Heutzutage, und da war die Oscarverleihung ein prominentes und deutsche Innenstädte ein alltägliches Beispiel, ist doch so gut wie keiner mehr in der Lage, sich gut zu kleiden. Das hat in den seltensten Fällen etwas mit Geld zu tun, sondern mit mangelnder (Selbst)Disziplin, Ignoranz und dem völligen Fehlen konservativer Werte.
Schlechtes Benehmen wird als persönliche Note interpretiert und wenn man dann noch rumläuft wie sein eigenes Magengeschwür, hat man es schon fast geschafft. Wenn man sich Bilder aus den 60er Jahren ansieht, erkennt man, das es auch in Deutschland sehr wohl gutbekleidete Menschen gab, und beileibe nicht nur die oberen Zehntausend. Zu der Zeit gab es aber auch noch eine funktionierende Mode- und Schuhindustrie in Deutschland. Die 68er haben dann diesen "Muff" dahingerafft, fortan schlappten alle nur noch in Jesuslatschen und lamentierten über das Elend der Welt, Anzugträger waren Büttel des Kapitals. Selbst in den 70ern trat man im TV aber noch im Smoking auf, man machte sich "fein" für sein Publikum und wenn Otto N. am Wochenende ausging, tat er dies ebenfalls. Das setzt natürlich etwas Arbeit voraus, es ist zeitaufwendiger als Tshirt und Schlappen. Und heute?
In einem Land, das von Ingenieuren und körnerfressenden Friedensaktivisten geprägt ist, kann man wohl nicht mehr anders rumlaufen, um politisch korrekt zu sein.
Wir haben das Recht, zu verdummen. Und wir nutzen es auch.
Ich vergleich das ganz gerne mit der Architektur.
Es gibt schöne Häuser, ganz unabhängig vom Baustil, und hässliche Häuser.
Die hässlichsten sind die, welche mit einem Minimum an Gedankenarbeit und -mühe, aber mit einer ordentlichen Portion "Ich-will-es-aber-irgendwie-total-individuell-gimmicks" gebaut wurden.
Und sie sind nicht nur hässlich, auch ihr Wohnwert ist äußerst gering, weil total gaga-unpraktisch.
Dagegen kann man aus tristen Häuschen aus den 50-80ern mit ein paar kleinen Umbauarbeiten wahre Schönheiten machen, vom Wohnwert ganz zu schweigen.
Die meisten heutigen Einfamilienhäuschen werden in 40 Jahren abgerissen werden und landen auf der Sondermülldeponie.
Über Geschmack oder Schönheit kann man streiten - aber nicht mit mir.
(...) sind doch nur symbolische Fluchtmechanismen (...) Eine obsessive Beschäftigung mit Sartoriana ist (...) nicht zwingend was anderes.
Abseits einiger Sekundärtugenden sagt Bekleidung im übrigen über die menschlichen Qualitäten ihres Trägers nun wirklich gar nichts aus.
Möchte nicht wissen, wie viele ethisch-moralische Vollpfosten der British Upper Class auf der Savile Row haben schneidern lassen.
(...) in scheinbar freiheitlich-individuelle Konsumstrukturen umgemünzt hat. (...)
Das ist ein interessanter Gedanke, der aber auch eine gewisse Mehrstufigkeit in der Umsetzung impliziert. Der Ursprung lag schon im 68er Gedanke, mit dem Symbol der sartorialen Kleidung auch die spießige Moralwelt der frühen Nachkriegszeit mit ihren künstlichen Zwängen zu entsorgen. Dadurch ergibt sich auch die Deutung von, nennen wir es mal, antisartorialer Kleidung als äußeres Zeichen des tugendhaften neuen Bürgers, der nicht den überholten alten Werten anhängt. Das hat ja erst mal noch nichts mit den Konsumstrukturen zu tun, die sich mit dem steigenden Wohlstand in Zentraleuropa eher ab den 1980ern ergaben, auch wenn es da den prozessuralen Zusammenhang geben mag, den Du andeutest.Die Auflösung konservativer Bekleidungsnormen unter Durchschnittsdeutschen (wie überall in der westlichen Welt) hat weniger mit linken 68ern oder Friedensbewegten zu tun als mit einer neuen Phase des Kapitalismus (neoliberal und konsumorientiert), der äußere Gesellschaftszwänge sexueller wie sartorialer Art uvm. in scheinbar freiheitlich-individuelle Konsumstrukturen umgemünzt hat.
Natürlich gewährleistet ein guter Anzug noch keinen guten Träger darin, Ethik und Ästhetik sind verschiedene Konzepte. Aber der Verfall der Werte, die diesen besagten Sekundärtugenden zugrunde lagen, führt in der Makrosicht auf eine subtile Weise zu einer allgemeinen Verrohung des Alltagslebens, die sehr wohl auch die in der Praxis ausgelebten menschlichen Qualitäten der Einzelnen berührt. Wer mangelndes Bemühen um gepflegten Umgang im öffentlichen Raum durch andere in den kleinen Dingen fortlaufend erlebt, passt sich auch leicht irgendwann selber daran nach unten an. Dabei ist die Kleidung natürlich nur ein Baustein von vielen, aber ich würde die daran hängende Symbolik nicht unterschätzen.Abseits einiger Sekundärtugenden sagt Bekleidung im übrigen über die menschlichen Qualitäten ihres Trägers nun wirklich gar nichts aus. Möchte nicht wissen, wie viele ethisch-moralische Vollpfosten der British Upper Class auf der Savile Row haben schneidern lassen.