Zum guten Stil gehört aber noch weitaus mehr als ordentliche Kleidung.
Im Titel steht aber "stilvoll gekleidete Menschen" und nicht "Menschen mit gutem Stil". Das zweite Thema würde in der Tat in einem nicht enden wollenden Diskurs aus Ansichten enden, was alles dazu gehört und was nicht.
Schwieriges Thema. Für mich sind Menschen "stilvoll gekleidet", die:
1. einer durchgängigen Linie folgen und sich dabei nicht von Moden beeinflussen lassen,
2. in der Wahl ihrer Kleidung Respekt vor der Gesellschaft erkennen lassen und
3. aufgrund der häufigen Beschäftigung und regelmäßigen Abwägung des Themas Kleidung einen sicheren Geschmack für Qualität und die feinen Abstufungen der Ästhetik entwickeln und sich dabei nicht von Designern reinreden lassen.
Wer jedes Jahr den neuesten Trend aus dem Kaufhaus zusammen kauft (ob es ihm steht oder nicht), ist zwar stets topmodern gekleidet, aber erfüllt Punkt 1 nicht.
Wer konsequent in zerrissenen Jeans zum ärmellosen Muscle Shirt auftritt, zeigt zwar ebenfalls eine Art von Stiltreue, weil er es ja unabhängig von den Konventionen ausnahmslos durchzieht, erfüllt aber Punkt 2 nicht, da seine Message an die Gesellschaft ein ausgestreckter Mittelfinger ist.
Wer ohne jedes Nachdenken fertig zusammengestellte Kollektionen von großen Herstellern kauft (vor meinem geistigen Auge erscheint die grüne Barbour Jacke, die den 90ern leider eine Art Herzeigestatement der prollig wohlstandsverwöhnten Gymnasialjugend geworden ist), sieht zwar ästhetisch gekleidet aus, erfüllt aber Punkt 3 nicht, da er schlicht keine Ahnung hat und nur Vorbildern nacheifert.
Das "stilvolle Gekleidetsein" hat deshalb viel gemeinsam mit dem Verständnis für Kunst, Musik und Wein. Es gibt nicht
die richtige Meinung zum Thema, sondern nur die eigene als eine von vielen, die sich aber daran messen lassen muss, ob sie konsistent ist, selbst entwickelt wurde und einen hohen Anspruch an die kleinen Feinheiten des Geschmacks stellt. Das Gegenteil ist, einfach nur Experten nachzuplappern, Parker-Punkte vorzubeten oder das Simple und Laute dem Feinsinnigen und Tiefgründigen vorzuziehen.
Diese Menschen findet man heutzutage durchaus noch, jedoch haben sie oft keine Lust oder keine Zeit, diesen Feinsinn auch an ihre tägliche Garderobe anzulegen, da diese berufs- oder konventionsbedingt auch praktischen Ansprüchen genügen muss. Wer weiss denn schon, ob sich hinter dem uniformierten Polizeikommissar, dem einheitsgekleideten Chefarzt, dem robust gekleideten Klavierbauer oder dem Kurzarm-Flugkapitän nicht eine Stilkanone erster Klasse verbirgt, die ihren Geschmack aber nur zu besonderen Anlässen ausleben kann?