Kann/Muss man Stil lernen?

STIL kann man nicht lernen, jeder hat seinen Stil. Was man erlernen kann sind die Regeln der klassischen Garderobe, und das 1x1 des gekonnten Auftretens. Beherrscht man das dann so einigermaßen, dann kann man diese Regeln wieder nach eigenem Gusto brechen, und schon hat man wieder seinen eigenen Stil, ist dabei aber besser angezogen als zuvor ;)
 
STIL kann man nicht lernen, jeder hat seinen Stil.

Ich hingegen finde, dass man "Stil" doch lernen kann, wenn es dabei um Aspekte der Verfeinerung, Details und Eleganz geht -
die Garderobe ist dabei nur ein Teil, natürlich ein wesentlicher, der Vielfältigkeit von Lebensart.

Mit dem Satz von der "Beherrschung der Regeln" (Thomas Mann zugeschrieben ist das Zitat von der Formbeherrschung und dem Darüberhinwegsetzen) wäre man ja bereits mit einem entsprechenden Regelbüchlein und einem Besuch in einer Kleinstadt-Herrenboutique vollversorgt...;)
 
Ich hingegen finde, dass man "Stil" doch lernen kann, wenn es dabei um Aspekte der Verfeinerung, Details und Eleganz geht -
die Garderobe ist dabei nur ein Teil, natürlich ein wesentlicher, der Vielfältigkeit von Lebensart.

Mit dem Satz von der "Beherrschung der Regeln" (Thomas Mann zugeschrieben ist das Zitat von der Formbeherrschung und dem Darüberhinwegsetzen) wäre man ja bereits mit einem entsprechenden Regelbüchlein und einem Besuch in einer Kleinstadt-Herrenboutique vollversorgt...;)

Sehe ich genauso. Selbst wenn jeder seinen eigenen Stil hat, "lernt" er doch immer wieder, wie oben genannt, welche Details die persönliche Note verfeinern.
Ich kenne Leute, die gerade während ihrer Jugend einen ganz anderen Stil hatten als heute, ganz gleich wie die Eltern sie in der Grundschule angezogen haben oder sich das Umfeld gekleidet hat, und nun Kleidung tragen, die sie früher nicht einmal in Erwägung gezogen hätten.
Die Einen wissen beispielsweise schon früh ganz genau, dass sie später mal Anzugträger werden, etliche Einstecktücher und Krawatten besitzen werden und niemals eine Jeans tragen, die Anderen kommen erst während des Studiums, Jobs o.ä. auf die Idee.
Erfahrungen, Weiterentwicklung, Reife - alles Aspekte die auch den eigenen Stil bereichern können.
 
Vielen Dank an alle Diskutanten; das Lesen der vielen Beitrage, die sowohl gedanklich tiefgründig sind als gut geschrieben worden sind, hat mir wirklich große Freude bereitet. Ich möchte, da es zum Thema passt, auf das Thema Literatur zu sprechen kommen, welche, sofern sorgfältig ausgewählt, beim Stil "lernen" sicher eine Stütze sein kann. Häufig wird Roetzels "Der Gentleman: Handbuch der klassischen Herrenmode" erwähnt, ebenso das Buch "Alles über Herrenschuhe" von Sternke, das sicher eine Empfehlung wert ist. Doch gibt es darüber hinaus weitere Bücher zum guten Stil, die es zu lesen wert sind?
 
Alan Flusser

Bei der Aufzählung von Standardwerken fällt oft der Name Alan Flusser. Ich habe mehr als ein von ihm zusammengestelltes Ensemble gesehen, das mir sehr gut gefallen hat. Ich habe aber auch schon mehr als ein Foto von ihm selbst gesehen, das ich verbesserungsbedürftig fand.
 
Nachdem ich im Wirtschaftsstudium mehr oder weniger zufällig an eine Vorlesungsreihe zum Thema Elitesoziologie gekommen bin, beschäftige ich mich in meiner Freizeit immer mal wieder gerne mit dem Thema. Bourdieus feine Unterschiede waren zwar stellenweise etwas trocken, haben aber doch in gewisser Hinsicht meinen Blick auf viele Dinge im Leben stark verändert. Ich habe daher beim Lesen der bisher zehn Seiten dieses Fadens immer auf ein Umschwenken der Diskussion von "Stil" auf "Geschmack" gewartet, das aber bis zum Schluß nicht erfolgt ist.
 
dann solltest du den Versuch unternehmen, schon allein, weil die Theorien Bourdieus sehr lesenswert sind und für viele sicher interessant sein würden.
 
Ich versuche es mal etwas... Es gibt hier mit Sicherheit einige User, die auf dem Gebiet deutlich bewanderter sind.

Meines Erachtens lässt sich der "Stil", der hier besprochen wird, zumindest teilweise in Höflichkeit bzw. Umgangsformen und Geschmack aufsplitten. Die "Stilregeln" sind dabei der induktive Versuch aufstrebender Angehöriger der Mittelklasse, sich den Kleidungsgeschmack der Oberklasse in möglichst einfacher Form zugänglich und nachahmbar zu machen. Daher tauchen auch immer wieder Begriffe wie "Verkleidung" auf. Oder es wird gefragt, ob man als Berufsanfänger im Bewerbungsgespräch nun eine Rolex tragen sollte. Man könnte die Ausgangsfrage möglicherweise in "Kann man Geschmack lernen?" ändern. Ich denke man kann ihn erlernen. Aber dieser Prozess ist deutlich komplexer und mehrdimensionaler, als man es sich eventuell vorstellt. Man bedenke dabei beispielsweise den Thread zum Thema Kunst. Selbst wer die "Stilregeln" der Bekleidung nicht nur kennt, sondern sie wirklich beherrscht, weil er sie sich mühsam im Laufe der Jahre angeeignet hat, kann von einem, der sie sich nicht künstlich aneignen musste, da ihm dieser Geschmack von klein auf anerzogen wurde, auf vielen anderen Gebieten (wie z.B. der bereits angesprochenen Kunst, aber auch bei Fragen zu Hobbys, Urlaub, Musik, Sport, Wohnungseinrichtung usw.) leicht als "verkleidet" entlarvt werden.

Es wird nun harsche Kritik hageln. Insbesondere werden vermutlich viele den Verdacht, ein Aufstrebender der Mittelklasse zu sein, von sich weisen. Ist natürlich sowohl in der Ausgangs-, als auch in der Zielschicht ungern gesehen. Ich möchte aber bitten, Kritik grundsätzlich möglichst objektiv und abstrahiert vorzubringen.
 
Die "Stilregeln" sind dabei der induktive Versuch aufstrebender Angehöriger der Mittelklasse, sich den Kleidungsgeschmack der Oberklasse in möglichst einfacher Form zugänglich und nachahmbar zu machen.

Das kann man vielleicht schon ungefähr so formulieren, allerdings sollte ein klassischer Fehlschluss vermieden werden. Es kann zwar auch vorkommen, dass jemand bewusst wie einem stolzen Adelsgeschlecht (also "Oberschicht") entsprossen erscheinen möchte, aber das dürfte bei vielen nicht der hauptsächliche Beweggrund sein. Warum zieht sich denn die Oberklasse so an, wie sie es tut? Weil sie sich eben das beste, schönste und exklusivste ihres Kulturkreises leisten kann. Dass die Mittelschichtler das natürlich auch wollen, ist verständlich, wer will das nicht?

Also nochmal, der Fehlschluss ist ungefähr jener:
Oberschicht trägt Kleidung X.
Mittelschicht will auch Kleidung X tragen.
Also will die Mittelschicht die Oberschicht nachahmen.
 
Vielen Dank für den Beitrag. M.E. muss einem Individuum nicht unbedingt bewusst sein, ob es sich zu einer neuen oberen Schicht orientiert. Falls das aber der Fall sein sollte, und das Individuum nur deshalb den Geschmack, in diesem Fall eine bestimmte Mode annimmt, weil es zu einer höheren Schicht strebt, wird es verkleidet wirken, allein schon aufgrund der Tatsache, weil das Individuum, oder genauer der Charakter des Individuums nicht mit seiner Mode in einem kongruenten Verhältnis steht. Wenn nun aber ein Individuum eine Vorliebe zu einer bestimmten Mode entwickelt, sich dieser annimmt, und mit ihr eins wird, wird das Individuum auch nicht als "verkleidet" wahrgenommen werden.
Verkleidet ist das Individuum nur dann, wenn es eine Mode wählt, das es eigentlich nicht freiwillig wählen würde.

Dass jemand u.U. nicht als Experte betrachtet wird, da der falsche Gürtel oder der falsche Anzug getragen wird, und damit der Code nicht eingehalten wird, ist richtig. Die anfangs gestellte Frage zielt damit auf diesen Code ab, welcher, wenn nicht vom Umfeld beigebracht, mühsam erarbeitet werden muss. Ob der Geschmack bzw. Stil erarbeitet werden kann, möchte ich dennoch mit ja beantworten, weil es 1. kein Hexenwerk ist, und 2. die Zeit für das Aneignen des spezifischen Humankapitals nicht zu groß ist. Größer wird die Schwierigkeit, wenn ein Individuum in allen Bereichen (Kunst, Sport, Essen, Kleidung) gleichzeitig den Codes einer höheren Schicht nachstrebt. Es müsste schwierig sein, dem gerecht zu werden.
 
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