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Man schwebt nie kontextlos im Raum umher. Wenn man sich dessen bewusst ist kann einem bestimmte Kleidung auch unangenehm sein. Wie zum Beispiel Textilien in einer Sauna.
Gut, letzteres kann dann auch physisch unangenehm sein. ;) Von konstruierten Beispielen abgesehen spielt sich der besagte Kontext aber vor allem im eigenen Kopf ab. Von dem Moment an, an dem man sich dessen bewusst wird, gewinnt man an Freiheit.
 
du würdest also auf ner Beerdigung deinen solaro anziehen weil das Wetter gerade stimmt und du dich darin gut fühlst? Und nicht den schwarzen weils dem Kontext angemessen ist? :)
 
du würdest also auf ner Beerdigung deinen solaro anziehen weil das Wetter gerade stimmt und du dich darin gut fühlst? Und nicht den schwarzen weils dem Kontext angemessen ist? :)
Ich besitze gar keinen schwarzen Anzug. :) Nein, ich würde einen dunkelblauen Anzug mit schwarzer Krawatte und schwarzen Schuhen tragen (genau genommen habe ich das schon), aber das vor allem, weil ich mich bei einer Beerdigung eines nahestehenden Menschen so fühle, dunkel nämlich, gedeckt, formell, zurückgenommen, und nicht weil irgendwer von mir bestimmte Farben erwartet.
 
Ich habe nach dem Tod meiner Familie für ein Jahr schwarze Bekleidung getragen. Warum? Pflege abendländischer Trauerkultur und meine dahingehende Internalisierung.

Ein Übel unserer Zeit ist meiner Meinung, dass in unser westlichen Welt zu viele meinen, sich nach ihren Gefühlen zu kleiden, ist Ausdruck ihrer individuellen Freiheit.

Ich werfe denen Goethe entgegen:

„Niemand ist hoffnungsloser versklavt als jene, die fälschlicherweise glauben, frei zu sein.“

Gestehe aber ein: Nur unsichtbare Ketten ist der Sklave bereit, dauerhaft zu tragen.
 
nahestehenden Menschen so fühle, dunkel nämlich, gedeckt, formell, zurückgenommen, und nicht weil irgendwer von mir bestimmte Farben erwartet.
Ich finde das kann man nicht einfach so trennen. Fühle ich mich nach Gordon Gekko, wenn ich in einem Standard Restaurant essen gehe? Trage ich deshalb Nadelstreifen Anzüge wenn alle anderen mit Jeans dasitzen, und das Ambiente ebenfalls eher Marke "Deutsche Wirtschaft" ist? Mag sein dass du dich fühlst wie beim Business Dinner, aber das Ambiente und die Personen die da sind lassen mich mit nem Nadelstreifen out of place fühlen, weils dem Anlass einfach nicht entspricht. Egal wie gerne ich ihn tragen oder wie sehr ich den Look mag. Das dann mit "du ziehst also nur an was die anderen von Dir Erwarten" zu simplifizieren wird dem komplexen Thema des sozialen Settings meiner Meinung nach nicht gerecht.
 
Ich finde das kann man nicht einfach so trennen. Fühle ich mich nach Gordon Gekko, wenn ich in einem Standard Restaurant essen gehe? Trage ich deshalb Nadelstreifen Anzüge wenn alle anderen mit Jeans dasitzen, und das Ambiente ebenfalls eher Marke "Deutsche Wirtschaft" ist? Mag sein dass du dich fühlst wie beim Business Dinner, aber das Ambiente und die Personen die da sind lassen mich mit nem Nadelstreifen out of place fühlen, weils dem Anlass einfach nicht entspricht. Egal wie gerne ich ihn tragen oder wie sehr ich den Look mag. Das dann mit "du ziehst also nur an was die anderen von Dir Erwarten" zu simplifizieren wird dem komplexen Thema des sozialen Settings meiner Meinung nach nicht gerecht.
Ich glaube, wir overthinken ;) hier ziemlich viel. In der Zeit, als Nadelstreifenanzüge erfunden wurden, war das ganz sicher kein großes Thema. Selbst vermögende Leute hatten keine riesigen Garderoben, da wurde auch der Nadelstreifen getragen, wenn er dran war und gepasst hat er in der Stadt immer, solange keine Gesellschaftskleidung erwünscht war. Die großen Regelwerke, wer wann was tragen darf oder nicht, wurden auf Nummer Sicher geschrieben, damit Aufsteiger im gesellschaftlichen Umgang nicht als Aufsteiger negativ auffielen.

Das ist heute alles relativ obsolet. Trotzdem halten sich diese Regeln standhaft und es kommen noch aus individuellen Kino-Sekundärerfahrungen immer neue hinzu. „No brown after six”, „Grün und blau schmückt die Sau“, „kein Nadelstreifen im Standard-Restaurant außer für Gordon Gekko“. ;)

Am Ende entscheidet eigentlich nur eins: Sieht man authentisch aus? Passt die Kleidung zu einem? Trägt man sie und bewegt man sich in ihr selbstverständlich? Ist sie den Temperaturen angemessen? Ist sie kombinatorisch gut ausgewählt? Wenn das alles passt und man dabei gut gelaunt ist, ist man selber der Kontext und so soll es sein.

Du machst oben übrigens implizit noch einen ganz anderen Themenbereich auf, der über Kleidungstrageregeln hinausgeht und leider für viele Männer viel wichtiger ist und hier auch traditionell viel diskutiert wurde, der der diffusen „sozialen Angemessenheit“. Ich darf nicht aus meiner Umgebung herausstechen. Wenn alle Jeans tragen (obwohl es gar keinen ausgeschriebenen Dresscode gibt), muss ich auch Jeans tragen. Die Kleidung darf nicht teurer aussehen als das Ambiente. Oder das Essen auf dem Teller. Oder das Auto, das man fährt. Oder die Kleidung des Chefs.

Ich finde, es kostet viel unnötige Lebenszeit, sich darüber Gedanken zu machen, wenn man doch ohnehin nicht verhehlen kann, dass man Kleidungsenthusiast ist. Häufig passt es ohnehin automatisch durch eine kongruente Lebensführung auf verschiedenen Ebenen und Interessen. Wenn man regelmäßig 4500,- für Anzüge ausgibt, 600,- für Schuhe, variierende vierstellige Beträge für Uhren nebst deren Wartung, Accessoires, Hektoliter von internationalen Weinspezialitäten etc.pp. ist es nicht so ganz unwahrscheinlich, dass man selten in einem Restaurant Marke „Deutsche Wirtschaft“ landet, weil man ganz wertfrei einfach lieber woanders ist und isst, wenn man die Wahl hat. Und da passt dann auch für Dich wieder ein Anzug, vielleicht auch ein informellerer, wie ich ihn ja speziell in der kühlen Jahreszeit häufiger trage, gut ins Umgebungsdesign, ohne dass man sich irgendwie verbiegen musste.
 
Ja, das Bild der superben Kleidung früherer Jahrzehnte hat eigentlich nur Bestand, wenn man sich auf Cary Grant, Sidney Poitier und Marlon Brando (+ ein paar Magazine) fokussiert und selbst da die Exzesse streicht. :)
 
Häufig passt es ohnehin automatisch durch eine kongruente Lebensführung auf verschiedenen Ebenen und Interessen. Wenn man regelmäßig 4500,- für Anzüge ausgibt, 600,- für Schuhe, variierende vierstellige Beträge für Uhren nebst deren Wartung, Accessoires, Hektoliter von internationalen Weinspezialitäten etc.pp. ist es nicht so ganz unwahrscheinlich, dass man selten in einem Restaurant Marke „Deutsche Wirtschaft“ landet, weil man ganz wertfrei einfach lieber woanders ist und isst, wenn man die Wahl hat.
Du meinst also dass du eh nie in die Verlegenheit kommst, irgendwo "out of place" zu wirken weil du sowieso nur in Szenen / Lokalitäten unterwegs bist, in denen alle so angezogen sind, oder es zumindest einordnen können weil sie aus derselben sozialen Schicht kommen?

Einerseits sagst du, dass die Assoziation mit Nadelstreifen heutzutage eigentlich käse ist, weil das Vergangenheit ist und man selbst definiert den Kontext.
Andererseits verfolgst du ein kohärentes Outfit basierend aus historisch bedingten Regeln (z.B. Seersucker ist prep und trägt man nur mit white bucks oder spectators, Nadelstreifen und Sneaker passt aufgrund des Formalitätsgrades nicht) und sagtest bis vor Kurzem noch, dass es keine "Casual Anzüge" gibt. Irgendwie hinkt die Logik.

Ich finde es gut und erstrebenswert dass jeder machen kann was er möchte. Aber Kleidung ist immer Kommunikation, und man sendet außer "ich bin eine gefestigte Persönlichkeit" (das du gerne betonst zu senden) auch noch andere Messages. In einem sozialen Setting sendet man mit Anzug und Krawatte, wenn jeder mit T-Shirt und Jeans da ist, dass man sich selbst vom sozialen Setting ausnimmt und sein eigenes schafft, ohne auf andere Rücksicht zu nehmen. Man nimmt sich quasi selbst wichtiger als seine Peers. Diese Perspektive kommt leider häufig zu kurz, wenn man Neulingen sagt "zieht an was ihr wollt, ich gehe auch mit Anzug zum Bäcker".
 
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