Wo findet man stilvoll gekleidete Menschen?

Auch wenn ich da grundsätzlich bei dir bin. Uns sollte klar sein, dass wir nach diesen Angaben wohl immer noch in irgendwelchen altertümlichen Gewänder herumlaufen müssten. Es ist ja nun nicht so das der Anzug schon immer da war :D
Wir müssen das nicht im Maßstab der letzten zwei Millionen Erdenjahre sehen, sondern können uns behutsam auf die neuere Geschichte der Industriegesellschaften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts beschränken. :) Das ist der Zeitraum, in der die Menschheit in jeder möglichen Erkenntnisklasse in Wissenschaft, Produktion, Kunst und Gestaltung geradezu explodiert ist und in kürzester Zeit größere Fortschritte erzielte als in den 10.000 Jahren zuvor zusammengenommen. Zudem hat sich die Weltbevölkerung seit 1900 fast verfünffacht, es ist also erlaubt, von einem prägenden Zeitalter für die Menschheit zu sprechen, dass die ganze davorliegende Geschichte weit in den Schatten stellt.

In dieser ganzen Zeit war der Anzug interessanterweise schon immer da. Er ist ein bis auf den heutigen Tag unumstrittener Teil der Alltagskultur westlicher Industriegesellschaften. Das ist selbst unter seinen Gegnern so, weil sie eine sozial konnotierte Anti-Kleidungskultur zum Anzug und sartorialer Kleidung im Allgemeinen pflegen.

Deswegen bin ich immer vorsichtig mit Prophezeiungen. Wir können nicht mal das Wetter für den nächsten Tag präzise vorhersagen. Aber für die Mode in 10 oder 20 Jahren wissen wir genau, dass sartoriale Kleidung dann endgültig tot ist? ;)

Genauso wenig ist es so das er für immer bleiben wird.
Da können wir vom Stilmagazin wohl auch nichts daran ändern :D
Ich habe nicht den Anspruch im Stilmagazin, den Anzug für die Nachwelt zu erhalten, das finde ich ebenfalls zu groß aufgehängt. :) Es reicht mir völlig, wenn es ihn und seine Accessoires in großer Auswahl gibt, solange ich einen tragen kann. ;)
 
Aber wir sind uns hoffentlich einig darüber das wir diese Klasse nur erreicht haben durch nichteinhaltung der besagten Punkte 1-3.

Zu denken das wir jetzt das Perfekte erreicht haben ist kühn.

Ich denke es geht noch ein paar Jährchen weiter. Voller (modischer) Veränderung und Evolution.

Es ist aber auch nicht schlimm wenn wir uns an etwas festbeißen. "Das Nächste" werden wir wohl meist nicht mehr mitbekommen^^
 
Uff de Frankfurter Fressgass sieht man auch immer wieder hervorragend gut gekleidete Menschen.
Gut, die gehen zwar zwischen dem ganzen Pöbel oft unter, aber wenn man hischaut sieht man'se
:)
 
Viel zu pessimistisch. Ich würde eher sagen, dass es von den besagten Menschen, "die sich nach unserer Definition stilvoll kleiden", noch nie so viele gab wie heute, was einfach eine Folge aus Wohlstand und gegenseitiger Vernetzung der Interessierten ist. Als der Anzug quasi noch ein erzwungener kleinster gemeinsamer Nenner war, beschränkte sich der Anteil derer, die mit diesem Genre aktiv gespielt haben und nicht nur überwiegend desinteressiert mit dem bisschen mitliefen, was sie sich leisten konnten, zwangsweise auf die oberen 10.000 in den wenigen entwickelten Ländern.

Wir verklären die Vergangenheit nur, weil wir sie auf die überlieferten Bilder der High Society beschränken, wo ein Laurence Olivier oder Cary Grant natürlich auch im Detail sehr ordentliche Anzüge trug. Es gab insgesamt viel mehr (überwiegend konformistische) Anzugträger als heute, aber davon würden in der Breite nur sehr wenige Gnade vor unseren Augen finden, weniger auf die technische Qualität bezogen, aber stilistisch, passformbedingt als auch vom allgemeinen Erhaltungszustand her (geflickt, abgetragen bei den Nicht-Sonntagsanzügen).

Also ich habe genügend Bilder aus den 1930ern gesehen, auf denen auch Dorfbewohner einigermaßen ordentlich aussehen. Alan Flusser erwähnt auch in seinem Buch gerne, dass sich damals ein stilistisches Minimalniveau bei großen Teilen der Gesellschaft finden liess.

Ehrlich gesagt ist es für mich auch nicht entscheidend, ob Leute aus "Konformismus" ordentlich auftreten oder weil sie eine bestimmte Philosophie verfolgen. Die Lächerlichkeit von "Non-Konformismus" sieht man übrigens auch daran, dass er in vielen westlichen Ländern mehr oder weniger Staatsideologie geworden ist. Wenn eine Sache in Deutschland als besonders mutig gilt, sehr als Alternative zu den "verstaubten Konventionen" angepriesen wird und ein Vertreter der Sache in größeren Medien als "unbequemer Zeitgenosse", "Freigeist", "unkonventionell" gefeiert wird, dann weiß man sicher, dass es keinen öffentlichen Akteur gibt, der jemals gegen die Sache auftritt auftreten wird und sie mehr oder weniger als Grundaxiom der Gesellschaft geht, gegen das man nicht aufbegehren sollte.

Ich war einmal im Organisationskommittee einer Veranstaltung und es wurde diskutiert, ob Smokingpflicht herrschen sollte oder stattdessen überhaupt keine Kleiderordnung und das ganze als "Freizeitveranstaltung" organisiert werden sollte.
Sofort meldete sich einer zu Wort und sagte: "Also ich weiß nicht, aber ich trage ja auch gerne T-Shirt, vielleicht bin ich da einfach anders als die meisten", worauf ihm natürlich (wie bei allen non-konformistischen Positionen) direkt alle zustimmten, während die Vertreter der Kleiderordnung mit Schweigen bedacht wurden und dann auf verlorenem Boden standen, nachdem einer eingewandt hatte, dass ein Smoking zu viel Platz in Koffer verbrauchen könnte....


Als konsequenter Vertreter der hier vertretenen Bekleidungsgewohnheiten profitiert man aus meiner Sicht nur, wenn mehr Leute diese wenigstens ansatzweise teilen, selbst, wenn sie dazu gezwungen werden, weil man sich dann dümmliche Kommentare über "Anzugträger" nicht anhören muss.

Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Ich war bis gestern in Rom und dort war das Bekleidungsniveau zwar auch nicht gerade einem 50er Jahre Film entsprungen, aber es gab durchgehend mehr Anzugträger als in Deutschen Großstädten und selbst in den billigsten Ramschläden sahen die Krawatten oft den im Forum favorisierten zumindest vom Muster her sehr ähnlich. Besonders hässliche Schuhe sah man bei Einheimischen auch selten, weil die meisten Loafer zum Anzug trugen und deshalb der typische "Anzugschuh" nie zu sehen war. Die Leute scheinen dort einfach eine gesündere Einstellung zum eigenen Erscheinungbild (und der Akzeptanz dieser Einstellung bei anderen) zu haben und können wegen der besseren Sortimente in den Geschäften nicht so leicht daneben greifen wie wir in Deutschland. Wenn man also stilvolle Menschen treffen möchte, immer schön raus aus Deutschland und ab in Länder, wo eben dieser Stil auch als positive Eigenschaft gilt. :)
 
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Wenn eine Sache in Deutschland als besonders mutig gilt, sehr als Alternative zu den "verstaubten Konventionen" angepriesen wird und ein Vertreter der Sache in größeren Medien als "unbequemer Zeitgenosse", "Freigeist", "unkonventionell" gefeiert wird, dann weiß man sicher, dass es keinen öffentlichen Akteur gibt, der jemals gegen die Sache auftritt auftreten wird und sie mehr oder weniger als Grundaxiom der Gesellschaft geht, gegen das man nicht aufbegehren sollte.


Magst Du nochmal erklären was Du mit dem Satz sagen wolltest? Da scheinen Editierleichen zu sein so dass ich das nicht verstehe. No offense, passiert jedem.

Ansonsten zwei weitgehend unironische Daumen rauf dafür mal einen Satz zu bilden der über SPO hinausgeht.
 
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