Von der Seele des Thriftens

Was so auch nicht vollkommen korrekt ist; Viele, die viel haben, haben Angst, es bald nicht mehr zu haben.

Genau. Was ich meinte ist das z.B. Soziohistorische Studien von Einwanderern in den USA zeigen, dass diese entgegen populären Mythen oft mehr an Stabilität auf einem bescheideneren Niveau interessiert waren als am Tellerwäscher zum Millionärs-Ding. Das hohe Glücksniveau in Skandinavien hat viel mit der sozialen Sicherheit dort zu tun.
 
Der Mann hat Recht. Wir sind ja inzwischen an einem Punkt, wo es schon nicht mal mehr das Besitzen ist, sondern der kurze Kick des Kaufaktes, der beglückt. Danach liegt das Zeug in der Ecke. Das ist oftmals der vergebliche Versuch einer Erfüllung innerer Leere, die nur von innen heraus gelingen kann.

Du bringst es auf den Punkt. Wenn also diese Gegenstände weder um ihres praktischen Nutzens noch um ihrer Ästhetik willen von uns geschätzt werden, sind sie letztlich doch nichts anderes als eine entmaterialisierte, kurze Endorphin-Spritze für unser Gehirn, verschwendete Ressourcen und Gerümpel, das uns Raum wegnimmt und den Blick verstellt. Und diesen Zweck können Vintage-Produkte ebenso gut und meistens günstiger erfüllen.

Welche Blüten der Konsum- und Marketing-Irrsinn treibt, lässt sich doch nirgendwo so gut beobachten wie in der Fashion-Branche - das wissen wir doch alle am besten. In einer interessanten BBC-Dokumentation wurde u. a. berichtet, dass sich Frauen inzwischen die neuesten Modelle ihrer Designer-Handtaschen für eine Woche ausleihen können, statt sich alle paar Wochen eine für 4.000 € kaufen zu müssen.

100 % d'Akkordeon.

Und ich sehe, anders als Stumpfi, den Aspekt der "Nachhaltigkeit" (eig. Modemodewort wie "alternativlos") schon sehr stark beim Thriften.

Geht mir genauso. Abgesehen von Kleidung gibt es bei mir z. B. einen Bereich, wo ich das immer ganz unmittelbar vor Augen geführt bekomme. Ich rasiere mich mit dem Messer, Rasierschaum schlage ich mit Pinsel und Seife. Jedes Mal, wenn ich ein schönes, sagen wir ca. 120 Jahre altes Rasiermesser benutze, denke ich daran, dass sich damit schon mindestens 2 bis 3 Generationen Männer rasiert haben - und mit etwas Glück sogar noch ein, zwei nach mir. Es nutzt sich kaum ab, erzeugt keinen Abfall, sieht immer noch wunderschön aus und erfüllt vor allem seine Funktion immer noch genauso perfekt wie am ersten Tag.

Ich möchte nicht wissen, wie viele dieser tollen, alten Werkzeuge einfach entsorgt wurden, weil sie ja mehr Zeit, Muße, Pflege und vor allem Aufmerksamkeit erfordern als die 5-Klingen-Plastikschaber mit Dosen-Schlabberschaum - aber diejenigen, die überlebt haben, erwachen halt bei Liebhabern wie mir zu neuem Leben. Mal abgesehen von dem gesparten Geld (wenn man seinen Sammeltrieb unter Kontrolle hat ;)), entsteht in dieser Konstellation so gut wie kein Abfall - vielleicht einmal pro Jahr eine Rasierseifen-Verpackung. Man muss diesbezüglich ja nicht päpstlicher sein als der Papst - aber all das erhöht für MICH einfach die persönliche Genuss-Bilanz und macht eine ganz alltägliche Verrichtung zu einem schönen Ritual, das mir gute Laune macht.
 
"Glück verschleißt, es inflationiert, wenn man die vermeintlich glücksstiftenden Elemente immer mehr werden lässt, bis man irgendwann unter einer Lawine versinkt. Um einen Konsum-Burnout zu vermeiden, müsste man die Kunst des 'suffizienten Konsums' erlernen. Man muss die Maßlosigkeit abschütteln – und zwar nicht im Sinne des Verzichts, sondern des Selbstschutzes. 'Suffizienz' bedeutet nicht das Ende meines Konsums, sondern die Menge der Konsumgegenstände auf ein Niveau zu reduzieren, das mir wieder den Überblick erlaubt. Ich muss wieder in der Lage sein, meine knappe, nicht vermehrbare Aufmerksamkeit jedem einzelnen der übrig gebliebenen Objekte so zu widmen, dass ich sein Potenzial ausschöpfen kann."

Ist es vielleicht das, was uns am Thriften fasziniert, ja glücklich macht? Auf ein altes, gebrauchtes und darum einzigartiges Stück müssen wir lange warten - häufig umsonst. Wir dürfen es nicht suchen, sondern uns vielmehr von ihm finden lassen. Das diszipliniert uns. So haben wir genug Zeit, uns in Gedanken mit ihm zu beschäftigen, Szenarien mit ihm durchzuspielen, es zu bewerten und sogar zu genießen, obwohl wir es (noch) gar nicht besitzen.
Ja, aber ist das wirklich in der Realität so? Beim Thriften kann man doch gar nicht auf ein konkretes Stück abheben, man thriftet das, was man von dem bekommen kann, was gerade in diesem Moment im Markt verfügbar ist. Der Kick ist nicht der Kaufmoment, sondern der Auktionsgewinn.

Thriften erlaubt den oben erwähnten maßlosen Spontankonsum in Quantität pro Zeitabschnitt - das zehnte Tweed-Sakko, die zweihundertste Paisley-Krawatte - auch mit geringeren finanziellen Mitteln. Natürlich geht nicht jeder so vor, aber das Konzept unterstützt den schnellen, umfangreichen Konsum genauso wie der normale Neukauf im Laden und das typischerweise per einfachem Knopfdruck vom heimischen Rechner aus statt des aufwändigeren Ladenbesuchs mit Anreisezeiten und der Beschränkung auf die eigene Region.

Den konzeptionell unterstützten suffizienten Konsum sehe ich eher bei Maßfertigung bei Kleidung. Man beschäftigt sich schon im Vorfeld des Kaufs mit den eigenen Wünschen und die teilweise erheblichen Turn-Around-Zeiten inkl. Fittings bis zur endgültigen Fertigstellung des Kleidungsstücks verhindern schnelle Spontankäufe.
 
mehr an Stabilität auf einem bescheideneren Niveau interessiert

Seit wann kennst Du das Tattoo auf meinem Unterschenkel? :eek:

:D

Davon, dass schier unendliche Kohle nicht unendliches Glück ohne einen trüben Gedanken verheißt, kann sich jeder überzeugen, der mal nach Dubai fliegt und ein paar Tage dort verbringt.

Mo' Money mo' Problems.
 
Thriften erlaubt den oben erwähnten maßlosen Spontankonsum in Quantität pro Zeitabschnitt - das zehnte Tweed-Sakko, die zweihundertste Paisley-Krawatte - auch mit geringeren finanziellen Mitteln. Natürlich geht nicht jeder so vor, aber das Konzept unterstützt den schnellen, umfangreichen Konsum genauso wie der normale Neukauf im Laden und das typischerweise per einfachem Knopfdruck vom heimischen Rechner aus statt des aufwändigeren Ladenbesuchs mit Anreisezeiten und der Beschränkung auf die eigene Region.

Da gebe ich Dir Recht. Man kann auch in - erthriftetem- Konsum auf viele Arten ersticken.

Deswegen schieße ich derzeit auch nix, keine Geldmittel, kein Platz und kein Anreiz mehr. Wenn Du den 10. anthrazitfarbenen Anzug/Sakko hast...



Mir gefällt übrigens die Diskussionskultur in diesem Faden hier, wollte ich mal kurz aufblinken lassen. Dass es auch anders geht, haben wir ja schon gelesen in letzter Zeit.
 
Thriften erlaubt den oben erwähnten maßlosen Spontankonsum in Quantität pro Zeitabschnitt - das zehnte Tweed-Sakko, die zweihundertste Paisley-Krawatte - auch mit geringeren finanziellen Mitteln. Natürlich geht nicht jeder so vor, aber das Konzept unterstützt den schnellen, umfangreichen Konsum genauso wie der normale Neukauf im Laden und das typischerweise per einfachem Knopfdruck vom heimischen Rechner aus statt des aufwändigeren Ladenbesuchs mit Anreisezeiten und der Beschränkung auf die eigene Region.

Den konzeptionell unterstützten suffizienten Konsum sehe ich eher bei Maßfertigung bei Kleidung. Man beschäftigt sich schon im Vorfeld des Kaufs mit den eigenen Wünschen und die teilweise erheblichen Turn-Around-Zeiten inkl. Fittings bis zur endgültigen Fertigstellung des Kleidungsstücks verhindern schnelle Spontankäufe.

Keine Frage - ewig scheiternder Kompensationskonsum ist auf jedem Level möglich. Thriften, totkaufen bei Primark, in der Escada-Boutique und selbst auf der Savile Row.
 
Also, ich meinte damit auch nicht, dass ich etwas gegen Nachhaltigkeit habe, die darf von mir gerne nebenbei rauskommen, ist aber bei mir keinesfalls der Grund, warum ich fundjage.
Ich weiss auch nicht, in wie weit z.b. Ebay.com Thriften nachhaltiger ist, Zeug muss auch erst mal übern' Atlantik und so weiter... Auch in Berliner 2nd Hand Läden finde ich oft Sachen, bei denen ich mir ziemlich sicher sind, dass sie von relativ weit hergeschippert wurden. Der neue, naturfarbene, deutsche Wolle Pulli ausm' Bioladen wäre da eventuell nachhaltiger... ;)
 
Schön zu sehen, das es hier so lebhaft zugeht und so kontrovers diskutiert wird.

Was mir nicht ganz einleuchtet, warum thriften hier ausschließlich mit Ebay in Verbindung gebracht wird. Ich bin nicht einmal Mitglied und thrifte trotzdem seit fast zwanzig Jahren. In der Regel in Second Hand Läden, aber auch auf Auktionen, Fleamarkets oder Garagenverkäufen.
Dort gelten sicherlich noch einmal andere Regeln und "Gesetze", dafür sieht man, was man kauft und kann vor Ort noch feilschen. Das macht, neben den anderen Gründen, einen nicht unwesentlichen Reiz für mich aus.

Ansonsten brauche ich jetzt erst mal ein wenig Zeit, um die ganzen Wortbeiträge der letzten Tage zu sichten:)
 
Schön zu sehen, das es hier so lebhaft zugeht und so kontrovers diskutiert wird.

Was mir nicht ganz einleuchtet, warum thriften hier ausschließlich mit Ebay in Verbindung gebracht wird.

Ich bin nicht einmal Mitglied und thrifte trotzdem seit fast zwanzig Jahren. In der Regel in Second Hand Läden, aber auch auf Auktionen, Fleamarkets oder Garagenverkäufen.
Dort gelten sicherlich noch einmal andere Regeln und "Gesetze", dafür sieht man, was man kauft und kann vor Ort noch feilschen. Das macht, neben den anderen Gründen, einen nicht unwesentlichen Reiz für mich aus.

Ansonsten brauche ich jetzt erst mal ein wenig Zeit, um die ganzen Wortbeiträge der letzten Tage zu sichten:)

Because we're on the bloody continent, old chap. Im Vergleich zu UK oder USA ist die second hand Kultur hier ja immer noch unterentwickelt. Weder gibt es die Stücke in vergleichbarer Anzahl, noch die Outlets. Nicht ohne Grund habe ich 90% meiner gethrifteten Stücke bei ebay.uk oder ebay.com erworben, von ebay.de sind nur die Regent-Sachen und die Italiener. Brick&Mortar Funde habe ich stets in old blighty oder der neuen Welt gemacht, seit einiger Zeit dann auch mal bei Oxfam Germany und selten mal bei einem Second Hand Laden (Frankfurt ist da aber auch ein schlechteres Pflaster als HH oder Berlin).
Und dann gibt es natürlich noch das Forum :)
 
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