Ich hatte heute nichts besseres zu tun als diese 18 Seiten zu lesen. Traurig. Aber irgendwie hab ich das Tiefe Verlangen, ebenfalls meinen Senf dazu zu geben.
Ich bin im gleichen Alter wie Hansi. Ich bezeichne mich als interessierter preisbewusster Laie und habe mich in diesem Forum angemeldet, weil ich mich von dem H&M-Einheitsbrei zu meiner Schul-/anfaenglichen Unizeit entfernen moechte, da ich mit der nicht vorhanden Qualitaet nichtmehr zufrieden war und einen eigenstaendigen Kleidungsstil entwickeln moechte. Als Student/Praktikant muss ich dabei genau auf die P/L schauen und kaufe daher viel im Sale oder Secondhand. Lieber die guten neuen Santoni einem Kerl abgekauft, fuer den sie ein Fehlkauf waren, als irgendwelche geklebten vermeintlich hochwertigen Schuhe einer Kleidungsfirma im Kaufhaus fuer den gleichen Preis.
Ich habe gute und schlechte Erfahrungen mit verschiedenen Labels gemacht und informiere mich mittlerweile grundsaetzlich in diesem Forum, bevor ich eine groessere Investition taetige. So bin ich zB auf Produkte der Anbieter Santoni, SuitSupply und Shoepassion gekommen, welche ich im Kaufhaus wohl kaum kennengelernt haette.
Zu Boss:
Boss ist ein super vermarktetes Label und ich finde es interessant mich selbst dabei zu beobachten, wie ich mich unterbewusst "besser" fuehle, wenn ich ein Boss (da schwingt die Ueberlegenheit bereits im Markenname mit) Produkt kaufe als etwas von H&M. Wenn ich das dann im Outlet/Sale kaufe, freue ich mich sogar gleichzeitig darueber, ein "Schnaeppchen" gemacht zu haben. Marketing ist ein spannendes Fach! Wer glaubt, er werde durch Werbung nicht beeinflusst, geht herzlichst naiv durch die Welt.
Der unwissende Kunde greift anhand von unvollstaendigen Informationen/Wissen (Zitat: "Wie bitte soll ich die Qualitaet erkennen?" - eine Frage, welche ich mir ebenfalls regelmaessig stelle) auf Merkmale zurueck, die er beurteilen kann, um so das Risiko einer Fehlinvestition zu minimieren:
1. Bekanntheitsgrad/Marke ("Was viele andere kaufen, kann so schlecht nicht sein")
2. Preis ("Teurer ist besser")
3. Schlagwoerter, die er mal bereits gehoert hat (Slim line, Schurwolle, Kaschmir, italienisch)
Insgesamt laesst er sich aber sehr leicht austricksen. Gesehen habe ich zB folgendes Geschaeftsmodell bei dress-for-less.de: dort erscheinen neben einigen Markenartikeln (fuer den Laien sind Boss, Strellson, Tommy Hilfiger nunmal "Marken", welche mit einer gewissen Wertigkeit asoziiert werden. Darueber kommt "Luxus") einige Hausmarken, denen aufgrund der hohen urspruenglichen UVP, dem italienisch klingenden Namen, und der restlichen Auswahl, ebenfalls eine gewisse Wertigkeit unterstellt wird. Oder noch deutlicher: Der Verkaeufer von Chinauhren auf eBay, der seinem Chinakracher (Wert: 20EUR) eine UVP von 400EUR attestiert. Der Verkaufspreis ist ein
Indikator, allerdings kein
Beweis fuer Qualitaet. Er wird von uns ueberschaetzt.
Um das Marktversagen aufgrund unvollstaendiger Informationen zu erlaeutern, empfehle ich die Lektuere der Theorie um die Lemon Goods von Akerlof. Akerlof beschreibt ein Beispiel, in dem Gebrauchtwagenkaeufer absolut keine Ahnung haben, ob es sich um ein faires Angebot handelt, oder ob der Verkaeufer etwa am Tacho geschraubt hat. Sieht er zwei auf den ersten Blick identische angebotene Autos, eines fuer 10.000EUR und eines fuer 15.000EUR, so koennte er daraus schliessen, dass das guenstigere Angebot eine Schrottkarre ist und das teurere ein ehrliches Angebot. Der Verkaeufer koennte aber auch einfach zwei Schrottkarren zu unterschiedlichen Preisen hingestellt haben und den Kaeufer auf diese Weise taeuschen. Da der Kaeufer nicht die tatsaechliche Qualitaet nachpruefen kann, ist es fuer ihn das geringste Risiko, das billigere Angebot anzunehmen.
Konsequenz: Es werden nur Schrottkarren verkauft, die guten Fahrzeuge finden keinen Abnehmer.
Was kann man dagegen machen? Einen sachkundigen Freund mit zum Gebrauchtwagenkauf mitnehmen, oder mit dem Auto zum TUEV fahren, um die Wissensluecke zu schliessen.
Angewandt auf Boss bedeutet dies: Ja, es lohnt sich fuer dieses Unternehmen, relativ guenstige Ware zu hohen Preisen zu verkaufen. Die meisten Kunden koennen Qualitaet der Textilien nur bis in etwa dem Niveau beurteilen, auf welchem Boss sich befindet. Wichtig ist, dass Qualitaet angenommen wird, dazu muss der Verkaufer der Marke vertrauen. Schlecht darf die Qualitaet daher auf keinen Fall sein, alle Marketingdimensionen (Produktbeschaffenheit, hohe UVP, exklusive Laeden, Hochglanzwerbung) muessen dafuer ausgerichtet werden. Wuerden sie aber eine noch bessere Qualitaet liefern, wuerde das 90% der Kaeufern nicht auffallen - die Marge wuerde aber sinken. Fuer mich persoenlich heisst das: Je bekannter die Marke (Werbungskosten) und je groesser der Hersteller (Wachstum aufgrund hoher Marge), desto groesser muss in der Regel der Unterschied zw Herstellungskosten und Verkaufspreis sein. Ich meide daher mittlerweile die allseits bekannten Labels.
Was koennen wir machen? Erfahrungen sammeln (wie fuehlt sich ein Boss Hemd nach einem Jahr an?) und viel informieren (Buecher, modebewandte Freunde, Frauen, dieses Forum). Und versuchen in einem Kaufhaus Klamotten anzuprobieren ohne auf Preis oder Marke zu achten, sich zu ueberlegen ob die Textilie an sich gefaellt und wie viel man bereit waere dafuer auszugeben, und DANN Preis und Marke anzuschauen. Und: Offen sein.
Meine persoenlichen Erfahrungen mit Boss zeigen: besser als der Rest meiner Garderobe ist die Ware nicht, ich habe mich ziemlich blenden lassen von der schoenen Verpackung. Zwei Unterhemden zeigten unerklaerlicherweise bereits nach 2x Tragen Verfaerbungen unter den Armen, wie ich sie sonst nur bei jahrealten anderen Shirts gesehen hatte - da waren die 3EUR Hanes-Shirts von eBay um Welten besser. Eine Krawatte zieht nach kuerzester Zeit Faeden und zerknittert - schlechter als die Dinger von C&A. Ich habe mich mittlerweile wieder etwas von diesem Markenhype etwas entfernt. Das, lieber Hansi, moechte ich dir auch ans Herz legen.
Fazit: Boss ist natuerlich nicht "schlecht" - das wuerde die Marke schnell ruinieren. Ein gewisser Qualitaetslevel am oberen Ende eines Karstadts wird erreicht. Aber ich persoenlich sehe die P/L hoechstens im Sale als gut an - zum normalen Preis wuerde ich die Marke nicht kaufen. Ansonsten bin ich auf unbekanntere Hersteller umgestiegen - ich moechte nicht 50% fuer die Werbung bezahlen. Am ehesten wuerde ich noch Anzuege kaufen. Bloss aber die Finger von Uhren, Brillen und Schuhen weglassen - denn das hat mit dem Unternehmen rein garnichts mehr zu tun.
PS: Lemon Goods
http://en.wikipedia.org/wiki/The_Market_for_Lemons