Von der Seele des Thriftens

proteus

Well-Known Member
Sowohl im Ebay Thread als auch in einigen anderen Unterforen ist in den letzten Wochen vermehrt das Thema "Thriften" kontrovers diskutiert worden.
Da dieses Thema in solchen Threads naturgemäß untergeht und dort in der Regel auch nichts zu suchen hat, es aber offensichtlich von zahlreichen Forumsteilnehmern gemacht wird und Anlass zu lebhaften Diskussionen bietet, soll diese Abteilung für den Austausch die Plattform bieten.

Dabei geht es nicht um die besten Quellen für gebrauchte Kleidung oder eine Auflistung der letzten Beute, dem kann an anderer Stelle gefrönt werden. Vielmehr soll es um die Intentionen, die Gründe, die Vorzüge aber auch die Nachteile bei der Jagd nach getragenen oder historischen Kleidungsstücken gehen.
Was bewegt einen urbanen Herren der Neuzeit mit ausreichendem Einkommen und einer Fülle von Herrenausstattern vor der Tür, die zwei mal pro Jahr neuste Kreationen in die Läden hängen, dazu, teures Geld und teilweise viel Zeit in den Erwerb eines 40 Jahre alten Anzugs zu investieren oder sich wie ein Kind über abgetragene Schuhe eines längst zugrunde gegangenen Schusters aus der Frühzeit des Fernsehens zu freuen?

Was sind die Beweggründe, containerweise Kleidung zu kaufen, um dann drei oder vier Teile behalten zu können und einer ganzen Berufsschulklasse Änderungsschneider Lohn und Brot für die kommenden Jahre zu garantieren?

Darum soll es hier gehen. Sicher gibt es auch kontroverse Meinungen zu diesem Thema ( dreckig, eklig, alt, unmodern, die Farbe ) - auch diese Einwände sind interessant, treffen doch sicherlich nicht nur Einstellungen sondern auch Generationen aufeinander. Worum es nicht gehen soll, sind virtuelle Genitalanamesen, wer die besten, coolsten oder meisten hat.

Nun denn, Gentlemen, der Reigen ist eröffnet.
 
Mein erstes, allerdings unfreiwillig, getrhriftetes Teil bekam ich mit 13 oder 14 Jahren von meinem Vater. Dazu muss man wissen, das dieser verschiedene Eigenheiten hatte. Zum Ersten hatte er einen schier unerschöpflichen Vorrat an Bekleidung, was hauptsächlich daran lag, das er seit 1946 nichts mehr weggeworfen hat, was er mal erworben hatte, es sei denn, man hätte ihm den Koffer geklaut. Das er seit selbem Jahr auch exakt die selbe Konfektionsgröße bis zu seinem Tode trug, lag maßgeblich an Eigenart Nummer Zwei: Einer heute kaum noch zu findenden, geradezu furchteinflössenden Disziplin. Diese sorgte nicht nur dafür, das er immer wie aus dem Ei gepellt war, sondern auch, das man auf seine Sachen zu achten hatte. Unnötig zu erwähnen, das Dinge wie T-Shirts für meinen Vater nicht im Ansatz mit Bekleidung zu tun hatten und entsprechend verpönt waren.
Nun hatte er auch Hunde und eines seiner Vergnügen bestand darin, bei möglichst schlechtem Wetter möglichst lange auf möglichst unwegsamen Wegen durch die Flora zu wandern, gerne auch in Begleitung - meiner.
Während einem meiner Besuche hatte ich vorsichtshalber alles, was an wetterfeste Kleidung erinnert, im Internat gelassen und war todtraurig, an den anstehenden Exkursion nicht teilnehmen zu können. Nach kurzem, kritischen Blick verschwand der alte Herr in seiner “Kleiderablage” und erschien kurz darauf mit einem Paar undefinierbarer Hosen, einem Tweedjacket, dessen Preisschild noch in Englischen Shilling ausgestellt war, dazu einem Paar unglaublich alter Hunter Wellies und einer Art Jacke, die sich bei näherem Hinsehen als eine Tweedjacke von Chrysalis herausstellte ( nicht, das mir dies damals schon geläufig war )
“Das passt, anziehen”. Wer wollte einer derart herzlichen Aufforderung widersprechen?

Ich sah wahrscheinlich aus wie der Förster vom Silberwald in einem deutschen Edgar Wallace Krimi. Erstaunlicherweise passten die Sachen sogar annähernd, ich war ja noch ein Kind. ( was mich blitzschnell realisieren lies, das ich annähernd die gleiche Konfektionsgröße haben werde, wenn ich groß bin und vor meinem Auge sofort meine Wenigkeit in dem herausragenden grauen Anzug meines Vaters auftauchte. ) Während der nassen, langen Wanderung erfuhr ich nicht nur Alter und Herkunft der von mir getragenen Ablageteile ( Das Tweedsakko war von 1959 ), sondern auch so manche Anekdote zu Geschehnissen, die selbigen oder in selbigen widerfahren waren.
An diesem Tag entstand meine Faszination fürs Thriften, ohne das mir Wort oder Bedeutung damals schon geläufig waren ( wenn es das Wort überhaupt schon gab) Warum? Mein erster Gedanke war natürlich auch “Oh Gott, du trägst alte Klamotten auf “ Und das nicht vom älteren Bruder ( dieser Kelch ist in Ermangelung eines solchen gottseidank an mir vorüber gegangen ), sondern von deinem uralten Vater. Für einen jugendlichen Heranwachsenden eine ähnliche Vorstellung wie das Abitur für Frau Carmen Geiss.
Bei näherem Hinsehen fiel selbst mir schon auf, wie gut die Sachen sind, wie gut verarbeitet und in welch gutem Zustand nach all den Jahren ( Das Sakko war ja schon fast 25 Jahre alt ) Diese Methusalem Kluft hielt zudem warm und trocken, was man von den Helly Hansen Joppen meiner Freunde nicht behaupten konnte und sah irgendwie auch noch cool aus. Das mein Vater zu jedem würdevoll gealterten Teil auch noch eine Geschichte erzählen konnte, gab dem ganzen natürlich noch eine sehr persönliche Note.
Möglichst unbeteiligt versuchte ich das Gespräch auf meine satoriale Notsituation zu bringen, in der Hoffnung, den Krempel direkt mitnehmen zu können. Unnötig zu erwähnen, das dies natürlich nicht geschah. Ich durfte allerdings die Tweedjacke behalten („ Damit du wenigstens eine vernünftige Jacke hast“ ) Und in der Tat, die habe ich heute noch. Mein erstes „gethriftetes“ Teil.

Aber der Keim der Freude an alten Kleidungsstücken mit Historie war gelegt.
Fortsetzung folgt...
 
Bei Ebay zu kaufen hat bei mir mehrere Gründe:

- Flohmarktsyndrom: Ein vermeintliches Schnäppchen machen, etwas wieder in schätzende Hände bringen, Irgendwas kaufen, was man eigentlich nicht wirklich braucht aber trotzdem gerne hätte, im vielfältigen Angebot wühlen und sich seine "Perlen" herauszuziehen

- Nostalgie

- und natürlich des Geldes wegen: Wenn ich mir die besten Schneider rund um die Uhr per Helikopter einfliegen lassen könnte, wäre da natürlich kein Bedarf.
 
a) an hochwertige Sachen kommen, ohne Anschaffen gehen zu müssen
b) vielseitige Garderobe zum Experimentieren aufbauen
c) Jagd-/Entdeckungslust

d) ab und zu kann man sogar hier in Berlin auf freundliche und leidenschaftliche Verkäufer treffen, dann auch der menschl. Aspekt ggü. SuSu online etc.
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke, proteus! Ich bin jetzt schon auf die Fortsetzung gespannt! :)

Ich habe schon einige Zeit, bevor ich begonnen habe, mich für Kleidung zu interessieren, begonnen, mehr in gebrauchte als in neue Sachen zu investieren. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr der Ramsch, der einem überall angeboten wird, anödet. Hundertmal lieber schaffe ich mir etwas Gebrauchtes an, dem man allenfalls halt auch ansieht, dass es schon gebraucht gewesen ist, als man es gekauft hat. Geld spielt eine gewisse Rolle, das gebe ich ehrlich zu. Ich freue mich aber jedes Mal, wenn ich etwas, für das der ehemalige Besitzer sonst keine Verwendung mehr gehabt hätte, für günstiges Geld erstehe, wenn es von guter Qualität ist und weniger kostet als ein vergleichbares neues (Schrott-) Teil. Man wird dann auch ein Teil einer Geschichte, die teilweise schon älter ist als man selbst. Hier in der kleinen Schweiz kommt es bei Gebrauchtkäufen via Internet nicht selten zu persönlichen Begegnungen, die ich bislang allesamt als angenehm empfunden habe. Einige Unterhaltungen waren zudem äusserst interessant.

Das Geld, das ich beim Kauf gebrauchter Sakkos und Anzüge gespart habe, habe ich noch so gerne dem örtlichen Schneider für teils aufwendige Änderungen gegeben. Was für ein schönes, für uns Junge seltenes Erlebnis, mit einem Fachmann ein persönliches Gespräch zu führen, sich beraten zu lassen und etwas zu fachsimpeln (sprich: zu lernen). Ich komme zum hundertsten Mal in den letzten Tagen auf einen schönen Anzug zurück, den ich letztens habe abändern lassen. Der Schneider hat einen kurzen Blick darauf geworfen, ihn einmal berührt und ist gleich ins Schwärmen geraten. Er hat mir Stoffproben mit Preisen gezeigt und etwa zwanzigmal erwähnt, dass nur schon der Stoff ein Vermögen wert sei. Dann hat er kurz einen Blick auf die Verarbeitung geworfen und weiter geschwärmt. Nach der erfolgten Änderung und weiteren fünfzig Erwähnungen, wie toll der Stoff und die Verarbeitung seien, hat er mir gesagt, dass wohl niemand mehr sich einen solchen Anzug in der Schweiz würde anfertigen lassen. Das wäre nicht bezahlbar bzw. unvernünftig. Ihr könnt euch vorstellen, mit welchem Stolz man einen solchen Anzug trägt. Ein Tweed Sakko, das ich ersteigert habe, hat dreissig Jahre auf dem Buckel und sieht noch praktisch unbenutzt aus. Das ziehe ich im Wissen an, dass ich es noch in dreissig Jahren tragen werde. Damit komme ich zu einem weiteren Aspekt: Ich schmeisse nicht gerne Dinge weg. Noch viel weniger gerne schaffe ich mir etwas an, von dem ich weiss, dass ich es in wenigen Jahren auf den Müll werfen muss. Ich verabscheue die Wegwerf-Mentalität unserer Gesellschaft zutiefst.

Das waren einige wenige Gedanken von jemandem, der noch ganz neu im Geschäft ist. :)
 
Ich erkenne da in mir den Sammler und Jäger, den Freund des blitzschnellen Zuschlagens und heimschleppen der Beute.

Zuhause am PC kann ich in aller Ruhe nach Gelegenheiten stöbern und muss mich nicht in überfüllten stores mit schlecht ausgebildeten sales-agents rumärgern. Ja, ich weiß - es gibt auch Ausnahmen!

Ich freue mich, wenn ich ein gutes Teil zu einem unanständig niedrigen Preis ersteigern konnte; ein Teil das dann nicht jeder Dritte auf der Straße trägt. Diese Sachen (besonders, wenn sie schon älter sind) sind zumeist in einer Qualität, die heute nur noch für einen obszönen Preis zu bekommen sind - wenn überhaupt. Also freue ich mich an der Nachhaltigkeit der Teile und hoffe, dass ich der Frucht meiner Lenden von dieser Einstellung etwas mitgeben kann, er scheint so langam auf dem richtigen Weg. :)
 
Na ja, es ist schon etwas mehr als nur gebrauchte Sachen zu kaufen. Wenn ich zur Kleiderhaken gehe und einen H&M Anzug kaufe, ist es -eben gebraucht kaufen, um was zum anziehen zu haben oder schnell und unkompliziert an eine ( möglichst günstigen) Gebrauchsgegenstand zu kommen.
Thrifte ich, suche ich etwas beonderss, ein nicht alltägliches Stück, das meine stilistischen und qualitativen Ansprüche erfüllt. Es geht also nicht nur um die Befriedigung, eine günstige Gelegenheit zuhaben oder den Anspruch, irgendwas zum anziehen zu kaufen, sondern eher um die Freude und die Befriedigung, die ich aus der Kombination von Jagdtrieb, Handwerk und Exklusivität ziehe. Zu Anfang war es sicher das Bedürfnis, gerade von Studenten, billig gut gekleidet zu sein. Heute gibt es sogar vereine, die sich damit beschäftigen oder Leute, die nur Anzüge aus den 40ern tragen.
Die Fedora Lounge ist da eine gute anlaufstation.
 
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