Ich will die Diskussion nicht ausarten lassen, aber einfach kurz nochmal fundierter auf den Standpunkt eingehen. Diese Art von Jacken ist generell staerker tailliert, das ist schon richtig. Ich habe etwas aehnliches auch daheim haengen, auch die sitzt in der Mitte recht spack. Der Punkt der fuer mich hier Probleme macht, ist nicht, dass es Falten wirft am Schliessknopf (bei dem Stoff muss man das auch erstmal schaffen), vielmehr geht es darum, wie das Schliessen den Sitz des Sakkos veraendert.
Weil es m.E. an der Huefte zu eng ist, zieht es das ganze Sakko entlang der mittleren Vertikalen nach oben. Das fuehrt im unteren Bereich dazu, dass die eh schon "geschlossenen Quarters" zusammengestaucht werden, keine einheitliche Linie bilden und sich somit zusammenziehen. Dazu kommt, dass an den Seiten der Taille die Silhouette sich nicht an den Koerper anschmiegt und dann gleichmaessig nach unten auslaeuft, sondern auf Widerstand trifft und ab einem gewissen Punkt nach unten abknickt. In Kombination mit dem Zusammenziehen entlang der Vertikalen, betont das die Huefte schon sehr stark. Eigentlich sollte das Sakko nach dem Schnitt hier nach unten auslaufen, was nicht moeglich ist, weil es auf Grund der Spannung zusammengezogen wird. Das Selbe ist dann im oberen Bereich gegensaetzlich erkennbar, wo das Rever bis zu einem gewissen Punkt aufklappt, und dann etwas einknickt, was wiederum die Silhouette in gewissem Masse "bricht".
Dieses Konzept der stark taillierten Jacke hatte mir mal ein englischer Schneider so historisch begruendet, dass der Englaender bei Regen alles in seinen Innentaschen haben musste und deswegen noch so viel Platz z.B. im Brustbereich war, dass man gemuetlich noch allerlei Utensilien verstauen konnte. Hier sitzt das Sakko im Brust/Schulter Bereich sehr gut, aber eng an, wenn das Sakko nicht geschlossen ist - soweit erkennbar. Das fuehrt sozusagen auch aus der Geschichte dieser Jacken dazu, dass es um den Bauch etwas eng wird.
Ich habe das mal versucht etwas zu skizzieren, allein weil ich das schon so oft gesehen habe und auch mal machen wollte. Ich hoffe das ist ok, Beethoven, ist nicht als Fundamentalkritik an der Jacke gedacht, sondern einfach mal als Anschauungsobjekt.
Uebrigens versuche ich mich auch gerne darin second hand ueber ebay oder Konsorten zu ersteigern. Die Wahrheit ist aber: selbst mit gutem Anpassen beim Schneider danach passen viele Sachen einfach nicht so, wie man es sich vorstellt. Selbst wenn man die Massen in- und auswendig kennt, hat man bei ebay die Jacke halt vorher noch nicht angehabt.
Lieber Banker,
Du misst Beethovens Sakko an einem Standard, der sich in unserer Vorstellung als normsetzende Qualität für den Schnitt eines klassischen Sakkos etabliert hat (und, wie von Butch mehrfach betont, auch unsere sartorialen Konnotationen dieses Begriffes "klassisches Sakko" ebenso wie unsere Seh- und Urteilsgewohnheiten maßgeblich geprägt hat).
Gemessen an diesen Vorstellungen kann Beethovens Sakko in Deinen Augen nur schlecht abschneiden - wie Du ja durch Deine Skizze belegst (welche uns den Status des So-sollte-es-eigentlich-sein als Kontrast für die "Fehler" des Sakkos liefert).
Mir dagegen hat gerade Paisleys kleiner historischer Exkurs zum Punkt Zweckhaftigkeit geholfen zu verstehen, warum das Sakko so aussieht wie es aussieht - bzw. warum es genau mit einem derartigen Schnitt gefertigt wurde, den es nun einmal hat. Weil dies einem bestimmten Zweck diente, weil dieser Schnitt das Sakko für einen ganz bestimmten Gebrauch prädestiniert hat - dem Einsatz beim Reiten, also vermutlich bei der Jagd, die ja irgendwie auch zum britischen Stil-Kosmos gehört. Ich mag die Erhellung solcher kulturhistorischen Hintergründe, die etwas von einer Etymologie sartorialer Phänomene hat und den Blickwinkel weitet.
Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Um eine Analogie aus dem Sport zu bemühen: Wenn man Beethovens Sakko mit dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Jürgen Kohler gleichsetzte, dann würde die Banker-Fraktion sagen: Jürgen Kohler war ein Grobmotoriker, er konnte nicht elegant mit dem Ball umgehen und hatte keine Technik. Pierre Littbarski dagegen war ein begnadeter Techniker, der unheimlich elegant und spektakulär dribbeln konnte und den Ball so zärtlich und virtuos streichelte wie einst Paganini seine Geige. Er war ein Klasse-Fußballer. Gemessen an dessen individuellen Fähigkeiten und dessen Repertoire war Kohler nur Durchschnitt und kein guter Kicker.
Nur funktioniert das so nicht, denn Kohlers
Zweck war ein anderer: Er war Verteidiger, hatte die gegnerischen Stürmer in Manndeckung zu nehmen und in der Abwehr ordentlich dazwischen zu grätschen. Und für diesen Zweck war seine kantige Anatomie und sein unempfindlicher Eisenfuß sogar von Vorteil. Deshalb kann man ihn für die Beurteilung seiner Qualitäten nicht an Pierre Littbarski messen. Man kann zwar sagen, dass Kohler kein guter Fußballtechniker war, aber trotzdem war er, gemessen an seinem Zweck, ein Klassespieler, der immerhin 105 Länderspiele bestritt.
Jetzt könnte man sich darüber streiten, inwieweit es legitim ist, ein Sakko mit einem für das Sitzen auf dem Pferd konzipierten Schnitt zu tragen, wenn man gar nicht reitet. Aber zu diese Frage wurde bereits vieles gesagt, deshalb will ich darauf verzichten.
Ich finde nicht, dass Beethovens Sakko an seinem Träger schlecht aussieht. Es sieht eher, hm ...
ungewöhnlich aus.
Mit freundlichen Grüßen
der rüganer