Stil und Armut

Bitte seid nicht böse auf mich - aber mich irritiert, mit welcher Selbstverständlichkeit hier von Armut gesprochen wird.

Arm ist man in Deutschland (ich meine damit "relative" Armut, denn ein Armer in Deutschland wird noch immer "reicher" sein als ein Armer in Bangladesh), wenn man "unter dem Existenzminimum" leben muß.

Wikipedia definiert unter dem Stichwort Existenzminimum ein "pfändungsfreies Existenzminimum von 989,99 € netto".

Wer also weniger hat ...
Putzig, nicht wahr - die Pfändungsgrenze ist das gesetzliche Existenzminimum, darunter kann nicht vollstreckt werden.

Doch leider ist diese "Grenze" nicht der Betrag der einklagbaren Sozialhilfe / Alg2 etc..... denn ein Single bekommt ja RL + KdU nur ca. 630 Euro im Monat (wenn er Glück hat).

Nun meine Frage: wer von den geschätzten Mitforanten ist denn in diesem Sinne arm?
Wer liegt denn unter dem Existenzminimum und bezieht bspw. Hartz IV?

Hier wurde bereits verneint, daß Armut und Stil vereinbar seien.
Das würde bedeuten, daß ich "stillos" wäre, denn ich beziehe Hartz IV.
;)
Ich bin übrigens - diese Anmerkung sei mir noch gestattet - immer wieder erstaunt, wie unwissend viele in Bezug auf Hartz IV sind und wie naiv viele glauben, Hartz-IV-Bezieher seien irgendwie ... allesamt Unterschicht, parasitär, arbeitsunwillig ... und letztlich selbst schuld.

Ich bin immer wieder verblüfft, daß Menschen, die so etwas behaupten, dagegen gefeit zu sein glauben, selbst dort zu landen ...
Nebenbei: gibt es eigentlich noch ein anderes Land, in welchem man den Ärmsten ihr "mühelos erzieltes Einkommen" so neidet wie hierzulande?
Auch irritiert es mich, daß und wie manche über Armut sprechen - ohne je selbst erlebt zu haben, was das ist und wie es sich anfühlt ...

Stil kann man sicher nicht kaufen.
Geld aber kann helfen, Stil vorzutäuschen.
Letzten Endes jedoch verstehe ich unter Stil nur am Rande die Kleidung.
Stil ist doch wohl eher im Verhalten eines Menschen zu finden - oder eben auch nicht.

Freundliche Grüße
Bertie Wooster
 
Zuletzt bearbeitet:
Liegt natürlich im Auge des Betrachters, aber der Herr vom 2. Link schafft es tagtäglich für unfassbar viel Geld entsetzlich auszusehen.

Ja, genau das dachte ich auch. Ich habe die otos sogar 2x angeschaut, weil ich es nicht fassen konnte wie der es schafft so schlecht, unspektakulär und unpassend auszusehen. Was ist sein Geheimnis?
 
Harz IV wurde übrigens von einem Manager kreiert und von der SPD umgesetzt.
Herr Harz selbst hat übrigens ein Projekt gestartet, um Langzeitarbeitslose wieder in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen und scheint geläutert.:rolleyes:

Herr Hartz ist ohnehin ein sehr sozialer Mensch, der sich u.a. um junge bedürftige Frauen aus Schwellenländern wie Brasilien gekümmert und diese finanziell unterstützt hat.
 
Lassen Sie mich den Versuch einer Zusammenfassung machen, die die Eingangsfrage beantworten und dabei die weitere sozial-politische Fragestellung bewußt ausklammern soll:
  • Ist Stil begrenzt auf Äußerlichkeiten: Zweifellos nein.
  • Sind Äuerlichkeiten (Kleidung, Haus, Möbel, Haarschnitt, Auto, ergänzen Sie nach belieben) Ausdruck und damit zentral sichtbarer Bestandteils des Stils: Ja.
  • Ist Geld notwendige Bedingung für Stil: Nein.
  • Ist Geld notwendige Bedingung, Stil durch Äußerlichkeiten (s.o.) auszudrücken und auszuleben: Meines Erachtens ebenfalls nein.
  • Macht Geld es einfacher, Stil durch Äußerlichkeiten auszudrücken und auszuleben: Ja.
  • Ist Geld hinreichende Bedingung für Stil, ist Stil also ohne weitere Vorbedingungen einfach käuflich: Nein.
  • Ist Geld hinreichende Bedingung, Stil durch Äuerlichkeiten auszudrücken und auszuleben: Ebenso nein.
In Summe also: Geld macht das Ausleben von Stil einfacher, ansonsten erscheinen mir die beiden voneinander unabhängig.

Herzliche Grüße

dE
 
Gerade bei Kleidung habe ich häufig das Gefühl es ist weniger die finanzielle Möglichkeit, sondern viel mehr die Bereitschaft Geld dafür auszugeben, an der es fehlt.
Ich hatte (früher) einen Nachbarn und (immer noch) Freund der als Elektriker angestellt ist. Wenn der in meinen Schuhschrank schauen würde, würde er sagen: das kann ich mir nicht leisten.
Er fährt aber einen BMW (ich habe kein Auto), hat einen größeren Fernseher (ich habe garkeinen) etc.
Ich denke viele Menschen sehen edle Kleidung oder Schuhe als etwas so überflüssiges, dass sie vermuten es muss sehr viel Geld nötig sein, um sich "auch noch sowas" zu leisten.
Jeder Normalsterbliche (der, das muss tatsählich hinzugefügt werden, in solchem Luxus lebt sich über seine Grundversorgung keine Gedanken machen zu müssen) muss Prioritäten setzen. Meine liegen im Moment ganz deutlich bei gutem Essen und schönen Dingen. Da lebe ich sicher "über meine Verhältnisse". Dafür ist mir anderes eben nicht so wichtig (z.B. Statussymbole wodurch man schonmal einen Haufen Geld spart!). Wieder einmal: chacun à son goût

Beste Grüße
 
Guten Abend,

Gerade bei Kleidung habe ich häufig das Gefühl es ist weniger die finanzielle Möglichkeit, sondern viel mehr die Bereitschaft Geld dafür auszugeben, an der es fehlt. ...

Genau das ist der Punkt.

Wenn ich sehe, was an Riesensummen Geld ausgegeben wird für:

a.) Autos
(d.h. nicht Basis-Motorisierung sondern mindestens die Mittlere, eher noch die Top-Motorisierung des jeweiligen Modells)

b.) mehr oder weniger sinnvolle Zusatzausstattung von Autos
(z.B. Metallic-Lackierung: Bei VW in Wolfsburg konnte man mir bei der Fahrzeugabholung doch tatsächlich nicht den Unterschied zwischen dem kostenlosen Serien-Schwarz und dem aufpreispflichtigen Perleffekt-Schwarz zeigen. Dazu müsse man erst die Datenblätter der Autos besorgen. Sehen könne man das ohne weiteres nicht. :confused: Gut, dass ich das kostenlose Serienschwarz genommen hatte. )

c.) Spieleconsolen, die nach spätestens 3-5 Jahren veraltet sind und für die jedes Zusatzspielchen richtig Geld kostet. Viele Haushalte haben bereits mehrere davon.

d.) LCD- oder Plasmaflachbildfernseher
5 bis 10 Flachbildfernseher pro Familie sind heute nichts ungewöhnliches mehr. Ein Bekannter von mir hat ausgemacht, dass sich Größe/Anzahl umgekehrt proportional zur Gehirnmasse bzw. sozialen Stellung verhalten.

e.) Urlaube

Gut, jeder hat andere Prioritäten.

Freundliche Grüße
Günter
 
Liebe Stilfreunde,

Ich kann leider nicht mit unterstüzenden Statistiken dienen, aber ich würde Euch gerne an 13 Jahren Praxiserfahrung in der Sternegastronomie teilhaben lassen. Wie hier ja schon öfter angeklungen ist, hat der Besitz von Geld keinen direkten Einfluss auf den Stil des betreffenden. Es fällt mit Geld nur leichter fehlenden Stil hinter Maßanzügen und Maßschuhen zu verstecken. Ich habe im laufe meiner "Gastrozeit" sehr viele Persönlichkeiten aus Sport, Politik und Wirtschaft aus nächster Nähe erlebt und nach sovielen Jahren kann ich auch mein "Diskretionsgelübde" (war eh nur gegenüber mir selber:D) etwas lockern.

Einige Beispiele aus dem realen Leben: ach ja und bitte um Verzeihung falls ich den ein oder anderen Mythos zerstöre:D

Franz Beckenbauer ist eine Lichtgestalt, das wäre er auch in Kleidung von KIK, da er IMMER und zu jedem freundlich und nett ist und niemals jemanden nicht begrüssen würde, nur weil der Kellner ist...
Währenddessen ist Boris Becker ein kleiner Junge ohne jedes Benehmen und auch seine Maßanzüge helfen da nichts. Er hat nicht den Hauch von Benehmen (Halt eine Ausnahme gibt es, solange Barbara bei ihm war, konnte er sich benehmen. Jetzt mit Lilly kenne ich ihn nicht mehr, befürchte aber nichts gutes)
Diese Liste liesse sich beliebig verlängern, ich denke aber es ist klar, was ich sagen will. Darüber hinaus gibt es sooooviele Menschen, ohne viel Geld, die Stil haben und einigen "Reichen" einwenig Benimm beibringen könnten. Stil hat vielmehr mit Benehmen zu tun. Auch wenn es altmodisch klingt, ein "ritterliches" Benehmen gehört dazu und das kostet nichts. Einer Dame die Tür aufhalten, Kinder und schwächere beschützen. Einem Freund zuhören...ich denke Ihr wisst, was ich meine. Als das kostet nichts und das ist Stil. Einen kleinen Querverweis auf Kleidung habe ich aber dennoch. Sauberkeit und Gepflegtheit ist keine Frage von Geld, sondern Grundvoraussetzung für Stil.

@Bertie Wooster und malaparte: Ich habe grossen Respekt davor, dass Ihr hier so offen über Eure Situation geschrieben habt. Davor ziehe ich meinen Hut und seid gewiss, wer darüber lästert, hat sich in Stilfragen weit ins Abseits gestellt.

Liebe Grüsse

Sandro
 
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