Warum gibt es keinen Herrenausstatter in Ostdeutschland - 22 Jahre nach der Wende?

Vielen Dank für die Ergänzungen:

Ich habe ja bewusst einige Dinge etwas überspitzt, da in einem Beitrag stand, dass die Ost-West-Sozialisation 22 Jahre nach der Wende ja wohl keine Rolle mehr spielen könne. Und dem möchte ich sehr stark widersprechen. Denn das ist genau dieser Irrglaube, der nach der Wende zuhauf von Politikern verbreitet wurde: Bei der Generation, die nach Wende geboren wird, gebe es keine Unterschiede mehr. Dabei wurde aber völlig vergessen, dass diese Kinder natürlich von Eltern erzogen werden, die in in der DDR sozialisiert wurden und somit auch bestimmte Dinge mitgegeben werden.
Ich meine das vollkommen wertfrei. Aber ich halte nichts davon, vor lauter political correctness Unterschiede zu negieren, die man bei einfachem Hinschauen erkennen kann.

Und natürlich sieht es in Westdeutschland in der Breite auch teilweise zappenduster aus. Dort machen auch reihenweise die Herrenausstatter die Läden dicht. Wenn ich an meine hessisches Heimatstadt denke: Von den ehemals vier hochwertigen Herrenausstattern, die es vor 15 Jahren noch gab, exisitert noch einer, stattdessen nur noch irgendwelche Ketten.
Aber das wäre jetzt ein anderes Thema...

Doch etwas brennt mir noch auf den Nägeln: Essen in Brandenburg....genau, lieber Musikliebhaber, sie haben vollkommen recht, wenn ich dort gut essen will, muss ich vorher in einen Restaurantführer schauen...fahre ich dagegen in München aufs gerade Wohl aufs Land (habe 10 Jahre dort gelebt) finde ich immer etwas, wo man gut essen kann.....und nicht Futtern wie Muttern und Euro-Asia-Imbiss ;):eek:
War nicht böse gemeint...aber Rainald Grebe weiß schon, warum er singt: Nimm was zu essen mit, wir fahrn nach Brandenburg ;)
 
Vielen Dank für die Ergänzungen:

Ich habe ja bewusst einige Dinge etwas überspitzt, da in einem Beitrag stand, dass die Ost-West-Sozialisation 22 Jahre nach der Wende ja wohl keine Rolle mehr spielen könne. Und dem möchte ich sehr stark widersprechen. Denn das ist genau dieser Irrglaube, der nach der Wende zuhauf von Politikern verbreitet wurde: Bei der Generation, die nach Wende geboren wird, gebe es keine Unterschiede mehr. Dabei wurde aber völlig vergessen, dass diese Kinder natürlich von Eltern erzogen werden, die in in der DDR sozialisiert wurden und somit auch bestimmte Dinge mitgegeben werden.
I
Ich denke wir sollten die Diskussion jetzt nicht zu weit führen. Und Sie haben mit der Aussage natürlich recht, ich halte dies nur für keine ausreichende Begründung in Sachen Mode. Ich wage zu behaupten, dass das Stil- und Modebewusstsein in der DDR nicht mehr gelitten hat als im Ruhrgebiet. Nur als kleines Beispiel möchte ich erwähnen, dass meine Generation Anfang der 90er regelmäíg mit den Taschen voller Bargeld nach Berlin gefahren ist, um auch den letzten Pfennig für Sachen auszugeben, welche sie sich gemessen am Einkommen (oder dem Weihnachts- und Geburtstagagsgeld :) ) überhaupt nicht leisten konnten. Da wurde eventuelle Sozialisation komplett über Bord geworfen. Dazu gab es in der Zeit eine ganze Reihe gute Geschäfte für Kleidung, diese gibt es heute nur noch zum Teil. Die Billigheimer haben die ostdeutche Provinz auch erst vor 10-12 Jahren entdeckt. Soll heißen, das mE die Globalisierung diesbezüglich eine größere Rolle gespielt hat als der vorher herrschende Sozialismus. Das war dann aber sicher ein gewisser Multiplikator.
 
Ich denke wir sollten die Diskussion jetzt nicht zu weit führen. Und Sie haben mit der Aussage natürlich recht, ich halte dies nur für keine ausreichende Begründung in Sachen Mode. Ich wage zu behaupten, dass das Stil- und Modebewusstsein in der DDR nicht mehr gelitten hat als im Ruhrgebiet. Nur als kleines Beispiel möchte ich erwähnen, dass meine Generation Anfang der 90er regelmäíg mit den Taschen voller Bargeld nach Berlin gefahren ist, um auch den letzten Pfennig für Sachen auszugeben, welche sie sich gemessen am Einkommen (oder dem Weihnachts- und Geburtstagagsgeld :) ) überhaupt nicht leisten konnten. Da wurde eventuelle Sozialisation komplett über Bord geworfen. Dazu gab es in der Zeit eine ganze Reihe gute Geschäfte für Kleidung, diese gibt es heute nur noch zum Teil. Die Billigheimer haben die ostdeutche Provinz auch erst vor 10-12 Jahren entdeckt. Soll heißen, das mE die Globalisierung diesbezüglich eine größere Rolle gespielt hat als der vorher herrschende Sozialismus. Das war dann aber sicher ein gewisser Multiplikator.

Vollkommen richtig. Ich wollte ja meine Aussagen auch nicht als alleinige Begründung verstanden wissen. Solche Entwicklungen haben ja in der Regel vielfältige Einflüsse...
 
These: Man will einfach nicht wie ein Besserwessi aussehen...

Um die Diskussion mal wieder etwas fortzuführen, hier die entspr. Gedanken eines guten Freundes aus den neuen Bundesländern der, etwas extrem formuliert
eher bei KiK als Kiton kauft,
obwohl er sich Letzteres locker leisten könnte und ansonsten durchaus Geschmack hat und vielseitig interessiert ist
(nicht wörtlich und sicher überspitzt, aber das ist der Tenor):

Seit der Wende bzw. Deutschen EInheit sind Anzug, Krawatte, Einstecktuch,
feine AKtentaschen, elegant aussehende Herrenschuhe, Kaschmirschals
etc.pp. im Osten eher verrufen bzw. zumindest im Unterbewußtstein
exklusiv dem arroganten Besserwessi vorbehalten,
seien es nun überschlaue Westspitzenbeamte,
Ostindustrie vernichtende Treuhandanstaltidioten
und Unternehmensberater, Bankster, BRD-Politikergesocks,
andere westdeutsche Glücks- und Raubritter, Streber,
pathologische Ehrgeizlinge, Pharmavertreter und ähnlich unbeliebte Gruppen.
;)

Nicht nett, nicht objektiv, aber zumindest im Unterbewußtsein im Osten
Deutschlands so ode so ähnlich angeblich weit verbreitet, wurde mir versichert,
so dass man, auch wenn man zu richtig viel Geld gekommen ist,
immer noch erst in alles möglich andere investiert
(Reisen, Wohnung, Auto etc.), bevor man an Nicht-KiK-Klamotten denkt. ;)


Irgendwie etwas betrüblich, oder?
Oder ist das nur eine ostdeutsche Einzelmeinung?
 
Find ich super. Heb ich mich also noch in zwanzig Jahren mit jedem einzelnen Kleidungsstück vom neureichen Ossi ab. Ich konnte bisher lediglich "Investitionen" in altersschwache Mittelklassewagen entdecken. Wer steckt denn da auch was in die Wohnungen... :p
 
Ich bin ebenfalls in Westdeutschland geboren und aufgewachsen, habe aber auch im Osten gelebt. Zunächst brennt mir auf den Nägeln, dass mir ganz furchtbar schlecht wird, wenn hier Forenkollegen nach so langer Zeit immer noch meinen, sich als so genannte Besserwessis gerieren zu müssen. Fremdscham deluxe.

Zum Thema: Die Ostdeutschen, die ich kennengelernt habe - sämtlich eher Akademiker - haben nie besonders viel Wert auf teure, elegante Kleidung gelegt. Es war stets eher Jack Wolfskin angesagt oder andere praktische Klamotten. Ganz grundsätzlich hatte ich immer eher den Eindruck von Bodenständigkeit und Bescheidenheit, die dazu geführt haben könnten, dass man sich eben nicht mal den Gucci-Gürtel leistet. Wer "noch andere Zeiten" erlebt hat (vielleicht auch als Kind), hat vielleicht nicht so die Lässigkeit, das Geld für solche Sachen rauszuhauen und spart eben lieber auf sein Haus. Das sind Eigenschaften, die den Deutschen im Westen im Vergleich öfter mal abgehen. Das ist dann charakterlich unangenehm, führt aber zugegebenermaßen meist zur geschmackvolleren Kleidung.
 
Ich bin ebenfalls in Westdeutschland geboren und aufgewachsen, habe aber auch im Osten gelebt. Zunächst brennt mir auf den Nägeln, dass mir ganz furchtbar schlecht wird, wenn hier Forenkollegen nach so langer Zeit immer noch meinen, sich als so genannte Besserwessis gerieren zu müssen. Fremdscham deluxe.

Zum Thema: Die Ostdeutschen, die ich kennengelernt habe - sämtlich eher Akademiker - haben nie besonders viel Wert auf teure, elegante Kleidung gelegt. Es war stets eher Jack Wolfskin angesagt oder andere praktische Klamotten. Ganz grundsätzlich hatte ich immer eher den Eindruck von Bodenständigkeit und Bescheidenheit, die dazu geführt haben könnten, dass man sich eben nicht mal den Gucci-Gürtel leistet. Wer "noch andere Zeiten" erlebt hat (vielleicht auch als Kind), hat vielleicht nicht so die Lässigkeit, das Geld für solche Sachen rauszuhauen und spart eben lieber auf sein Haus. Das sind Eigenschaften, die den Deutschen im Westen im Vergleich öfter mal abgehen. Das ist dann charakterlich unangenehm, führt aber zugegebenermaßen meist zur geschmackvolleren Kleidung.

ich denke der Großteil unserer Mitforanten legt zwar Wert auf gute Kleidung, aber sehr wenig Wert auf Gucci & Co.

Auf längere Sicht betrachtet ist ein hochwertiger Anzug ökonomisch sinnvoller, als die Ware von der Stange. Ich habe selbst die Erfahrung bei Anzügen gemacht - die Stangenware war nach 2-3 Jahren durch. Meine hochwertigen Anzüge sehen immer noch top aus, wobei die Pflege bei beiden gleich gut war!

Ich kann einfach nicht verstehen, warum ein Anzug oder ein guter klassischer Mantel als nicht bodenständig gesehen werden? In den letzten Jahrzenten (vor 1970/80) war der Anzug doch auch der Standard jedes Mannes....in vielen anderen Ländern dieser Welt ist er es immer noch......einfach mal drüber nachdenken!
 
Das wird bei der Integrationsfähigkeit bzw. dem Willen zu dieser noch einige Jahrzehnte dauern. Dass es noch immer den Ausdruck "Besserwessi" gibt, ist der beste Beweis hierfür. Und wer immer durch seine Kleidung auf seine Herkunft aus dem Osten aufmerksam machen muss, wird es im Westen und/oder auf der Karriereleiter nicht zwangsläufig einfacher haben. Muss jeder selber wissen.
 
Vielleicht kann ich als "gelernter DDR-Bürger" dazu noch etwas sagen ...
Meine Kindheit / Jugend war selbst für DDR-Verhältnisse kraß, zugegeben.
Ich kann jedoch aus Erfahrung sagen, daß Kleidung (jedenfalls für den männlichen Teil der Bevölkerung) nichts war, worüber man sich Gedanken gemacht hätte.

In der großen, grauen Industrie-Provinzstadt, in der ich aufwuchs, war jeder, der wirklich gut gekleidet war (was sehr selten vorkam!) irgendwie "verdächtig".
Die vorherrschenden Farben dessen, was wir am Leibe trugen, konnte man sämtlich in die vier Grundrichtungen "grau, beton, schlamm und stumpf" einordnen.

Männer, die Anzug trugen, sahen immer nach Parteisekretär oder Betriebsdirektor aus.
Die Anzüge aus "Präsent 20" (einem unsagbar haltbaren, aber entsetzlichen Kunststoffgemisch) müffelten grausig und hingen an ihren Trägern wie Kartoffelsäcke.

Das Angebot an Kleidung war insgesamt ... unterwältgend.
In Berlin mag das anders gewesen sein, aber in jener grauen Industriestadt, in der ich zu Hause war, gab es nur die Wahl, das zu nehmen, was da auf der Stange hing, oder es bleiben zu lassen.
Kleidung hatte praktisch zu sein, haltbar, witterungsbeständig.
"Modischen Schnickschnack" hielten Eltern Heimerzieher, Lehrer für verzichtbar, zumal "sowas" ja angeblich von der "Entwicklung der sozialistischen Persönlichkeit" ablenken würde.
Auffällige Farben waren verpönt.
Ein "Einheits-Look" wurde nicht propagiert, war aber de facto nicht zu vermeiden, da das Angebot in den entsprechenden Kaufhäusern kaum zuließ, sich individuell zu kleiden.
Kleidung war nicht wichtig.
Es war egal, wie man aussah (Ausnahmen bestätigen auch diese Regel).
Es war vor allem deshalb egal, weil ALLE so aussahen (das jedenfalls war meine Wahrnehmung).
Es gab keine Vorbilder.
Ihr werdet lachen, aber "schick" gekleidete Männer sah ich selbst zum ersten Mal, als die privaten Fernsehsender aufkamen (wir alle schauten ja "Westfernsehen"), und die Serie "Miami Vice" lief.
;)
Nur sahen "Präsent 20"-Sakkos auch mit aufgekrempelten Ärmeln á la Don Johnson einfach albern aus ...


In den "Exquisit"-Läden (für das zahlungskräftigere Publikum) wurden meiner Erinnerung nach vor allem "West-Jeans", Jeansjacken, Pullover u.ä. feilgeboten.

Als "elegant" galt man Mitte bis Ende der 80er, wenn man diese unsäglichen "Schnee-Jeans" trug.
Diese Hosen zu tragen wurde in jener Zeit im Osten zu einer Art Massenbewegung.

Ich glaube nicht, daß all diese Dinge geeignet waren, ein Bewußtsein für gute Kleidung und deren Bedeutung zu erzeugen.
Vielleicht versteht man nun etwas besser, warum sich das, was der "normale DDR-Bürger" in Bezug auf Kleidung im Rahmen seiner Sozialisation gelernt hat, im Denken und Handeln vieler Ostdeutscher bis heute gehalten hat.
 
Es wäre interessant zu wissen, ob es eine Gruppe gab die bewusst gegen die Kleidungstristesse anging. Gab es DDR Dandies? So wie heutzutage in einigen afrikanischen Slums?
Immerhin gab es in der DDR Rocker und Punks. Die hatten es bestimmt nicht leicht.
Von der Motorradszene weiß ich, das es mindesten einen Harley-Davidson und Indian Club gab, sowie einige Brit-Bike-Leute. Das waren unter größten Mühen am Leben erhaltene Vorkriegsmodelle, oft umgebaut.

Gruß Change
 
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