Kuhn / Dolzer - Sonderaustattungen

Siehe auch Deine Signatur.

Jenau. :p
Oder wie Simon so schön geschrieben hat: "Hauptsach deia."

Vielleicht doch kurz zum Thema zurück:
Mein Bruder hat sich von Kuhn einen Anzug zur Hochzeit machen lassen, ohne Sonderwünsche, spez. Futter, working buttons oder dergleichen.
Sah fürchterlich aus, völlig verschnitten, hing aber sicher mit einer schlechten Beratung in Kombination mit völligem sartorialen Desinteresse des Auftraggebers zusammen.

Ich habe einige RTW-Sakkos mit funktionuckelnden Knöpfen (meist Caruso) und mache auch meistens einen auf. Gefällt mir einfach.
Bei Cove hab' ich mal angefragt, ob Sie auch "normale" Ärmel von extern erworbenen Sakkos ummodeln würden. Machen Sie, kostet aber, soweit ich mich erinnere, aufgrund des Aufwands ca. 150 Schleifen. Das ist mir das Tuning jetzt nicht wert.
 
Roy: Nein. In dem Augenblick, als das alte Denken im Stil von »Hier ist ein Paar Schuhe, das ewig hält« abgelöst wurde von dem Versprechen »Hier ist ein Paar Schuhe, das dir ein tolles Gefühl macht«, ist das falsche Bewusstsein in die Welt gekommen.

Die Aussage finde ich in Anbetracht von mir auch wichtigen Kriterien wie Passform, Komfort und Optik zu kurz gesprungen. Wenn das "tolle Gefühl" lediglich die Befriedigung des Wunsches nach einer Marke meint, egal ob das Produkt etwas taugt oder nicht, dann stimme ich zwar zu, aber ewiger Haltbarkeit ordne ich bestimmt nicht alles unter.
 
Ist das so, wenn andererseits eine Jeans für über 400 Euro verkauft wird, ohne daß irgendwem die Schamesröte ins Gesicht schießt?
Ich habe eher das Gefühl, daß für den schnellen Trend viel mehr und bedenkenloser Geld ausgegeben wird, während konservative(re) Qualität bei Anzügen als überteuert angesehen wird.
 
Das sehen wir doch eindeutig bei dem Preisempfinden.
Industrialisierung und auch die Globalisierung drückten die Preise von Konsumwaren in den letzten Jahrzehnten in den Boden!
Ja. Und was ist daran im Grundsatz schlecht?

Da sollte jeder mal seine Großeltern fragen ;)

Heute ist es doch so das alles +500€ schon als (zu)teuer gilt.

Unsere Wahrnehmung ist total verdreht, durch Überkomsum und Wegwerfdenken.
War das bei den Großeltern denn besser? Es ist doch nicht so, dass Überkonsum und Wegwerfdenken eine Idee unserer Zeit ist, das gab es schon immer. Nur konnte sich das früher nur eine ganz kleine Clique von Leuten leisten, die alle anderen von den Fleischtöpfen fernhielt. Luxuskonsum ist heute demokratisiert, für weite Bevölkerungsteile erreichbar. Was sich dabei zum Negativen verändert hat, ist die Tatsache, dass einige Geschäftemacher unter den Produzenten die Arbitrageeffekte zwischen preisgünstiger Produktion in Asien und hohem Warenpreisniveau in Europa/USA komplett für sich abschöpfen, indem sie ihren Kunden miese Qualität zu niedrigen, aber in der Relation immer noch weit überhöhten Preisen andrehen. Das funktioniert durch uninformierte Konsumenten, die Qualität selbst nicht mehr einschätzen können. Die notwendige Gegenbewegung dazu ist eine gegenseitige Vernetzung der Konsumenten, z.B. in Foren wie diesem.

Die Globalisierung ist vor allem ein Segen für die Entwicklungs- und Schwellenländer, weil ihre Dynamik durch den stetigen Aufbau von zusätzlichen Einkommensquellen den Status Quo der Armut durchbricht. Ein frühes Schwellenland wie Südkorea hat vom Einkommen her mittlerweile voll zu Europa aufgeschlossen. Das wäre ohne diese Effekte nicht möglich gewesen. Auch Indien und China haben in enormem Maße davon profitiert und das in breiten Bevölkerungsschichten. Sich darüber aufzuregen, wie viel Armut es trotzdem noch gibt, und die Schuld dafür ausgerechnet in den entwickelten Ländern zu suchen, die gerade durch ihren Konsum die Aufbruchsdynamik dort erst möglich gemacht haben, funktioniert bei aller Intelligenz der besagten indischen Autorin nur aus der Bequemlichkeit des eigenen Salons, der nicht zuletzt von europäischen und amerikanischen Käufern ihrer Bücher bezahlt wurde.

Dass man im Überfluss als Konsument gut daran tut, sich zu überlegen, was man denn wirklich braucht und was nicht, bzw. was man nur kauft, weil man anderen imponieren möchte, steht auf einem anderen Blatt. Da stimme ich der Autorin voll und ganz zu. Ich sehe aber nicht, dass Inder und Chinesen in dieser Hinsicht im Schnitt irgendwie reifer handeln als Europäer und Amerikaner.
 
Ich denke, daß die von El-Rey und Shop beschriebenen Phänomene derzeit in der Tat nebeneinander zu beobachten sind und geradezu komplementär sind. Silverstein und Fiske beschreiben in ihrem schon vor einigen Jahren erschienenen Buch "Trading up" ebendiesesTrading up als ein Bedürfnis auch weniger vermögender Schichten, an einem via yellow press global sichtbaren luxury lifestyle teilzuhaben, auch wenn das nur in Ausschnitten erfolgen kann und darüberhinaus mit einem kompensatorischen Trading down an anderen Orten erst möglich gemacht werden muß. Soll heißen: Die Sachbearbeiterin in Wuppertal, die Posh Spice oder Paris Hilton nacheifert, wird sich den substantiellen Kaufpreis für die neueste it bag von Gucci oder Bottega Veneta eben dadurch absparen, daß die anderen Kleidungsstücke eben bei H&M oder gar KiK und nicht bei P&C gekauft werden. Tasche für EUR 900 und Kleid für EUR 14,90 gehen so eine Art Symbiose ein.

Was mich an dieser und ähnlichen Diskussionen hier immer wieder ein wenig amüsiert, ist das offenkundige Bedürfnis so manches Diskussionsteilnehmers, seine "Investitionen" in hochwertige Kleidung mit deren Lebensdauer vor sich selbst oder anderen rechtfertigen zu müssen. Wäre "Dat hält ewich..." der wirklich ausschlagende Grund, so müßte der Gang zu Schulze & Schultze Arbeitsbekleidung zwei Straßen weiter mindestens ebenso sinnvoll sein wie der Besuch beim Maßschneider, selbst wenn man Tweed-Jünger ist. Hier kommt doch immer wieder ein sehr deutscher, protestantischer Unterton von "Alles muß eine praktische Rechtfertigung haben, sonst ist es frivol" zum Vorschein, der uns eben doch von Italienern und anderen Völkern absetzt, denen das dolce vita mindestens ein ebenso guter Grund ist.

dE
 
Soll heißen: Die Sachbearbeiterin in Wuppertal, die Posh Spice oder Paris Hilton nacheifert, wird sich den substantiellen Kaufpreis für die neueste it bag von Gucci oder Bottega Veneta eben dadurch absparen, daß die anderen Kleidungsstücke eben bei H&M oder gar KiK und nicht bei P&C gekauft werden.
dE

Da werd ich gleich heut abend mal meine Augen aufmachen... Vielleicht steht sie ja in der Boutique von Erwin Lindemann neben mir, und der Papst ist ja auch in Deutschland :D!

Grüße Zieten
 
Arbeit hat seinen Preis!
Wenn die Dinge nichts mehr Wert sind, bzw. man nichts mehr investieren möchte,
ist das schlecht für die die es produzieren.

Das passiert aber laufend - keiner kauft mehr Schreibmaschinen, Gameboys, z.B. Lochkartenautomaten. Schlecht für die Produzenten. Vielleicht trifft es als nächstes die Produzenten von Zigaretten, Benzin, Steinkohle? Die Wirtschaft ist dynamisch und verändert ihre Prioritäten laufend.

Bei sinkender Interesse nützt es auch nichts den Preis zu senken und den damit gegebenen geringeren Verdienst an der Ware mit Masse/Menge auszugleichen.
Letzten Endes geht es um Arbeitsplätze, Lohnentwicklung und Wirtschaft.

Die Wirtschaft ist dynamisch. Wer heute Anzüge schneidert und damit kein Geld mehr verdient, muss sich mittelfristig auf ein anderes Produkt umstellen. Oder dafür sorgen, dass die Anzüge wieder getragen werden. Interessanterweise werden nicht wenige Firmen, die für traditionelle Handarbeit stehen, irgendwann an einen Luxusmarkenkonzern verkauft. So geht es vielen Herstellern von Uhren, Schuhen und Accessoires. Weil der Luxusmarkenkonzern es durch geschicktes Marketing schafft, das Produkt wieder begehrenswert und somit hochgradig rentabel zu machen.

Manchmal werden Marken auch lieblos ausgebeutet - dann sind sie in der Tat tot.

Die aktuellen Milliardengewinne einiger Produzenten,
basieren übrigens auf Audbeutung und Leid, und sollten nicht als Beispiel einer wohlhabender Wirtschaft herhalten ;)
Zudem kommen die Riesengewinnr oft nur verhältnismäßig wenigen zu gute.

Das sehe ich nicht so. Der eigentliche Produzent bekommt nicht den Großteil des Geldes, aber es gibt in der Wertschöpfungskette der Luxusmarken viele Beteiligte, die ihren Anteil bekommen. Produktdesign, Entwicklung, Marktforschung, Anwälte, Printwerbung, Product placement... Das sind auch Berufe, in denen die Leute ihr Geld verdienen wollen. Die Ausgaben, die diese Firmen für das "Drumherum" tätigen, sind immens. Dieses Drumherum ist zwar nicht direkt ein physischer Teil des Produkts, aber ein Teil der Marke.
Und auch das sind Arbeitsplätze, oftmals sogar gut bezahlte.

Und das berühmte "die Menge macht's" ist bei anständigen Löhnen auch vorbei...

Stimmt! Aber wenn alle Menschen auf dieser Welt "anständige" Löhne bekämen, könnte sich in Europa kaum jemand ein Importprodukt leisten! Vor allem die Geringverdiener hätten wesentlich weniger Produkte des täglichen Bedarfs zur Verfügung und würden faktisch an Lebensqualität einbüßen.
 
Arbeit hat seinen Preis!
Exakt. Arbeit hat genau den Preis, den ein Kunde bezahlen möchte. Der Gegenwert der mit einer Ware verbundenen Leistung hängt nicht zwingend vom Preis ab. Auch in Deutschland. Bauingenieure bekommen relativ niedrige Gehälter, Informatiker relativ hohe. Das hat nichts damit zu tun, dass Bauingenieure dümmer sind. Ihre Arbeit wird nur gegenwärtig weniger nachgefragt.

Letzten Endes geht es um Arbeitsplätze, Lohnentwicklung und Wirtschaft.
Genau darum geht es. Aber warum muss das nur für entwickelte Länder gelten? Die Ablehnung billiger Konkurrenz und damit von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern soll nur die Situation zementieren, in der man selbst als wohlhabender Europäer ein Einkommen hat und ein Inder/Vietnamese/Chinese eben keins.

Die aktuellen Milliardengewinne einiger Produzenten,
basieren übrigens auf Audbeutung und Leid, und sollten nicht als Beispiel einer wohlhabender Wirtschaft herhalten ;)
Zudem kommen die Riesengewinnr oft nur verhältnismäßig wenigen zu gute.
Was wäre denn die Alternative? Statt einem schlechten Job hätten die ausgebeuteten Leute heute gar keinen. Die Armut wäre geblieben. Alle "ausgebeuteten" Schwellenländer haben ganz erhebliche Einkommenszuwächse in breiten Bevölkerungsschichten erlebt. Hunger ist in großem Stil zurückgegangen. Ja, die Arbeitsbedingungen sind schlecht, die Löhne niedrig. Aber so fängt jeder Aufschwung an. Unserer ist nur schon ein paar hundert Jahre alt.

Die Profiteure im Westen sind mir auch ein Dorn im Auge. Aber ohne bereitwillig zur Verfügung gestelltes Kapital funktioniert es halt nicht. Und ein größeres Investitionsrisiko geht jeder Investor nur für größere Gewinnaussichten ein. Wirtschaft hat gewisse "Naturgesetze".

Wenn du für einen halbtraditionellen normal-guten Anzug 10-20Std Fertigung rechnest, oder gar die reine Handarbeit mit 30-60Std, und neben den Frauen die ihn nähen auch noch Personal bezahlen musst die für jeweils Organisation, Lagerung, Versand zuständig sind, du vielleicht auch noch Designer und Vertreter beschäftigst -
dürfte klar sein das unter normalen Umständen ein 200€ Anzug unrealistisch wirkt :-D
Gegenfrage: Was ist an einer traditionellen Schneiderarbeit von z.B. WW Chan aus Hongkong oder Shanghai schlechter als einem deutschen Maßanzug? Vermutlich wenig bis nichts. Und er ist billiger als ein Regent-Konfektionsanzug. Verdienen die Schneider weniger? Auf jeden Fall. Geht es ihnen in ihrem Umfeld finanziell vergleichsweise gut? Oh ja. Hätten Sie ihren Job, wenn Europäer/Amerikaner dort nicht einkaufen würden? Nein. Wo ist also globalisiert gedacht der Nachteil? Regent/Oxxford/... hat dadurch Umsatzeinbußen, weil das Geld an chinesische statt an deutsche oder amerikanische Schneider fließt. So what.

Man muss schon Äpfeln mit Äpfeln vergleichen.

Und das berühmte "die Menge macht's" ist bei anständigen Löhnen auch vorbei...
Richtig und das ist ja auch das wünschenswerte Ende der Entwicklung. Anständige Löhne für alle und nicht nur für Europäer. Dadurch ist auch Konsum durch alle möglich und der Wohlstand ist breitflächiger vorhanden als heute. Dieser Effekt kommt dann allen zugute, weil man mehr Kunden für hochwertige Produkte vorfindet.
 
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