Aus der Serie: Mannesduft
The Knize Ten (1924)
Ein Monument der Herrenparfümerie und einer der wenigen, aber furiosen, Beiträge zur Parfümkultur aus dem deutschsprachigen Raum – zumindest von außen betrachtet. Ein Produkt des Wiener Herrenschneiders Knize tschechischer Extraktion (daher „Kniesche“ auszusprechen, aber schon damals auch anglisiert „Nize,“) in einem Flakon von Adolf Loos, der auch die Wiener Geschäftsräume entwarf. Der Duft selbst stammt allerdings von zwei französischen Giganten, Francois Coty, dem Vater der modernen Parfümerie und Vincent Roubert, der u.a. auch für die Klassiker Iris Gris und Green Water von Jacques Fath (mit)veranwortlich war. Die „Roaring Twenties“ waren eine Zeit des ungezügelten Hedonismus und luxuriöser Exzesse und das spiegelt sich auch in den extravaganten Düften dieser Ära wider, welche mit intensiven Leder- und Tabaknoten auftrumpften. Knize Ten hat eine traditionelle, üppig-dandyeske pudrig-florale Orient-Komponente aus Fruchtnoten, Rose, Ambra, Iris, Zimt und Gewürzen, die sich in unvergleichlicher Manier mit modernistisch-futuristischen Aspekten verknüpft, als ob eine Brescia Typ 23 von Bugatti durch eine Haremsszene von Ingrès brettert. Terpentingetränkter Lederlappen, Benzin und Teer fallen einem zu den Kopfnoten ein, wofür Birkenteer und womöglich synthetische Isobutylquinoline verantwortlich sind. Das Ergebnis ist jedoch nicht etwa disharmonische Kakophonie, sondern eine wundersame Symbiose aus Draufgänger, Gentleman und Dandy. Wie schon der Parfümkritiker Luca Turin anmerkte, sollte jeder dieses Parfüm besitzen, weil es absolut einzigartig ist.
Acqua di Parma (1916)
Acqua di Parma ist ein spätes Eau de Cologne – wir hören gleich noch vom ungleich älteren Original. 1916 war die Zeit dieser leichten Wässer aus Zitrusölen und dezent floralen Noten eigentlich bereits vorbei. Statusfunktion nahmen die neuen synthetisch veredelten Prachtdüfte von Coty, Guerlain, Piver und zunehmend auch den ersten Modehäusern ein, während das Acqua di Colonia bereits den Weg vom exquisiten Luxusgut zum industriell gefertigten Massenprodukt angetreten hatte, wofür beispielhaft der Name 4711 steht. Nichtsdestotrotz gelang es den Italienern über die Jahre ein Image der Exklusivität zu kultivieren und zu einem Duft der Hollywoodstars zu avancieren, ehe in den 1960er sein Stern zu sinken begann. Wahrscheinlich wäre Acqua di Parma irgendwann unbemerkt verschwunden, wenn nicht drei Liebhaber dieses Wassers den Betrieb 1993 gekauft hätten – es waren keine x-beliebigen. Diego Della Valle, Luca Di Montezemolo und Paolo Borgomanero, die Gründer bzw. Geschäftsführer von Tod’s, Ferrari und La Perla hatten die Kontakte, das Kapital und das Know-how um die Marke nicht nur wiederzubeleben, sondern zum Kult zu erheben. Inzwischen gehört Acqua di Parma zum Konzernmoloch LVMH (Louis Vuitton Moet Hennessy), der darauf spezialisiert ist mediokre Massenware als Simulacrum des echten Luxus zu verhökern. Das ehrwürdige Duftwasser erträgt diesen Umstand mit Würde, auch wenn es unter einer Lawine von Flankerprodukten nicht ganz ebenbürtiger Qualität zu begraben werden droht. Acqua di Parma bleibt trotz allem einer der schönsten Düfte seiner Art und sollte nicht wegen, sondern trotz seines Status als gehypte Marke benutzt werden. Eine wunderschöne, intensiv-gelbe Zitronennote, genial mit Verbene unterfüttert, repräsentiert den zitrisch-frischen Pol, eine grazile, leicht pudrige Rose, dezent verfeinert mit exotischem Ylang Ylang Öl, den elegant-floralen. Dazwischen entfalten sich zurückhaltend die klassischen Zutaten Rosmarin und Lavendel und eine sanfte Holzbasis verlängert den Duft. Das Ergebnis ist unangestrengte italienische Eleganz in Reinform.
Guerlain : Mouchoir de Monsieur (1904) und Jicky (1889)
Mit Häusern wie Coty, Houbigant und Piver gehört Guerlain zu den Pionieren des goldenen Parfümzeitalters und Jicky gilt als der erste moderne Duft überhaupt. Revolutionär war Jicky nicht, weil es synthetische Stoffe wie Kumarin und Vanillin enthielt, sondern weil es kein Versuch einer Abbildung eines natürlichen Blütenduftes war, kein Duftphoto, vielmehr etwas eigenständiges Neues: zitrisch, floral, würzig, animalisch, ein ästhetisches Statement mit Struktur und Facetten, geschaffen von einem Künstler. Es ranken sich Legenden um den Ursprung Jickys (Aimée Guerlains Verarbeitung einer unerfüllten Liebe?), aber der kantig-zurückhaltende Originalflakon lässt vermuten, dass der Duft für Herren gedacht war, auch wenn solche Kategorisierungen sich noch nicht verfestigt hatten. Die Öffentlichkeit reagierte auf Jicky allerdings zunächst mit Unverständnis und so versuchte Guerlain mit einer Reihe anderer Flakons Frauen dafür zu interessieren, was aber erst Anfang des 20 Jahrhunderts gelang – um 1910 war die Welt reif für eine so mutige Komposition. Lavendel, Bergamotte, Rosmarin und Rosenholz in der Kopfnote zeigen Jicky als Nachfahren des klassischen Eau de Cologne, doch zu diesem Komplex gesellt sich ein florales Herz aus Geranium, Jasmin und Rose. Wie wir es heute als normal kennen folgt dann noch eine (süss-pudrige, orientalische) Basis aus Tonka, Opoponax, Kumarin, Vanillin und einer ordentlichen Dosis Zibet, welches den besonders in den höheren Konzentrationen deutlichen Fäkalton verursacht. 1904 schuf Aimées Neffe Jacques Guerlain eine gezähmte Jicky-Variante speziell für Herren, die beim Adamsgeschlecht auch wesentlich besser ankam. Im Vergleich zu Jicky Eau de Parfum sind die animalischen und balsamischen Noten zurückgenommen, es dominiert der Lavendel-Kumarin Kern mit frischen Obertönen. Jicky ist zweifellos erst einmal schwieriger zu tragen, belohnt aber mit einer gegenüber dem eher zweidimensionalen Mouchoir mit einer beeindruckenden Räumlichkeit, einer faszinierenden Transparenz, wie man sie eher von neueren Parfümeffekten kennt. Mouchoir de Monsieur ist ein großartiges Parfüm, Jicky ist – groß. Es sei noch erwähnt, das Mouchoir jahrzehntelang exklusiv für zwei Männer hergestellt wurde: König Juan Carlos von Spanien und den Schauspieler Jean-Claude Brialy. Noch immer ist es ein selten anzutreffender Duft für Dandys und Gentlemen alter Schule – man sollte ihn versuchen, und wenn man ihn lieb gewonnen hat, das Abenteuer Jicky (Sean Connerys Lieblingsduft) wagen.
Penhaligon’s: Blenheim Bouquet (1902) und The Hammam Bouquet (1872/1890)
Wir kommen zur viktorianischen Duftkultur und ihrem Zentrum London. Selbst im mondänen Paris betonte Guerlain 1853 ausdrücklich das im Eau de Cologne Impériale der Kaiserin Eugénie kein unzüchtiges Moschus enthalten sei. Im prüden protestantischen Norden war Parfüm für moralisch aufrechte Damen noch verpönter und begrenzte sich auf leichte, „unschuldige“ Blütendüfte, die mit der Parfümrevolution der Jahrhundertwende schnell vergessen waren. Die viktorianische Herrentradition dagegen ist sichtbar und lebendig geblieben, weil sie eng an die Toilette des gepflegten Gentlemen gebunden war, deren Repräsentanten nach vielen Auf- und Abschwüngen immer noch (Trumper, D.R. Harris), wieder (Penhaligon’s) oder in neuer Form (Truefitt, Crabtree & Evelyn) existieren. Penhaligon’s ging nach schweren Zeiten während der Weltwirtschaftskrise im Zweiten Weltkrieg endgültig unter und wurde 1975 von Franco Zeffirellis ehemaliger Assistentin Sheila Pickles mit Hilfe des alten Rezeptbuches neu lanciert (der Regisseur liebte Hammam Bouquet). Zu den Leuchttürmen gehören gleich zwei mustergültige englische Traditionsdüfte dieses Hauses, die interessanterweise die kulturellen Extreme ihrer Epoche verkörpern. Blenheim Bouquet entspricht in jeder Hinsicht unseren Klischees des Viktorianismus. Ein strenges Wasser aus Zitrus- und Fichtennoten mit herben Kräutern (Thymian sticht hervor), welches Unnahbarkeit, und distinguiert-kühle Überlegenheit ausstrahlt. Man kann sich einen herrischen Churchill (der übrigens im Blenheim Palace geboren wurde) damit vorstellen, aber ebenso eine wilde Berg- und Heidelandschaft in den Highlands, wie sie die Viktorianer über alles liebten. BB ist besonders bei sartorial konservativen Amerikanern beliebt und zweifellos ist ein klassischer gedeckter Maßanzug eine ideale textile Ergänzung zu diesem Parfüm – ein Country-Oufit aus schwerem Tweed allerdings nicht minder. Für Anglophile ist es ohnehin ein Muss, als solcher gebe ich allerdings auch zu Protokoll, dass das nicht mehr erhältliche Town & Country der verblichenen Crown Perfumery zwar das plagiierend spätere (1925) aber gleichwohl – zumindest meiner unmaßgeblichen Meinung nach – das bessere Blenheim Bouquet war (N.B.: vereinzelte Flakons schwirren noch im Cyberspace umher).
Auf den Kopf gestellt wird unser Englandbild von The Hammam Bouquet, dem Duft, mit dem Mr. Penhaligon aus Cornwall seine Karriere begann. 1862 eröffnete Urquhart’s London & Provincial Turkish Bath Company einen Hammam in der Jermyn Street 76, in dem die Power-Elite ihrer Zeit zu verkehren pflegte. Zu dieser Zeit entstanden Hunderte von Hammams in England, der letzte auf der Jermyn Street schloss erst 1975. In Anlehnung an dieses Bad, innerhalb dessen Mauern Penhaligon seine Waren und Friseurdienste feilbot, entstand Hammam Bouquet, ein klassisches Exempel europäischen Orientalismus und viktorianischer Doppelbödigkeit. Denn dieses opulente Elixier aus Bergamotte, Lavendel, Rose, Jasmin, Zeder, und vor Erotik strotzendem Moschus müsste eigentlich Harem Bouquet heißen. Steven Marcus hat in „The Other Victorians“ die pornographischen Exzesse knapp unter dem properen Furnier der Ära ausgiebig dargestellt und man kann annehmen dass dieser Duft ähnlich wie Ingrès Gemälde gleichen Namens (Hammam = türkisches Bad) den Orient als Projektionsfläche ausschweifender aber unterdrückter sexueller Fantasien instrumentalisierte. In einer Art doublethink dürfte ihre erotische Botschaft den Herren, die ihr Taschentuch mit dieser floral-animalischen Essenz bedufteten, bewusst, aber auch nicht, gewesen sein. Zweifellos eignet es sich als ideales Demonstrationsobjekt für kulturhistorische Vorlesungen. Der Duftexperte Luca Turin bemängelt allerdings an der gegenwärtigen Version die Qualität der Ingredienzen (echter Moschus und Sandelholz bewirkten einzigartige Diffusionseffekte und ältere Versionen sollen zudem noch wesentlich brünstiger geduftet haben), aber es spricht für Hammam Bouquet, dass der Duft trotzdem begeistert. Man wird ihn im Übrigen trotz der floralen Opulenz kaum für ein „Queen Mum“ Parfüm halten und nach ersten femininen Assoziationen wird man auch deutlich „maskuline“ Aspekte erkennen. Trotzdem ist dieser Stoff natürlich nicht für das Büro geeignet, sondern eher für Dandys und romantische Eskapaden. Wen das verlockt, der wird von dieser 120 Jahre alten Preziose (die Firma nennt 1872 als Ursprungsdatum, nachweisbar eingetragen wurde die Marke allerdings erst 1890) nicht enttäuscht werden.
Geo. F. Trumper: West Indian Extract of Limes (1880) und Wild Fern (angeblich 1878, mit Sicherheit aber erst nach 1882).
Aus diesem ehrwürdigen Haus, in dessen holzgetäfelten Räumlichkeiten man sich immer noch perfekt rasieren und frisieren lassen kann stammen ein Fougère das an die Wurzeln der modernen Parfümerie heranreicht und ein wunderschönes Beispiel für das Neue im Alten. Der simple, kurzlebige, unnachahmlich erfrischende und authentisch duftende West Indian Extract of Limes ist im Prinzip nichts anderes als Urgroßvaters Bodysplash. Von allen Produkten dieser Art ist Trumper’s das älteste und dem Duft nach natürlichste – Limette pur, sonst nichts. Beim Frühstück ist es bereits verflogen und man kann getrost das eigentliche Parfüm des Tages auflegen. Die von Nordeuropäern so ersehnte sonnig-karibische Erfrischung äußert sich aber vielleicht noch im beschwingten Schritt durch den Nieselregen. Dieses zeitlose, rezeptfreie Antidepressivum sollte man immer zur Hand haben, am besten in der 500ml Schüttflasche.
In England – wo sonst – hat sich die Urform des Fougères im Programm ein paar weniger traditioneller Häuser gehalten. Der renommierte französische Parfümeur Houbigant brachte 1882 zunächst als Toiletettenseife sein Produkt Fougère Royale (königlicher Farn) auf den Markt. Zwar hat Farn keinen Geruch, doch der Name sollte auf den grünen Charakter des Duftes verweisen, der parfümhistorisch von großer Bedeutung ist: zum ersten Mal wurde ein synthetisierter Stoff in tragender Rolle eingesetzt, das nach frischem Heu duftende Kumarin, welches, neben zahllosen anderen Pflanzen, in der Tonkabohne, im Lavendel und – besonders deutlich – im Waldmeister enthalten ist, allerdings in vergleichsweise geringer Konzentration. Lavendel, Kumarin und Eichenmoos bilden das Rückgrat des Fougères, welches sich zum wichtigsten Typus der Herrenparfümerie weiterentwickeln sollte (Klassiker sind z.B. Dunhill for Men, Moustache, Paco Rabanne, Azarro, Davidoff Cool Water). Der Urtyp wird eine Nase von heute nicht zufällig zunächst an eines erinnern: Seife. Sauberer, seifiger Duft, gesponnen aus der grün-kräuterigen Würze des Lavendels und der pudrig-heuigen Süße des Kumarin. An dem für seine Zeit schon innovativen, aber wohlerzogenen Wild Fern kann man übrigens sehr schön die Radikalität von Jicky (sowie die grundsätzliche ästhetische Divergenz englischer und französischer Parfümerie) ermessen. Heute wird dieser Klassiker vielen uninteressant erscheinen, obwohl er bei näherer Betrachtung ungewöhnlich viel Charme hat und immer noch in wunderbarer Weise reservierte Eleganz ausstrahlt. Das eng verwandte Fougère der Crown Perfumery ist mit dieser verschwunden, aber das auch Penhaligon’s noch ein (wiederum leicht abgewandeltes und ebenfalls schönes) English Fern anbietet zeigt, dass dieser Duft aus alten Zeiten noch immer seine Freunde hat –zu Recht.
Farina Gegenüber Eau de Cologne (1714)
Quasi den Anfang einer europäischen Parfümtradition bildet das Eau d’Hongrie, ein simples Rosmarinwasser, welches der (fiktiven, aus historischen Figuren zusammengesetzten) ungarischen Königin Elisabeth zu bleibender Schönheit verhalf und realiter in der klösterlichen Welt der Kräutergärten und Destillier- und Brauexperimente anzusiedeln ist. Hieraus entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte unzählige Wässerchen, denen allerlei besondere Wirkungen nachgesagt wurden. Aus dieser Tradition heraus erfand der aus Norditalien zu Verwandten nach Köln eingewanderte Johann Maria Farina 1714 das Eau de Cologne, eine spezifische Rezeptur aus hesperidischen (Bergamotte, Zitrone, Pampelmuse, Petitgrain, Orange, Neroli), floralen (Nelke, Ringelblume) und Kräuternoten (Rosmarin) und geringen Mengen anderer Zutaten (z.B. Sandelholz), unter denen die Bergamotte (bekannt vom Earl Grey Tee) dominierte (eine spätere Eau de Cologne Linie, etwa des Pariser Farina Großneffen Jean-Marie, dessen Wasser heute von Roger & Gallet hergestellt wird, stellte Orangenblüte in den Mittelpunkt). Aus dem Schriftverkehr Farinas ist ersichtlich, dass er ein Qualitätsfanatiker war, der nur die besten ätherischen Öle akzeptierte und sich zudem intensiv mit Destillationsmethoden und anderen Aspekten der Duftherstellung beschäftigte. Das Qualitätsbewusstsein der Farinas, der grundlegende Wandel im Geschmack von schweren animalischen Düften des Barock die wissenschaftlich zunehmend als ungesund verurteilt wurden, zu leichteren floralen Essenzen die den Idealen des Rokoko entsprachen, und das Interesse französischer Besatzungstruppen am erfrischenden Duftwasser machten Farinas Wasser im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Bestseller und seinen Namen schließlich für zwei Jahrhunderte zum Synonym für Eau de Cologne. Dutzende falscher Farinas sprossen seit ca. 1800 wie Pilze aus dem Boden, darunter auch die Unternehmung eines Spekulanten namens Muelhens, dessen Nachkommen gut 80 Jahre später einen Markenschutzprozess verloren und ihre Firma daraufhin von Franz Farina umtauften zu – 4711. Wie auch viele englische Traditionshäuser erlebte Farina Gegenüber im zwanzigsten Jahrhundert einen langsamen aber unaufhaltsamen Niedergang. Eau de Cologne verlor seinen Status als Luxusprodukt und ästhetisches Leitbild und wurde zum aufdringlich billig riechenden Omawässerchen. Seit den 90er Jahren kontrollieren die Farinas ihr Haus wieder vollständig und haben ihren Duft erfolgreich zu einem Nischenparfüm aufgebaut. Zu Recht kann sich Farina Gegenüber als ältestes Parfümhaus der Welt bezeichnen. Das heutige Eau de Cologne ist allerdings dem Zeitgeschmack (für die Nase des Autors zu stark) angepasst. Synthetische Materialien, wie z.B. Ionone, machen das Eau de Cologne intensiver und langlebiger als es seiner Art nach sein sollte. Die zunehmend strengen und teils völlig unsinnigen Restriktionen bestimmter Naturöle, etwa der den Duft bestimmenden Bergamotte, stellen eine weitere große Herausforderung dar. Ein gut erhaltener Flakon aus den 50er Jahren zeigt Farina in seiner alten, fragilen Schönheit eines leichten, dabei edlen, beschwingenden Duftwassers, welches in der heutigen Welt olfaktorischer Überfrachtung – von billigem Weichspülergestank bis zu Duftbäumchen, von subliminaler bis penetranter Raumduftberieselung, wohl in der Tat chancenlos wäre. Nichtsdestotrotz ist es lehrreich, die stereotype Vorstellung von Kölnisch Wasser durch einen Spritzer des aktuellen Farina Gegenüber in Frage zu stellen, denn darüber erhebt sich auch die moderne Variante deutlich.
Mit historischen Düften, ob fünfzig oder dreihundert Jahre alt, ist es wie mit der Geschichte an sich: man kann sich annähern, aber das wahrhaft Authentische ist nie ganz zu greifen, geschweige denn die Wahrnehmung der Dinge durch vergangene Generationen von Menschen. Das ändert aber nichts an der Faszination und Schönheit alter Düfte, welche es zweifellos vermögen den Parfüms der Gegenwart Paroli zu bieten, aber auch, ihre Herkunft besser zu verstehen. Nicht nur für Duftnostalgiker, sonder auch für Individualisten und, wie schon angemerkt besonders für Sartorialisten mit ausgeprägtem Stilempfinden, sind ältere Düfte oft der Schlüssel zur Vervollkommnung einer persönlichen Ästhetik. Die hier vorgestellten Leuchttürme mögen dabei als hilfreiche Orientierung dienen.