Eine Verhandlung führt man ja nicht nur über die Sprache. Natürlich kann es die eigene Verhandlungsposition verändern, wenn man z.B. durch die Kleidungswahl deutlich macht, was man dem anderen nicht direkt ins Gesicht sagen darf: Ich kann es mir leisten, diesen Termin nicht so ganz ernst zu nehmen.
Die allermeisten Anzugträger, die einem täglich begegnen, gehen nicht in eine Verhandlung, sondern in ein Gespräch. Und da kommt die Rolle des Geschäftsanzug-Dresscodes in seiner ursprünglichen Bedeutung zum Tragen, nämlich allen Beteiligten gegenseitig zu versichern, dass sie alle auf Augenhöhe miteinander sprechen und schon vor Beginn ein gegenseitiges Interesse auf einen guten Verlauf signalisieren wollen. Das halte ich, um Ergebnisse zu erzielen, für unbedingt förderlich.
Auch und gerade in einer Verhandlung habe ich die Anwendung bewusster Unhöflichkeiten, auch in non-verbaler Form als bewusste Respektlosigkeit, noch nie verstanden. Nach Erzielung einer Einigung muss man dann ja i.d.R. auch danach zusammen arbeiten. Und wenn man wie hier im Beispiel der Gehaltsverhandlung keine Einigung erzielt, weil man (ich bleibe hier mal beim Sie) Ihnen kein adäquates Gehalt anbieten wollte, ja, dann hat man halt weiter die augenscheinlich schwer zu besetzende Vakanz. Wo ist also in einer auf Arbeitgeberseite bedarfsgetriebenen Verhandlung der Verlust für Sie, wenn Sie höflich sind, auch non-verbal?
Viele Menschen verwechseln heutzutage das Zeigen von Respekt in jeder Form mit Schwäche. Dabei ist es doch gerade im beruflichen Umfeld so leicht, auch mit freundlichem Lächeln und respektvollem Auftreten nein zu sagen, es macht auf einfache Weise den Eindruck einer gefestigten Persönlichkeit. Und ich halte das auch in diesem Fall für viel wirkungsvoller als über die Kleidung bewusst irgendwelche trickreichen Alpha-Signale ins Spiel zu bringen, die einen eher unsympathisch machen und künstliche Nebenkonflikte erzeugen.
Inzwischen können Sie ja selbst in den meisten konservativen Branchen im Grunde tragen, was sie wollen. Allerdings wirkt der Versuch, Schwarz zu ersetzen manchmal ein bisschen so, als ob ihr Koffer verloren gegangen wäre und Sie jetzt keine schwarzen Schuhe hätten. Oft sieht so etwas doch sehr nach einer Notlösung aus.
Das hängt entschieden davon ab, was man als Anzug trägt. Mein persönlicher Kleidungsstil ist diesbezüglich überwiegend leger in Farbgebung und Muster (auch wenn man das im Vergleich innerhalb des WTIH-Thread-Biotops nicht glauben möchte
), deshalb trage ich auch in der Mehrzahl braune Schuhe dazu, weil sie besser dazu passen. Zu einem uniformen "Geschäftsanzug" in Dark Navy Blue oder Anthrazit (den ich natürlich auch gelegentlich trage) sähe das merkwürdig aus, keine Frage, aber die Anzugwelt ist ja sehr viel größer als das und dort ist aus ästhetischer Sicht Schwarz meistens die Notlösung.
Ich denke, die Mehrzahl der hier Versammelten sind mehr an Kleidung als an Dresscodes interessiert. Es stehen also keine Geschäftsanzugsregeln im Sinne von "man trägt das halt so in der City (of London)", sondern die zugrundeliegenden ästhetischen Aspekte der Kombination von Farben, Mustern und Proportion im Vordergrund. Dass sich verkrustete Dresscodes dahingehend auflösen, dass die individuelle ästhetische Betrachtung wichtig und möglich wird, halte ich auch für einen wesentlichen Fortschritt unserer Gesellschaft, weil es unwichtiger wird, auf eine willkürlich-traditionelle Weise "korrekt" statt einfach nur gut auszusehen.