Das Ende der Sparkassenfilialleiter-Krawatte, gerne genommen ein Weihnachtsgeschenk der Ehefrau vom Grabbeltisch des Winterschlussverkaufs anno 1993, kann man auch als sartorialer Feingeist sicherlich als Erlösung für die Menschheit betrachten.
Ist meiner bescheidenen Meinung nach eher ein Ausdruck des krampfhaften Bemühens, bestehende Hierarchien und wachsende Ungleichheit zu kaschieren.Demnach hänge diese Entwicklung mit den immer liberaleren Gesellschaften mit mehr Gleichheit und weniger Hierarchien zusammen
Es spricht viel für diese Hypothese. Josef Käser benennt sich in Joe Kaeser um, reißt sich die Krawatte vom Hals und ist plötzlich cool, kreativ und nahbar gleichzeitig. Nicht. Es ist nur das scheinbare Niederreißen von Hierarchiegrenzen, denn die Hierarchien bestehen natürlich weiter. Ein Steve Jobs hat mal jemanden gefeuert, weil er ihn im Fahrstuhl nicht mit einem Gruß gewürdigt hat. Exakt wie ein Gutsbesitzer und sein verarmter Pächter mit gebeugter Haltung und der Hand an der Mütze im 19. Jahrhundert, nur dass Jobs Rollkragenpulli und Jeans trug.Ist meiner bescheidenen Meinung nach eher ein Ausdruck des krampfhaften Bemühens, bestehende Hierarchien und wachsende Ungleichheit zu kaschieren.
Jede Mode ist keine Individualisierung, sondern eine Konformisierung. Und da liegt halt auch die Chance. Ein Mann in einem ordentlichen Anzug mit guter Passform, der auch noch unverschämterweise Spaß daran hat, ist heute der Punk. Das ist doch eine ebenso anarchisch erheiternde wie beruhigende Vorstellung für die Zukunft. Wenn er dann noch Freude an Wein hat, an Kunst und anderen schönen Dingen und sich nicht nur obsessiv in für den großen Rest der Bevölkerung abstruse Kleidungsdetails hineinsteigert, kann er glatt ein Rollenmodell werden. Auch das sind aber immer Minderheiten.Die Individualisierung wird weiter voranschreiten und damit wohl auch eine Nivellierung des Formalitätsgrades nach unten.