Der Artikel Sammelthread

Das ändert aber nichts daran, dass man bei den politischen Philosophen, die intellektuell dem Liberalismus zugeordnet werden , eine sehr klare Schnittmenge findet, zu der "celebration of the common man" und Gleichheit nicht gehören.
 
Mal abgesehen davon, dass das eben nicht der alltägliche Sprachgebrauch im politischen Spektrum Europas ist, sehe ich nicht, wie ein Verweis auf die lateinische Sprache dabei helfen soll, die Begriffshistorie des Liberalismus zu erfassen, der als Gesamtkonstrukt erst seit dem 18. Jahrhundert wirklich aufgekommen ist.
Dass Du das als Reaktionär nicht verstehen kannst, ist mir schon klar. ;)

Wenn hinreichend viele Leute heute liberal im ursprünglichen lateinischen Wortsinne als ganzheitliche Freiheit zur individuellen Entfaltungsmöglichkeit interpretieren für alle Menschen in einer Gesellschaft und nicht nur für die eigene kleine Klientel auf Kosten aller anderen, dann ist das halt so. Was irgendwer im 18. Jahrhundert als gedankliches Konstrukt unter Ausblendung von 95% der Bevölkerung, die von der herrschenden Klasse damals als gesellschaftlich nicht existent erachtet wurden, dazu gesagt hat, ist dann irrelevant. Dass die sich gegen Egalitarismus geäußert haben, ist ja auch wenig überraschend. ;)

Der zivilisatorische Fortschritt liegt übrigens nicht in der Begriffsdiskussion. Er liegt darin, dass das hier...
weriker meint mit liberal den heutigen Begriffsinhalt: Liberal a.k.a. linksliberal a.k.a. linksgrünversifft a.k.a. menschenfreundlich, nämlich im weitergehenden Sinne, dass jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Bildung, sozialer Schicht, Herkunft und sexueller Orientierung das gleiche Recht auf soziale Akzeptanz und Anerkennung, soziale Teilnahme und das Streben nach Glück innerhalb unserer Gesellschaft hat.
...als unveränderliche Grundlage des Zusammenlebens in einer freiheitlichen Gesellschaft akzeptiert ist.
 
Nenn uns doch mal ein paar politische Philosophen, die von der liberalen Tradition als Mitstreiter anerkannt werden und die Definition von Liberalismus vertreten, die Du hier vertrittst.

Ich verstehe auch den Rückgriff auf das 18. Jahrhundert nicht. Erstens mal entbehrt es einem gewissen Anti-Intellektualismus nicht, Denker wie Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill, David Hume oder John Locke auf eine angebliche Verstrickung in das Großbürgertum zu reduzieren, die ihre Philosophie obsolet machen soll. Man könnte übrigens hier auch Lysander Spooner anführen, der erstens Amerikaner war, so dass etwaige Verhältnisse zu einem Königtum hier nicht zu betrachten sind, und zweitens zeit seines Lebens höchstens Kleinbürger war.

Der von mir erwähnte Essay "Egalitarianism as a revolt against nature" ist übrigens von 1974 und nicht aus dem 18. Jahrhundert. Man könnte auch Werke jüngeren Alters zitieren, etwa von Hans-Hermann Hoppe, Lew Rockwell oder vielen weiteren.

Den letzten Absatz verstehe ich zugegebenermaßen auch nicht. Zuerst einmal ist es fraglich, wieso etwas deshalb "fortschrittlich" sein soll, weil es "anerkannt" ist. Es war schon sehr viel anerkannt und wurde dann wieder verworfen, oft auch später als "rückschrittlich" erachtet.
Aber das spielt auch gar keine Rolle, denn das, was Du aufzählst, ist überhaupt nicht anerkannt. Ein Recht auf "soziale Akzeptanz und Anerkennung [sowie] gesellschaftliche Teilnahme" ist weder unserer Verfassung noch den meisten vergleichbaren westlichen Verfassungen (etwa der US-Verfassung) zu entnehmen und gilt auch in praktischer Hinsicht nicht. Das Konzept, dass man das Recht haben sollte, an irgendetwas aktiv teilzuhaben, steht in den meisten Verfassungen nicht drin, eben weil es auch gerade dem aufklärerischen Liberalismus entgegengesetzt ist.
Gerade ein Verbot der Diskriminierung wegen mangelnder Bildung gibt es auch nicht, denn sonst dürfte man ja nicht einmal einen Bewerber ablehnen, weil er nicht qualifiziert ist.
 
Ich lese hier u.a., dass JEDER Mensch unabhängig von seiner Bildung und Herkunft das Recht auf Teilnahme ausgerechnet an unserer Gesellschaft haben soll.
Ich weiß nicht, ob das wörtlich gemeint ist. Jedenfalls ist exakt das im Wortsinn die Position eines Teils des hiesigen politischen Spektrums.
Jeder Mensch unserer Gesellschaft und jeder Mensch, der im Sinne des im Grundgesetz verankerten Asylrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention für einen Aufenthalt hier qualifiziert wurde. So wörtlich ist das gemeint. Oder glaubst Du, dass z.B. ein Deutscher türkischer Abstammung darauf kein Recht hätte?

Was die anderen genannten Aspekte angeht: Ich glaube, ich habe in den letzten 10 Jahren niemanden kennengelernt, der irgendetwas davon abgelehnt hätte.
Auch virtuell? Also zum Beispiel in diesem Forum? Das glaube ich nicht. ;) In meinem Freundes- und Bekanntenkreis und in meinem Beruf habe ich das auch noch nicht erlebt.
 
Was sollte das Asylrecht mit der "Teilhabe an der Gesellschaft" zu tun haben? Das Asylrecht betrifft temporären Schutz vor politischer Verfolgung, nicht gesellschaftliche Teilhabe.
Es ist viel mehr so, dass überhaupt niemand (weder Deutsche noch Ausländer) das Recht auf Teilhabe an irgendetwas (mit wenigen Ausnahmen, etwa den sozialstaatlichen Einrichtungen) hat. Das macht genau die liberale Gesellschaft aus, dass die Akteure selbst entscheiden können, wen sie an etwas teilhaben lassen wollen und wen nicht. Dass Du dies nicht verstehst, ist nicht weiter verwunderlich für jemanden, der nicht weiß, was Liberalismus ist.
 
Was ich noch ganz vergessen hatte: Meine Position steht auch in jedem Grundgesetzkommentar so. Dass die Position von Bluesman "anerkannt" wäre und das auch noch auf eine Weise, dass man nichts dagegen sagen dürfte, ist in jedem Falle lachhaft.
 
Ohne auf die in den letzten Beiträgen ausgeuferte Diskussion eingehen zu wollen.

weriker meint mit liberal den heutigen Begriffsinhalt: Liberal (...) im weitergehenden Sinne, dass jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Bildung, sozialer Schicht, Herkunft und sexueller Orientierung das gleiche Recht auf soziale Akzeptanz und Anerkennung, soziale Teilnahme und das Streben nach Glück innerhalb unserer Gesellschaft hat.

Genauso meinte ich (bzw. der Autor des DWW-Blogbeitrags) es. Liberal im Sinne des Leitspruches der französischen Revolution "Liberté, egalité et fraternité" bzw. auch der US-Unabhängigkeitserklärung. Und dies ungeachtet der unterschiedlichen Motivationen der dabei Beteiligten und dass die Rufe nach Gleichheit häufig bloss mehr Gleichheit für sich und seinesgleichen bedeu(te)ten.

Im Ergebnis, wiederum ohne auf historische Irrungen und Wirrungen eingehen zu wollen, führte diese liberale Tendenz nämlich zu tatsächlich mehr Gleichheit von Mann und Frau, arm und reich. Und dass diese Tendenz der vermehrten Gleichheit und Gleichberechtigung zu einem Verschwinden von durch Kleidung ausgedrückten Abstufungen der Formalität führte, ist die These dieses Blogbeitrags.

Meines Erachtens ist die These interessant und die Belege dafür nicht einfach von der Hand zu weisen.
 
Ich hatte tatsächlich leider beim Abfassen meines ersten Beitrags übersehen, dass es sich um eine amerikanische Seite handelt, wo "liberal" einfach "sozialdemokratisch" heißt.
Das, was Du ansprichst, nennt man aber "soziale Ungleichheit" und für die interessiert sich ein Liberaler europäischer Prägung eben gerade nicht. Er ist für eine Gleichheit an Bürgerrechten, aber den Unterschied zwischen arm und reich sieht er als natürlich an und nimmt ihn in Kauf.
 
Oben