Sakko: Fäden in der Schulter?

XdEnX

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Hallo,

ich bin neu hier und habe mal eine Frage zu einem kürzlich in England gekauften Sakko:

Wozu sind diese Fäden in der Schulter bzw. wie lässt man sie am besten entfernen? Zur Veranschaulung hier 2 Bilder:

 
Ich habe die gleiche Frage mal einem Ausstatter gestellt, der meinte die Fäden wären reiner Zierrat ohne jegliche weitere Bedeutung. Am besten einfach den Faden an einer Stelle anheben und rausziehen, oder?
 
Sartoria ja???

Hallo zusammen

Diese Naht ist keineswwegs reiner Zierrat! Sie hat zwar keine Funktion, wohl aber eine Bedeutung. Oft wird sie hierzulande Sartoria Naht genannt, weil sie ein Indiz dafür ist, dass an der bestimmten Stelle wo sie anzutreffen ist von Hand gearbeitet wurde (das Thema inwieweit hier wirklich fatto a mano, reine Handarbeit geleistet wurde ist bekanntlich heiß diskutiert). An der Schulter KANN dies also bedeuten, dass die Ärmel von Hand eingesetzt worden sind und auch das Innenfutter von Hand vernäht wurde. Schaut man sich das Armloch von innen genauer an, dann erkennt man dies daran, dass der Stoff leicht gerafft ist und etwas unregelmäßig aussieht. Bei Semi und Full Canvas Sakkos finden sich diese weißen Fäden auch oft an den Seitenschlitzen. Hier haben sie reine Schutzfunktion beim Transport, da hier die Anzüge häufig sehr eng zusammenhängen. Findet sich eine solche Naht auch an Knopflöchern des Revers und an den Taschen, dann wurden sehr wahrscheinlich auch diese von Hand verarbeitet. An Hosen findet man sie meist nur am Saum, bei High End RTW sind dann weit mehr als die üblichen 4cm Stoffüberschuss vorhanden.

Zum Heraustrennen empfiehlt sich ein spezieller Nahttrenner, eine Schere tut´s auch wenn man etwas Geschick mitbringt. An der Schulter am besten von innen nach außen arbeiten. Dabei zunächst den Kragen umklappen und am Filz des Kragens beginnen. Dann langsam und behutsam die Fäden Richtung Schulter lösen, möglichst den Faden am Stück lassen. An der Schulterkante dann NICHT abschneiden, sondern ins Innere des Sakkos schauen, wo sich ein kleiner Knoten, das Endstück befinden sollte. Diesen dann langsam herausziehen. Dabei sollte der komplette Faden rückstandslos zu entfernen sein. In der Regel wird so etwas im Geschäft erledigt und zwar ohne Nachfrage.

Herzlichen Glückwunsch zu dem schönen Sakko und eine ruhige Hand bei der Entfernung des "Zierrats"! ;)

Grüße, Camara
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank für diese sehr ausführliche und informative Erklärung. Mit dieser Anleitung sollte das Entfernen der Fäden kein Problem sein. Es haben sich noch ein paar Fragen bei mir ergeben:

Oft wird sie hierzulande Sartoria Naht genannt, weil sie ein Indiz dafür ist, dass an der bestimmten Stelle wo sie anzutreffen ist von Hand gearbeitet wurde (das Thema inwieweit hier wirklich fatto a mano, reine Handarbeit geleistet wurde ist bekanntlich heiß diskutiert).

Bedeutet das, dass nur Stellen von Hand gearbeitet wurden, an denen diese weißen Fäden angebracht sind? Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass nahezu das gesamte Sakko in Handarbeit gefertigt wurde, jedoch befinden sich diese Nähte nur an den Schultern (und ein Informationsetikett ist mit diesen Fäden festgemacht).

An der Schulter KANN dies also bedeuten, dass die Ärmel von Hand eingesetzt worden sind und auch das Innenfutter von Hand vernäht wurde. Schaut man sich das Armloch von innen genauer an, dann erkennt man dies daran, dass der Stoff leicht gerafft ist und etwas unregelmäßig aussieht.

Der Stoff am Armloch sieht in der Tat etwas gerafft und leicht unregelmäßig aus.

Bei Semi und Full Canvas Sakkos finden sich diese weißen Fäden auch oft an den Seitenschlitzen.

Was ist mit dem Begriff "Canvas" gemeint?
 
Die weißen Nähte die für heftigste "Schneiderverarbeitung" stehen, findet man sehr häufig bei schäbigen und mittelmäßigen Anzügen, gerne solche die bis zur Bewusslosigkeit mit ganz tollen "Handstichkanten" versehen sind (ein weiteres Kennzeichen hochwertiger Schneider oder Sartoria-Verarbeitung:rolleyes:).

Diese ganzen Fäden als Überbleibsel echter Maßarbeit, bei der das komplette Sakko im Laufe der Herstellungsprozesses an allen möglichen Stellen mit Provisionsnähten versehen war, sind bei Fertigware nur noch sinnvoll wenn Taschen, Schlitze, evtl. Knopflöcher fixiert sind damit sie beim anprobieren durch mehrere Kunden, Transport etc. nicht ausbeulen.
Meist ist es aber show-off, teilweise hat man den Eindruck, dass diese Fäden mehr Arbeitsaufwand in Anspruch gneommen haben als die Herstellung des fraglichen Kleidungsstücks.
 
Hallo,

möchte Camara noch ein bisschen widersprechen, bzw. ergänzen. Dieser Faden hat(te) tatsächlich eine Bedeutung, wenn man einen Maßanzug im ersten Stadium hat. Auch *kann* er bei Anzügen von der Stange helfen, die Schulter auf den dünnen Ausstatterbügeln besser in Form halten. Dazu muss er aber tatsächlich so aufwändig eingesetzt werden, dass dann Camaros OP notwendig wird. Normalerweise erwarte ich aber, wenn ich einen solchen Anzug beim Ausstatter kaufe, das mir dort dieser Faden entfernt wird (und auch die Taschen aufgetrennt werden).:p
Bei den allermeisten Anzügen, bei denen ich diese "Naht" gesehen habe, war sie allerdings reine Augenwischerei, die eine Hochwertigkeit vortäuschen sollte, wo keine war. Dann ist meistens nur ein Knötchen (außen) auf der Schulter zu finden, und der Heftfaden (so nennt sich der Faden) kann einfach herausgezogen werden.

Mag sein, dass hier Handarbeit angezeigt werden soll, meiner Erfahrung nach wird damit nur versucht, die Hochwertigkeit eines Maßanzuges zu erheischen, bei dem diese Fäden aber maximal noch bei der zweiten Anprobe zu finden sind.
Aber Hut ab vor dem Verkäufer, der nicht versucht hat, irgendwelchen Glanz zu verkaufen, den es nicht gibt. Trifft man selten.:)
 
Die weißen Nähte die für heftigste "Schneiderverarbeitung" stehen, findet man sehr häufig bei schäbigen und mittelmäßigen Anzügen, gerne solche die bis zur Bewusslosigkeit mit ganz tollen "Handstichkanten" versehen sind (ein weiteres Kennzeichen hochwertiger Schneider oder Sartoria-Verarbeitung:rolleyes:).

Ich hoffe mal, dass es sich in meinem Fall nicht um eine solche Augenwischerei handelt. Übertriebene Handstichkanten kann ich jedenfalls nicht feststellen (wären bei dem Material aber wohl auch schwer zu erkennen:D).

Normalerweise erwarte ich aber, wenn ich einen solchen Anzug beim Ausstatter kaufe, das mir dort dieser Faden entfernt wird (und auch die Taschen aufgetrennt werden).:p

Das wurde dann wohl vergessen, die Taschen wurden aber immerhin geöffnet.

Mag sein, dass hier Handarbeit angezeigt werden soll, meiner Erfahrung nach wird damit nur versucht, die Hochwertigkeit eines Maßanzuges zu erheischen, bei dem diese Fäden aber maximal noch bei der zweiten Anprobe zu finden sind.

Also sind solche Fäden bei RTW-Sachen überflüssig.
 
Hallo nochmal

Vorab eine Frage: Ist das Sakko ein (der Bügel könnte es verraten) Kiton? Unter der Annhame das es eines ist, kann man von Handarbeit in weiten Teilen ausgehen. Aber das allein heisst nocht nichts (ich finde den Link nicht, aber im Styleforum wird das immer wieder anschaulich korrigiert, teilweise sind die von Verkäufern etc. angegebenen Stunden der tatsächlichen Handarbeit angeblich weit übertrieben). Aber der Qualität insgesamt tut das keinen Abbruch und die sichtbaren Nähte bedeuten nicht, dass NUR an diesen Stellen von Hand gearbeitet wurde, aber so ist es natürlich für den Kunden sehr gut erkennbar.

Am Armloch ist dies auch bei Hemden oft zu beobachten und macht wohl viel vom oft beschworenen, extrem angenehmen Tragegefühl bei Kiton aus.

Ich versuch´s so knapp wie möglich: bei günstigeren Anzügen/ Sakkos sind die Einlagen unter dem Oberstoff mit diesem fixiert (man sagt auch fused). Das ist die gängigste Verarbeitungsweise im Ready To Wear Bereich. Semi Canvas bedeutet, dass das Sakko zum Teil mit losen Einlagen versehen wurde. So werden in das Revers Rosshaar/ Kamelhaar eingearbeitet, man spricht auch vom Pikieren. Meist erfolgt diese Verarbeitung mit natürlichen Einlagen, die nicht mit dem Oberstoff verbunden sind dann aber nur für einen Teil des Sakkos (was von Hersteller zu Hersteller abermals unterschiedlich sein kann). Full Canvas bedeutet i.d.R., dass alle Einlagen aus natürlichen Materialien bestehen, Rosshaar, irisches Leinen, Baumwolle etc. Das hat die Vorteile, dass das Sakko länger formstabil bleibt und auch die Wellen, die nach der Reinigung oft auftreten treten kaum auf. Dadurch, dass der Träger Wärme und Feuchtigkeit an das Sakko abgibt und sich dieses über längere Zeit dem Träger immer besser anpasst.

Grüße, C
 
Die weißen Nähte die für heftigste "Schneiderverarbeitung" stehen, findet man sehr häufig bei schäbigen und mittelmäßigen Anzügen, gerne solche die bis zur Bewusslosigkeit mit ganz tollen "Handstichkanten" versehen sind (ein weiteres Kennzeichen hochwertiger Schneider oder Sartoria-Verarbeitung:rolleyes:)

Handstichkanten haben imho nichts mit dem ominösen weißen Faden gemein, richtig? Ich habe ja extra betont, dass man vorsichtig sein muss, diese Fäden/ Nähte pauschal als Indiz für Handarbeit zu werten.

Diese ganzen Fäden als Überbleibsel echter Maßarbeit, bei der das komplette Sakko im Laufe der Herstellungsprozesses an allen möglichen Stellen mit Provisionsnähten versehen war, sind bei Fertigware nur noch sinnvoll wenn Taschen, Schlitze, evtl. Knopflöcher fixiert sind damit sie beim anprobieren durch mehrere Kunden, Transport etc. nicht ausbeulen. Meist ist es aber show-off, teilweise hat man den Eindruck, dass diese Fäden mehr Arbeitsaufwand in Anspruch gneommen haben als die Herstellung des fraglichen Kleidungsstücks.

d'accord

Hallo, möchte Camara noch ein bisschen widersprechen, bzw. ergänzen. Dieser Faden hat(te) tatsächlich eine Bedeutung, wenn man einen Maßanzug im ersten Stadium hat. Auch *kann* er bei Anzügen von der Stange helfen, die Schulter auf den dünnen Ausstatterbügeln besser in Form halten. Dazu muss er aber tatsächlich so aufwändig eingesetzt werden, dass dann Camaros OP notwendig wird. Normalerweise erwarte ich aber, wenn ich einen solchen Anzug beim Ausstatter kaufe, das mir dort dieser Faden entfernt wird (und auch die Taschen aufgetrennt werden).

Da es ja um ein RTW Sakko ging, beziehen sich alle meine Angaben natürlich auch nur darauf. Was gerade bei den Kiton Sakkos viel interessanter ist, sind die "Spuren" die im Inneren zu finden sind. Dass die Fäden nicht grundsätzlich für Qualität stehen, habe ich eigentlich entsprechend erwähnt. ;)

Gruß, C
 
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