Aus der Serie: Mannesduft
In der letzten Kolumne sprach ich vom langen Schattendasein des Herrenparfüms. Zwar war die Zahl der explizit als Düfte für Männer lancierten Produkte jenseits von Rasierwässern im Vergleich zu den endlosen Kolonnen immer neuer Damenparfüms in der Tat fast infinitesimal. Gleichwohl existierten in diesen „dunklen Jahren“ Leuchttürme, brilliante Kompositionen für den Gentleman, deren olfaktorisches Feuer so hell brannte, das selbst heute eine erfreulich große Anzahl dieser Klassiker noch – oder wieder – erhältlich ist. Auch wenn sie wie die meisten Parfüms im Laufe der Jahre mehrfach und teilweise radikal reformuliert wurden, bieten sie uns einen faszinierenden Blick in eine duftende Vergangenheit und, was für den Sartorialisten noch interessanter sein dürfte: sie repräsentieren hervorragende Alternativen zum Einheitsbrei der Mainstreamparfümerie im Hier und Jetzt. Was könnte denn auch besser zu einem nach traditionellen Qualitätskriterien geschneiderten Anzug passen, als ein nach ähnlich klassischen Prinzipien konstruiertes Parfüm? Without further ado: James, werfen Sie die Zeitmaschine an….
Carven Vetiver (1957)
Das viskose, erdig-rauchig-grüne Öl der insbesondere in Java und Haiti destillierten Wurzel des Vetivergrases ist eine der beliebtesten Parfümingredienzen und Namensgeber zahlloser Herrendüfte. Carven war besonders früh am Start und bot eine ausgewogene Mischung von grüner, zitrusgestützer Frische und dezent rauchig-holzigen Vetivernoten auf pudrig-floralem Kissen. Der Duft des Originals passt perfekt zu einem navy worsted blazer – leicht und doch mit griffiger Textur und Carven weckt in Manchem gar vielleicht Assoziationen an ein Schneideratelier – edle Stoffe, der ferne Hauch einer feinen Zigarre, eine Atmosphäre durchzogen von Gediegenheit als auch von schnörkelloser Handwerkskunst, Understatement und Selbstgewissheit. Leider war Vetiver ein klassisches Beispiel für den schrittweisen Niedergang eines großen Parfüms bis hin zum Niveau belanglos-billiger Wässerchen. Die Wiedergeburt des Originals im Jahre 2009 als „Le Vetiver Eau de Parfum“ lässt allerdings hoffen. Wem das allein nicht genügt, dem sei das sehr gelungen rekonstruierte Vetyver von Givenchy (1959) als Alternative anempfohlen. Als Lieblingsduft Hubert de Givenchys ist nicht minder distinguiert, mit einer weicheren, nussigen Vetiverinterpretation. Smooooth! Wer unbedingt Guerlain, den dritten Klassiker im Vetiverbunde (1961), tragen möchte, sollte den Herrenduft links liegen lassen und in das teure, aber makellose Vetiver pour elle investieren.
Chanel pour Monsieur (1955)
Der erste Duft für Männer aus Cocos Imperium ließ schon ahnen, dass bessere Zeiten für männliche Duftliebhaber angebrochen waren. Wie es sich für ein Haus gehört, dass auch heute noch – trotz vieler Zugeständnisse an den Massengeschmack – hohe Maßstäbe an seine besten Produkte anlegt ein Klassiker und Inbegriff distinguierter und doch entspannter Eleganz. Ein frischer wie förmlicher Duft aus der Chypre Familie, der den Grundakkord aus Bergamotte, süss-harzigem Labdanum und strengem Eichenmoos perfekt setzt. Der Anzug scheint plötzlich noch besser zu sitzen und der Esprit funkelt wie frisch geschliffen. Sprezzatura pura.
Rochas Moustache (1948-49)
Aus der Duftorgel des großen, vielleicht des größten Meisters, Edmond Roudnitska kam, mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau Therèse, ein Nachkriegsduft, der die Kunst der haute parfumerie nahtlos fortführte. Roudnitska schuf 1944 in den Wirren des Krieges das monumentale Rochas femme und erlangte später insbesondere durch die Düfte für Dior (der Herrenklassiker Eau Sauvage, sowie Diorama, Diorella, Diorissimo u.a.) unsterblichen Ruhm. Franzosen lieben ein bisschen Schmutz in ihrem Parfüm, denn schließlich geht es ja immer auch um Körperlichkeit und Sex. Neben Moschus (heute nur noch synthetisch) sorgt z.B. das Analsekret der Zibetkatze für den libidinösen Unterton in vielen Parfüms, so auch in Moustache. Roudnitska war ein Meister der Verknüpfung von eleganter Frische und organisch-animalischen Noten und Moustache nahm bereits Vieles seiner Geniestreiche für Dior und Hermes (Eau d’Hermes – eine durchgeschwitzte Zitrone) vorweg. Wir haben hier grundsätzlich ein Fougère, dessen Basistruktur Lavendel, das herb-strenge Eichenmoos und das heuig-süße Cumarin der Tonkabohne bilden. Der Lavendelkopf ist mit der zitrischen Frische von Limette angereichert, aber die animalische Komponente brodelt schon unter der Oberfläche. Das Herz ist eine extrem intelligente, aber unkompliziert elegant wirkende Komposition aus floralen, kräuterigen und würzigen Noten und dem Aroma überreifer Früchte, die Fougère-Basis wird durch Vanille, Ambra, Zeder, Zibet und Moschus ledrig- pudrig und urinös-animalisch. Das Ergebnis ist ein feiner Maßanzug, der einem in jeder Sekunde vom Leib gerissen werden könnte. Die aktuelle Version von Moustache ist modernisiert, d.h. zitrischer, insgesamt kräftiger, aber mit weniger Tier im Manne. Ein guter Einstieg, aber der Schritt zur noch leicht erhältlichen Vintage-Version ist nur eine Frage der Zeit.
Old Spice (1937)
Old Spice darf in dieser Liste nicht fehlen. Erinnern Sie sich an die letzte Kolumne? Dieser Inbegriff des maskulinen Mittelschichtenduftes begann seine Karriere als Damenparfüm namens „Early American Old Spice.“ Der Erfolg für die 1934 gegründete Firma Shulton kam aber erst mit dem Relaunch als Herrenprodukt. Ein klassischer, massiver „Orientale:“ Zitrus, Gewürze und Aldehyde im Auftakt, süss-florales Herz aus Zimt, Geranie, Jasmin, Nelke, Heliotrop und Piment, würzig-süße ambrierte Basis mit Vanille, Tonkabohne, Weihrauch, Benzoin, Moschus und Ambergris. Die Intensität und Qualität des Originals ist heute verschwunden – durch Cool Water sozialisierte Nasen werden das zweifellos begrüßen – aber immerhin bietet uns Old Spice heute eine der genialsten Werbekampagnen aller Zeiten.
Pour un homme de Caron (1934)
Für viele schlechthin der Lavendelduft. Das violette Kraut, welches unvermeidlich Bilder der Provence vor dem inneren Auge aufsteigen lässt, hat aufgrund seiner antiseptischen, tonisierenden und gleichzeitig beruhigenden Wirkung wie auch Nelke und Zitrusöle schon immer einen festen Platz in der Welt der Rasur und Körperpflege innegehabt und ihn im Kontext der Parfümerie als eigenständige Duftkategorie und als Bestandteil der Fougères standhaft behauptet. „English Lavender“ (von Atkinsons, Yardley und zig anderen Herstellern) war schon lange vor 1934 ein stehender Begriff, als Ernest Daltroff, ein weiteres Parfümgenie, auf die simple wie brilliante Idee kam eine wunderschöne klar-kräuterige Lavendelnote mit ambrierter Vanille, also einer orientalischen Basis, zu vermählen. Das floral-würzige Herz leistet seine Verkupplungsarbeit dezent im Hintergrund. Trotz der süßen Basis ist dieser Klassiker in keiner Weise klebrig oder schwülstig, die Lavendelfrische hält sogar erstaunlich lange an. Für den gepflegten Herren, so er nicht gerade den Duft Südfrankreichs verabscheut, absolute Pflicht.
Dunhill for Men (1934)
Neben Caron entstand in diesem Jahr ein weiterer exquisiter Herrenduft, lanciert vom ur-britschen „purveyor of quality gentlemen’s requisites since 1893“ Dunhill. Der junge Alfred verwandelte die Sattlerei des Vaters in einen Lieferanten für „motorities“, edles Automobilzubehör, verlegte sich danach auf Tabak, Pfeifen und Raucheraccessoires, um schließlich ein immer breiter gefächertes Sortiment an Luxuswaren anzubieten, in dem ein Duft nicht fehlen durfte. Wer Jermyn Street und Savile Row liebt, wer den Stil Astaires oder Cary Grants bewundert, braucht Dunhill for Men, denn in diesem seit 1934 fast unveränderten zylindrischen Flakon steckt die Essenz klassisch-eleganter Maskulinität. Dezent (es handelt sich um ein Eau de Cologne mit niedriger Parfümkonzentration), jedoch erstaunlich lang anhaltend, präsentiert sich eine perfekte Symbiose all der Noten, welche den Duft des Gentleman alter Schule definieren: Zitrus, Lavendel und Muskatellersalbei für würzige Frische; Rose, Jasmin, Nelke und Sandelholz für florale Eleganz; Leder, Zeder, Tonka, Moos, Ambra und Moschus für pudrig-seifige Sauberkeit und herbe Männlichkeit. Es gibt unzählige Rezepturen dieser Art und das kollektive Männergedächtnis wird damit zweifellos Erinnerungen an altmodische Frisiersalons, Morning Dress und abgewetzte lederne Clubsessel verbinden. Dunhill destillierte in diesem Meisterwerk gleichsam die platonische Essenz einer inzwischen fast vergangenen Welt. Folgerichtig wurde die Produktion vor einigen Jahren eingestellt, während die aktuellen Düfte von Dunhill, das als Parfümmarke zum umfangreichen Stall von Procter & Gamble gehört, beispielhaft für den Qualitätsverfall in der Branche stehen – dass Eau de Toilettes mit dem Charisma von, pardon, Klosteinen unter diesem altehrwürdigen Namen abgefüllt werden, ist nicht weniger als eine Schande. Dennoch: manches Parfümgeschäft mit älteren Lagerbeständen und diverse Internetanbieter führen weiterhin Dunhill for Men, und für eine kleine Weile wird das magisch duftende Tor in eine wunderbare Welt männlicher Eleganz und Distinguiertheit noch offen bleiben. Wie sagte es Fritz Leiber: “Catch that Zeppelin!“
Im zweiten Teil der „Leuchttürme“ reisen wir von den wilden Zwanzigern via London und Paris bis an die Wurzeln der europäischen Parfümerie zurück.
Bilder mit freundlicher Genehmigung von www.parfumdepub.net