Die meisten Regeln, die wir hier in Bezug auf Kleidung formulieren oder befolgen, formulieren oder befolgen wir ja – oder zumindest unterstelle ich das den meisten, ansonsten mea culpa – für uns selbst bzw. eine community mit einem sehr spezifischen Bekleidungscodex. Ob einer in der Forumsklamotte zur Hochzeit aufkreuzt oder nicht, wird der durchschnittlichen Hochzeitsgesellschaft recht sicher entgehen, und zwar aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist der generelle Kleidungsstandard. Wer sich nicht aus eigener Lust am Spiel ständig mit Fragen von Formalitätsgrad, Farb- und Texturzusammenspiel etc. pp. befasst, hat in der Regel kein geschärftes Auge dafür. Ein Anzug wird von den allermeisten Menschen, jedenfalls meiner Erfahrung nach, als Arbeitskleidung oder eben als erforderlicher Dress für schickere Anlässe verstanden – das ist es vielleicht, was Du,
@bluesman528 als Verkleidung bezeichnest –, nicht als Möglichkeit ästhetischen Selbstausdrucks. Ich sage es mal ganz selbstbescheiden so: Was meine Freunde (to be fair, alle 25–35) über klassische Herrenkleidung wissen, wissen sie mehrheitlich durch mich, aber da freue ich mich eher, wenn mal etwas abfärbt, als mich über den Verfall des Kleidungsgeschmacks zu beklagen. Den meisten Menschen fällt von selbst nicht auf, worauf hier viel Wert gelegt wird, und das ist auch absolut in Ordnung so, weil auch bei aller proklamierten Konformität mit gesellschaftlichem (wenngleich ja vielfach historischem) Usus (Formalitätsgrade etc.) Selbst- und Fremdwahrnehmung nicht sonderlich kongruent sind. Aber das wissen wir ja alle. Klassische Herrenkleidung hat eine Menge Codes, die eigentlich nur von denen „verstanden“ werden, die sich leidenschaftlich damit befassen. Für manche ist sie der heilige Gral, für andere wiederum einer von mehreren Wegen, sich mit hochwertiger Kleidung auseinanderzusetzen. Ich gucke mir auch gern Menschen in gut und kreativ gelösten Streetwearoutfits an – und die sind unter denjenigen, die sich eher locker kleiden, genauso selten, wie es diejenigen, die sartorial elaboriert auftreten, unter den Anzugträgern sind.
Will meinen: Es gibt sehr gute Gründe dafür und dagegen, auf einer Hochzeit im orthodoxen Sinne korrekt gekleidet zu sein. Der beste Grund spricht indes sowohl dafür als auch dagegen: Den meisten fällt das eh nicht auf.