Der Artikel Sammelthread

Deine Beiträge sind eine große Bereicherung für dieses Forum. Ich muss immer wieder daran denken, wie toll es gewesen wäre, wenn ich dich als Lehrer gehabt hätte. Dann hätte ich das Wort Herzensbildung auch schon vorher gekannt.

Die Sprache, derer du dich bedienst, sticht wirklich heraus. Absolut hervorragend.
 
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Ist meiner bescheidenen Meinung nach eher ein Ausdruck des krampfhaften Bemühens, bestehende Hierarchien und wachsende Ungleichheit zu kaschieren.
Das klingt nach einem "planmässigen Vorgehen" der Eliten. Das sehe ich nicht so. Es ist wohl vielmehr so, dass Hierarchien nicht mehr über den Formalitätsgrad der Kleidung ausgedrückt werden. Der Chef trägt jetzt nicht mehr zwingend Anzug und Krawatte.
Das heisst aber nicht, dass die Kleidung ihre Abgrenzungsfunktion verloren hätte: Die "Reichen" tragen immer noch ihre Statussymbole, nur sind das teilweise halt absurd teure T-Shirts oder Schlappen.

Jede Mode ist keine Individualisierung, sondern eine Konformisierung.
Klar, sieht man z.B. am Tattoo-Trend, zumal eine Tätowierung eigentlich ein individuelles Merkmal par excellence wäre. Mit Individualisierung meinte ich, dass es immer mehr den Leuten selbst überlassen wird, wie sie sich in der Arbeitswelt kleiden wollen. Damit verschwinden Formalitätsebenen, es gibt möglicherweise einmal keinen grossen Unterschied mehr, wie man sich bei der Arbeit, im Restaurant, zuhause, in der Badeanstalt etc. kleidet.

Und dadurch - eben auch weil der Mensch zu Konformität neigt - findet eine Nivellierung nach unten statt.

Im Übrigen gebe ich euch natürlich Recht, dass dieser Entwicklung individuell entgegengehalten werden soll durchs Setzen eines guten Vorbilds betreffend äussere Erscheinung und innere Werte.
 
Da bin ich sofort bei Dir, aber damit möchte ich Kleidung eben nicht aufladen, weil es naturgemäß leider gelegentlich auch nicht zusammenpasst (der gut gekleidete Audi-Chef Stadler würde mir da zufällig als Beispiel einfallen), denn auch üble Menschen können guten Geschmack haben. Und solche schlechten Beispiele werden dann als willkommene Angriffsfläche von jenen genutzt, die meinen, gegen sartoriale Kleidung symbolischen Klassenkampf betreiben zu müssen, den ich schon immer für ausgemachten Blödsinn hielt, weil er ohne relevanten Inhalt die Gesellschaft alltagskulturell beraubt. In gewisser Weise schließt sich da auch der Kreis zu Selections Beitrag oben.

Der Begriff des Rollenmodells ist dem Theaterbild der Sozialpsychologie entlehnt und von mir viel weniger als ein Vorbild, sondern mehr kleidungsbezogen als nachahmenswert empfundener Archetyp in bestimmten sozialen Situationen gemeint. Das kann den Meetingbewohner (oder auch den Lehrer ;), der wenn er sartoriale Kleidung freundlich und zugänglich rüberbringen kann, ein hohes Einflusspotenzial auf zukünftige Generationen hat) im beruflichen Spektrum betreffen, aber auch den entspannten Flaneur am Wochenende in der Innenstadt, den Opern-, Museums- oder Restaurantbesucher und sicher noch tausend andere Varianten im Alltag, die positiv besetzte Bilder in unseren Köpfen prägen.
 
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Das klingt nach einem "planmässigen Vorgehen" der Eliten. Das sehe ich nicht so.
Wenn eine Bank meint ihren Dresscode runterfahren zu müssen um "näher" am Kunden zu sein, ist das SEHR planvoll.

Die "Reichen" tragen immer noch ihre Statussymbole, nur sind das teilweise halt absurd teure T-Shirts oder Schlappen.
Das tun meinem Dafürhalten nach vor allem Neu-Reiche und Wannabes.
 
Das klingt nach einem "planmässigen Vorgehen" der Eliten.
Ja, genau. Wenn die Zeiten ungleicher werden, ist es ungeschickt, sich auch noch visuell offensichtlich als Elite zu markieren, weil man damit Angriffsfläche bildet. Und in beruflichen Hierarchien simuliert man Zugänglichkeit von oben nach unten, "ich bin doch einer von Euch", durch kleidungsbezogene Anbiederung.

Die "Reichen" tragen immer noch ihre Statussymbole, nur sind das teilweise halt absurd teure T-Shirts oder Schlappen.
Da muss man differenzieren. Es gibt heute für jede soziale Schicht passgenau zugeschnittenen "Luxus", dessen Produkte von jeder Schicht als ursprünglich der Oberschicht zugehörig angenommen werden. Der tatsächlich gelebte Luxus der Oberschicht bleibt dabei von dieser gegenüber der Öffentlichkeit aber sorgfältig verborgen, es findet dort schon heute eine massive Abschottung statt, im Alltag, im Konsum und auch in allen prägenden Lebensphasen. Die Reichen, die sich mit den genannten Statussymbolen zeigen, ob real oder auf Instagram, sind nicht wirklich "die Reichen". ;)

Mit Individualisierung meinte ich, dass es immer mehr den Leuten selbst überlassen wird, wie sie sich in der Arbeitswelt kleiden wollen. Damit verschwinden Formalitätsebenen, es gibt möglicherweise einmal keinen grossen Unterschied mehr, wie man sich bei der Arbeit, im Restaurant, zuhause, in der Badeanstalt etc. kleidet.

Und dadurch - eben auch weil der Mensch zu Konformität neigt - findet eine Nivellierung nach unten statt.
Da bin ich bei Dir. Die interessante soziale Frage ist aber, warum heute kleidungsbezogen eine Nivellierung nach unten stattfindet und nicht nach oben, getrieben von sozialer Ambition? Tatsächlich ist ersteres ja ein sehr junger Trend. Die Formalitätsebenen der Aristokratie wurden ursprünglich mit großem Eifer vom Großbürgertum mitgelebt und sind nur deswegen heute noch bekannt. Auch die unselige Verbindung von sartorialer Kleidung und Berufswelt stammt daher, denn die Aristokratie arbeitete ja nicht. ;)
 
Ja, genau. Wenn die Zeiten ungleicher werden, ist es ungeschickt, sich auch noch visuell offensichtlich als Elite zu markieren, weil man damit Angriffsfläche bildet. Und in beruflichen Hierarchien simuliert man Zugänglichkeit von oben nach unten, "ich bin doch einer von Euch", durch kleidungsbezogene Anbiederung.
... und darüber hinaus ganz wichtig: alle müssen sich bis hin zum Vorstand duzen. Damit die optische Verschleierung der Hierarchien auch sprachlich zementiert wird :cool:
 
... und darüber hinaus ganz wichtig: alle müssen sich bis hin zum Vorstand duzen. Damit die optische Verschleierung der Hierarchien auch sprachlich zementiert wird :cool:
Oh ja, das erlebe ich ja tagtäglich in der Praxis. Es erzeugt eine Illusion von Nähe, die dann auf absurde Weise das natürliche Ausleben von Konflikten überdeckt, die durch unterschiedliche Agendalagen entstehen. Und es fühlt sich immer künstlich an, weil echte Nähe immer nur durch die Anwesenheit echter Distanz und der langsamen gemeinsamen Überwindung derselben durch positive Erfahrungen entstehen kann.
 
Wenn eine Bank meint ihren Dresscode runterfahren zu müssen um "näher" am Kunden zu sein, ist das SEHR planvoll.
Eine Bank mitsamt (Schalter-)Mitarbeiter würde ich nun aber kaum als "Elite" bezeichnen. Das ist doch mehr eine Marketing-Massnahme, um eben Kundennähe zu suggerieren.

Genauso wird der Privatbankier nach wie vor bei Anzug und Krawatte bleiben, um eben seinen Kunden die nötige Seriösität zu suggerieren.

alle müssen sich bis hin zum Vorstand duzen.
Je nach Unternehmenskultur finde ich das nicht per se schlecht: Wenn das Unternehmen nicht allzu gross ist, die Hierarchien relativ flach sind und alle an einem Strang ziehen, dann funktioniert das und fördert den Zusammenhalt.

Anders, wenn es eigentlich nicht zur Unternehmenskultur (mit dem erwähnten Hierarchiegefälle und den unterschiedlichen Agenden) passt, aber trotzdem aufgedrückt wird. Dann wird das Duzen "falsch" und verkompliziert den Arbeitsalltag.

Allgemein: Kürzlich bei der Tischreservation in einem Restaurant wies mich der Gesprächspartner bei der Aufnahme meines Namens darauf hin, dass sie eine "respektvolle Duz-Kultur" pflegen würden. Mir drehte sich doch glatt der Magen um.

Zur Nivellierung nach unten hat der von mir oben verlinkte Artikel eine Antwort: Weil eben die Gesellschaft liberaler wird und es so den Menschen erlaubt, sich immer mehr so zu kleiden, wie sie es wollen. Wahrscheinlich ist es vielen Leuten zu anstrengend, sich mit kleidungstechnischen Details, Farb- und Stoffkombinationen herumzuschlagen? Da ist es einfacher, ein Print-T-Shirt, die erstbesten Jeans oder Shorts und ein paar Turnschuhe (oder Plastikschlappen) anzuziehen. Das "passt" immer und ist "bequem" - der Mensch ist faul :confused:
 
Da lobe ich es mir doch, dass ich in einer Branche arbeite, in der traditionelle Kleidung noch vergleichsweise hochgehalten wird und in der sich viele Kollegen und auch Kolleginnen sehr gut kleiden und Freude daran haben.
 
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