer inneren Gelassenheit heraus nachlässig auswählen und dabei trotzdem mit einem sicheren Griff eine stilvolles, ästhetisches Gesamtbild erreichen. Die sind im Urlaub am Strand, ziehen für den abendlichen Gang ins Restaurant kurz ein Sakko über und sehen gut aus, ohne dass die Kombination als solche in einem Ratgeber stehen würde. ;) Gerade dieses "mir doch egal, ob das so gehört" kann Stil haben.

Viele ursprüngliche Regelbrüche und Idiosynkrasien sind - wenn der Kontext entsprechend günstig war - zu neuen Normen geronnen: der Smoking, die moderne Form der Krawatte, Brogues, Kragenformen, selbst der Anzug - deshalb laufen wir nicht mehr herum wie im Jahre 1850.

Vieles in unserer Kleidung stammt auch vom Militär - und einstige "Stilbrüche" waren die praktische Weiterentwicklung der alten Regeln, um die Kampfkraft zu erhalten. Im Grunde war man damals pragmatischer unterwegs, als wir es heute manchmal sind.

Ich wüsste jedenfalls nicht, wofür man überhaupt Knöpfe an den Sakkoärmeln braucht - trotzdem gehe ich nie ohne aus dem Haus.
 
@Seika:
Auch wenn das vom Thema des Threads weit wegführt - ich rede nicht von ("modernem") Kampf-Sport (den ich als Fehlentwicklung fehlinterpretierter Kampfsysteme sehe).
;)
Aber dafür gibt es eigene Foren ...
Nur so viel: Ich bin schon seit sehr, sehr langer Zeit auf der Matte aktiv, ich forsche seit vielen Jahren zur (belegbaren) Geschichte der japanischen Kampfsysteme, wir haben hervorragende direkte Kontakte nach Japan, und ja, ich stimme dir zu - der kulturhistorische und soziokulturelle Kontext der Koryû Bugei wird hierzulande ebenso ignoriert wie der entsprechende Kontext der Gendai Budô.



@Proteus:
In Japan ist Zen kulturell tief verwurzelt, wird aber selbst dort nicht von vielen in allen Aspekten gelebt
Nöö.
Stimmt einfach nicht, tut mir leid.
Eine "tiefe kulturelle Verwurzelung" des Zen im Alltag ist nicht nachweisbar.
Eine Verbindung von "Zen" (nebenbei: welche Richtung?) und den Kampfkünsten gibt es nicht. Sie wurde erst vor etwa 50 Jahren erfunden. Läßt sich mühelos belegen, bei Interesse kann ich dir da gern weiterhelfen mit zitierfähigen Quellen (siehe dazu Dave Lowry, Ellis Amdur et. al.)
:)
"Bushido", der Weg des Kriegers, ist viel mehr als nur Umgang mit Waffen, es ist ein lebenslanger Weg, der ungeheure Selbstdisziplin und Askese voraussetzt.
Es gibt keinen "Bushidô".
Außer in der Phantasie eines gewissen Inazo Nitobe, der diesen Begriff um 1889 herum erfand bzw. prägte und darüber dann ein Buch schrieb - in welchem er ohne jede fundierte Kenntnis der japanischen Geschichte "die Samurai" und den angeblich so edlen japanischen Nationalcharakter bis zur Lächerlichkeit verklärte.
Einen verbindlichen, allgemeingültigen "Verhaltens- und Moralkodex" für die Angehörigen der Kriegerkaste (Bushi) des feudalen Japan gab es nicht. Schon gar nicht unter dem Namen "Bushidô".
;)
Das Buch Inazo Nitobes wurde allerdings nach seinem Erscheinen in Kreisen des Militärs propagandistisch genutzt, um die aufkommende Doktrin des "Yamato Damashii" zu unterlegen.
Daraus resultiert der bis heute unausrottbare Glaube (teilweise auch in Japan selbst!), es habe einen "Ehren-, Verhaltens- und Moralkodex" unter der Bezeichnung "Bushidô" gegeben, der für alle "Samurai" verbindlich gewesen sei.
Nota bene: "Samurai" war ein RANG innerhalb der Kaste der Krieger (Bushi).
:)

Tut mir leid, wenn das jetzt hier gewaltig aus dem Ruder gelaufen ist, aber ich kann zu diesem Thema einfach nicht die Klappe halten ...
:eek:
 
Viele ursprüngliche Regelbrüche und Idiosynkrasien sind - wenn der Kontext entsprechend günstig war - zu neuen Normen geronnen: der Smoking, die moderne Form der Krawatte, Brogues, Kragenformen, selbst der Anzug - deshalb laufen wir nicht mehr herum wie im Jahre 1850. Oder mit gepuderten Perücken.
Das ist natürlich völlig richtig, aber das sehe ich nicht als Werk einzelner experimentierfreudiger Dandies, sondern als Produkt von Modeströmungen. Möglich, dass diese ihren allerersten Ursprung in Kleidungsavantgardisten wie z.B. Brummell hatten, aber die modische Breitenwirkung hat sich durch gesellschaftliche und soziale Entwicklungen ergeben.

Der "Duke" hat quasi eigenhändig viele heute als klassisch betrachtete Praktiken qua seines Einflusses als Stilikone gegen die Tradition hoffähig gemacht.
Der Duke hat das nicht als Stilikone gemacht, sondern als höchstrangiges Blaublut. Wer wagt denn, einen waschechten König scharf anzusehen? :) Was er tut, muss also toll sein. Er war ein großartiger Dresser, ich liebe seine Art, auch extreme Windowpanes und Checks jeder Art in untadeliger Würde rüberzubringen, aber auf die Gefahr hin, dass man mich wegen Stilketzerei und Majestätsbeleidigung in Schimpf und Schande aus dem Forum wirft :), muss ich doch feststellen, dass ausgerechnet seine Vorbildfunktion auf mich nur sehr eingeschränkt wirkt. Egozentrisch war er, eingebildet, aufgeblasen und nicht zuletzt fürchterlich realitätsfern und regelrecht dumm (ich erinnere nur an seine erbärmliche Anbiederung an das Hitler-Regime). Er ist für mich ein Sinnbild für Affektiertheit, nichts von dem, was er trug, war zufällig, alles war auf Wirkung bedacht, um ihn selbst in jedem denkbaren Kontext in den Vordergrund zu rücken. Ein Dandy, ein visuell sehr unterhaltsamer, das gebe ich zu, aber ich ziehe dem jeden Menschen vor, der sich einfach nur unprätentiös bis ins Detail gut anziehen will, ohne dass einem an allen möglichen Stellen der Kleidung ein "Ich bin aber anders, seht, wie ich mich über die Konventionen hinwegsetze" ins Gesicht schreit. Wenn ich jedes Jahr die Fotos von der Pitti Uomo sehe und möglichst noch Lino Ieluzzi, wie er wieder die Schnallen seiner antikpolierten Monks nicht geschlossen bekommen hat (vermutlich weil sein Einstecktuch vorzeitig explodiert ist :)), bekomme ich Lachkrämpfe. :D Das hat für mich weder mit Entwicklung noch mit Experiment zu tun.

Dass solche Versuche im I-Gent Kontext eher mal in die Hose gehen ist keine Frage, aber experimentieren ist nie ein fehler und dieses Forum soll ja doch gerade den kultivierten Austausch über diese Fragen und wechselseitige Weiterentwicklung ermöglichen.
Ich sehe das Experimentieren vielleicht in einem etwas anderen, persönlicheren Zusammenhang. Nicht im Sinne von "Was kann ich denn jetzt noch in meinem Outfit gegen die Regel verändern, um somit weiter auffallend im Unauffälligen bleiben?" ;), sondern im Sinne eines tieferen Erkenntnisstandes über "Was passt zu mir?" und vielleicht sogar auf eine bestimmte Weise "Wer bin ich?". Ein eitler, bunter Pfau sollte darauf nicht die einzige Antwort sein. ;)

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Beethoven hat gesagt.:
Es gibt aber auch Menschen, die ihre Kleidung aus einer inneren Gelassenheit heraus nachlässig auswählen und dabei trotzdem mit einem sicheren Griff eine stilvolles, ästhetisches Gesamtbild erreichen. Die sind im Urlaub am Strand, ziehen für den abendlichen Gang ins Restaurant kurz ein Sakko über und sehen gut aus, ohne dass die Kombination als solche in einem Ratgeber stehen würde. Gerade dieses "mir doch egal, ob das so gehört" kann Stil haben.
Ich weiß nicht, ich glaube, diese Leute sind einfach die Gesegneten(tm), denen ein intuitives Gestaltungsverständnis ihrerselbst in die Wiege gelegt wurde. Sie wählen nicht bewusst aus, sondern greifen, ohne groß nachzudenken, zum richtigen. Das sind für mich Anti-Dandies, sie sind sie selbst und schauen nicht auf Außenwirkung. Wunderbar, so was zu sehen.
 
@Bertie: Wie ich sagte, das würde zu weit führen.
Und ich schrieb, es gibt eine tiefe kulturelle Verwurzelung des Zen, die im Alltag eben NICHT (mehr) gelebt wird.
In einem Stilforum die unzähligen Strömungen innerhalb der Kriegerkasten, die in Europa im Grunde erst seit den Entwicklungen der Edo Zeit wahrgenommen werden, aber schon vieeel älter sind, aufzuzählen, wäre der Sache sicherlich nicht dienlich. Aus dem Grund habe ich den bekannten Begriff des Bushido verwendet, der zumindest auch im Buch der 5 Ringe Erwähnung findet.
Ich habe 5 Jahre in Japan gelebt und nur an der Oberfläche gekratzt. Das japanische Gesellschaftssystem ist viel zu komplex und vielschichtig, auch aus historischer Betrachtung, um es in ein paar Sätzen einem Gaijin nahezubringen.
 
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