Kleidung und Konventionen - "Der nackte Füße-Thread"

wenn ich mir letzten Beiträge so durchlese kommt folgende ehrlich gemeinte Frage bei mir hoch :

Drückt Ihr Euch im normalen Leben auch so aus oder nur hier ?
Wenn ja, verstehen euch Eure Mitmenschen auf Anhieb oder erst nach mehrfacher Wiederholung ?
 
Ich find' mich toll. Alles andere fände ich problematisch. ;)

Absolut. Ich bin auch grundsätzlich, ja, eigentlich per definitionem, der Überzeugung meine Meinung sei die richtige. Wäre ich das nicht würde ich ja sofort meine Meinung ändern. :)

Ich würde nie behaupten, die sartoriale Kleidungsästhetik sei auf ewig alternativlos. :)

Da habe ich Dich irgendwie anders in Erinnerung. Da gabs doch eine Diskussion inwieweit es plausibel ist dass in 10.000 Jahren bekleideter Menschheitsgeschichte ausgerechnet in den Jahren 1925-1965 die Menschen die ästhetische Perfektion entdeckt haben. War die Diskussion nicht mit Dir?

Es hat sich nur bisher offensichtlich keine konzeptionell ähnlich komplexe Ästhetik als Alternative entwickelt. [...] Dem liegt das Missverständnis zugrunde, dass sartoriale Kleidung vor allem einen vorhandenen oder vorgeblichen gehobenen sozialen Status des Trägers in die nonverbale Kommunikation mit einbringen soll.

Ohne Historiker zu sein, aber die Kleidung des Barock macht auf mich durchaus den Eindruck einer sehr komplexen Ästhetik. Beispielsweise. Und frag mal die Goths, die sind auch der Ansicht dass sie eine sehr komplexe, ästhetisch begründete Bekleidungswahl haben.

Das Missverständnis sehe ich nicht. Über das "vor allem" kann man möglicherweise diskutieren, aber das "Kleider machen Leute" hat schon seinen handfesten Hintergrund. Und sei es durch mehrheitliche Assoziation: Man sieht mehr Leute in sartorialer Kleidung (oder dem was der gemeine Mann als solche wahrnimmt) mit einem gehobenen sozalen Status als Bierkutscher in solcher Kleidung. Daher landet jemand mit Anzug erstmal in der Schublade gehobenen Statuses.

Ich weiss, hier ist es sehr verbreitet zu sagen "was soll denn das, nur weil ich mich besser kleide behaupte ich doch gar nicht dass ich besser bin" (außer bei mir, aber ich war schon vorher was besseres :cool:), aber Fakt ist dass man erstmal so wahrgenommen wird. Ist doch nicht schlimm. Nach dem ersten Eindruck liegt es an jedem einzelnen diesen Eindruck schnellstmöglich zu korrigieren...
 
Drückt Ihr Euch im normalen Leben auch so aus oder nur hier ?
Wenn ja, verstehen euch Eure Mitmenschen auf Anhieb oder erst nach mehrfacher Wiederholung ?
Ja, und in der Analysephase im Rahmen einer Projektanbahnung erwarten meine Mitmenschen geradezu von mir, dass ich komplexe Zusammenhänge kompliziert ausdrücke. Wenn jeder dächte, es wäre alles ganz einfach, was ich denke und tue, würde mich ja keiner mehr angemessen bezahlen. :D :cool:

Da habe ich Dich irgendwie anders in Erinnerung. Da gabs doch eine Diskussion inwieweit es plausibel ist dass in 10.000 Jahren bekleideter Menschheitsgeschichte ausgerechnet in den Jahren 1925-1965 die Menschen die ästhetische Perfektion entdeckt haben. War die Diskussion nicht mit Dir?
Das ist wahrscheinlich das, was Du daraus mitgenommen hast. @Steve: Ich muss das oben wieder zurücknehmen, meine Mitmenschen verstehen mich doch nicht. :eek: :)

Ohne Historiker zu sein, aber die Kleidung des Barock macht auf mich durchaus den Eindruck einer sehr komplexen Ästhetik. Beispielsweise. Und frag mal die Goths, die sind auch der Ansicht dass sie eine sehr komplexe, ästhetisch begründete Bekleidungswahl haben.
Für die Goths ist das mMn eher ein Erkennungszeichen im Sinne eines gemeinsamen Lebensstils. So weit sind wir sartorial zum Glück noch nicht gesunken, dass die Kleidung nur noch Signalfunktion hat. Darüber hinaus bin ich auch kein Textilhistoriker, sondern lebe im Hier und Jetzt, Barock ist heutzutage wie die Toga - außer für Reenactment-Fans - keine zeitgenössische Alternative. :)

Das Missverständnis sehe ich nicht. Über das "vor allem" kann man möglicherweise diskutieren, aber das "Kleider machen Leute" hat schon seinen handfesten Hintergrund. Und sei es durch mehrheitliche Assoziation: Man sieht mehr Leute in sartorialer Kleidung (oder dem was der gemeine Mann als solche wahrnimmt) mit einem gehobenen sozalen Status als Bierkutscher in solcher Kleidung. Daher landet jemand mit Anzug erstmal in der Schublade gehobenen Statuses.
Wahrnehmung und Wahrheit sind ja zwei verschiedene Dinge, denn um sie zusammenzubringen braucht man ein Verständnis für die Hintergründe. Ein Anzug ist erst mal nur ein Kleidungsstück, so neutral wie jedes andere. Warum sollte es nur jemand tragen, der einen gehobenen sozialen Status hat? Erhältlich ist es doch ganz demokratisch für jeden. Der Vorgang der Bewertung eines Anzugträgers im Betrachter ist also schon ein interpretativer. Anders herum muss man sich fragen, warum jemand mit höherem sozialen Status Anzug trägt und jemand mit niedrigerem Status das bewusst ablehnt. Durch ein höheres respektive niedrigeres Maß an Peer-Gruppendruck? :) Und wo ist da die Grenze? Beim Türsteher? ;)

Sozial aufgeladener ist sartoriale Kleidung nicht wegen ihrer Machart oder wegen ihrer Träger, sondern nur durch diffuse Vorurteile von Leuten einer unterkomplexen Denkart, denn Anzüge und Kombinationen gibt es für jedwedes Formalitätsniveau oberhalb von Sweatpants, Tweed ist sogar eine überaus bäuerlich/ländlich konnotierte Variante. Neutraler und more gentleman-like ausgedrückt bedeutet das "Missverständnis". ;)

Ist doch nicht schlimm.
Natürlich ist das schlimm wie jedes Vorurteil. Es grenzt auf subtile Weise die persönliche Freiheit ein. Schüchterne Menschen mit weniger ausgeprägtem Selbstwertgefühl, insbesondere auch jüngere, fühlen sich dadurch verunsichert und versuchen sich ohne Not zurückzunehmen, um sich ja nicht bohrenden Nachfragen ihrer Bekannten auszusetzen, obwohl sie hier genauso interessiert sind. Ich weiß, das ist weder Dein noch mein Problem, aber doch genau die Quelle aller Overdressed-Diskussionen hier und damit ein zentraler roter Faden des Forums. Was nützt denn jede Diskussion, welche EST-/Krawattenfarbkombinationen zum blauen Anzug funktionieren, wenn die Kombi dann aus Furcht vor impliziter Ausgrenzung nur zum schnellen, versteckten WTIH-Foto auf dem heimischen Balkon oder als Tumblr-Fotostrecke vor irgendeinem Ausflugsschloss getragen wird, aber nicht im alltäglichen Leben?
 
Ja, und in der Analysephase im Rahmen einer Projektanbahnung erwarten meine Mitmenschen geradezu von mir, dass ich komplexe Zusammenhänge kompliziert ausdrücke. Wenn jeder dächte, es wäre alles ganz einfach, was ich denke und tue, würde mich ja keiner mehr angemessen bezahlen. :D :cool:

Danke für die Antwort. Leider habe ich oft mit solchen Menschen zu tun, die sich dann so geschwollen, sorry die Wortwahl, ausdrücken das ich am Ende der Besprechung zunächst mal alles im Kopf sortieren muss bis ein Sinn drin ist.
Also was die dann in 10 Sätzen von hinten durch die kalte Küche ausdrücken wollten, kann ich dann in 10 Worten festhalten.

Das Schlimmste daran, ist das diese Mitmenschen sich oftmals sehr hoch ausdrücken können, aber auch oftmals bei einfachen logischen Überlegungen völlig scheitern weil die Logik dann ganz einfach ist.

Es stehen dann studierte Menschen vor uns und fragen uns Unstudierte simple Dinge die sich hätten auch selber beantworten können.

Stephan
 
Für die Goths ist das mMn eher ein Erkennungszeichen im Sinne eines gemeinsamen Lebensstils.


Naja, das ist die Wahrnehmung aus der Entfernung. Aus großer Entfernung. So wie es Leute gibt die sagen "Krawatte ist Krawatte, und Erkennungsmerkmal eines gemeinsamen Stils".


Ein Anzug ist erst mal nur ein Kleidungsstück, so neutral wie jedes andere. Warum sollte es nur jemand tragen, der einen gehobenen sozialen Status hat? Erhältlich ist es doch ganz demokratisch für jeden.


Ich denke wir reden aneinander vorbei: Du sprichst davon wie es sein könnte (Deiner Meinung nach: sollte), und ich davon wie es ist.

Es geht nicht darum wieso nur gehobener soziale Status Anzug tragen sollte, da kann man lange spekulieren. Fakt ist dass das so ist, dass, wenn ich Anzugträger entsprechend einsortiere, ich eine 90%-ige Trefferquote habe. Das funktioniert auch umgekehrt: trage ich Anzug signalisiere ich gehobenen Status. Du kannst das ebenso bedauern wie ich, aber: man kann nicht nicht kommunizieren.
 
Naja, das ist die Wahrnehmung aus der Entfernung. Aus großer Entfernung. So wie es Leute gibt die sagen "Krawatte ist Krawatte, und Erkennungsmerkmal eines gemeinsamen Stils".
Bis ein Goth hier das Gegenteil postet, ist es eine gute Arbeitshypothese. :D

Ich denke wir reden aneinander vorbei: Du sprichst davon wie es sein könnte (Deiner Meinung nach: sollte), und ich davon wie es ist.
Zustände werden nur, wie sie sein sollten, indem man dafür wirbt. Vor einer rational widersinnigen Gegenwart zu kapitulieren, weil es halt ist, wie es ist, ist nicht das Wesen eines wahren Revolutionärs. :cool: Und wo wären diese mutigen Revolutionäre zu finden, wenn nicht in einem Stilmagazin-Forum? ;) Den Advocatus Mediocritatis geben schon kleinere Geister genug.
 
Naja, "Anzüge sind sehr wohl total wertneutrale Kleidung für jeden, ihr Deppen!" ist als Revolutionsschlachtruf aber auch eher nur so mittelprächtig...
 
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