Immer Anzug, oder auch mal Kombination?

Bin kürzlich am Flughafen mit einem Herren aus Italien ins Gespräch gekommen. Ich habe ihn angesprochen, weill ich absolut begeistert von seiner Kleiderwahl war. Er trug die meiner Meinung nach schönste Kombination, die trotzdem noch formell genug für fast alle geschäftlichen Anlässe ist: Navy Blazer (keine goldenen Knöpfe sondern Horn), graue Hose mit Umschlag aus Schurwolle, hellblaues Button-Down Hemd und schwarze Penny Loafer dazu.

Wenn man mit Gespür kombiniert, kann das Ergebnis beeindruckend sein. Eine Regel gilt meines Erachtens immer (da stimme ich flamboyance voll und ganz zu): Standardanzug und Krawatte macht noch keinen gut angezogenen Zeitgenossen. Falsche Farbwahl oder noch schlimmer, schlechtes Schuhwerk, kann alles zunichte machen.
 
Ich arbeite in der Zentrale einer der größeren deutschen Banken. Was auf alle Fälle stimmt: der Durchschnittsbanker kann ca. 250 Grautöne voneinander unterscheiden. :D

Anzüge sehe ich also täglich. Allerdings kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum manche hier im Forum am liebsten jeden deutschen Mann damit bekleidet sehen wollen. Es ist langweillig. Die Standards sind Grau, Dunkelblau und Anthrazit. Viele Hemden in weiß oder vielleicht noch hellblau. Die Krawatten sind gerne einfarbig oder farblich auf das Hemd abgestimmt (also hellblaues Hemd und blau/weiß gestreifte Krawatte). Gestreifte Krawatten mit Rot sieht man auch gerne, weil rote Krawatten ja angeblich Durchsetzungskraft symbolisieren sollen.

Was man wenig oder gar nicht sieht: Kontraste, die dennoch farblich passen. Andere Stoffe wie Cord oder Tweed. Chinos (wenn Freitag Casual getragen wird, ist es bei vielen eine Jeans). Mut, nicht so auszusehen wie alle anderen.

Ich arbeite in der IT und müsste gar nicht im Anzug erscheinen. Mache ich trotzdem, mindestens zwei Tage die Woche aber trage ich auch andere Kombinationen wie z.B. Chinos mit Button-Down-Hemden. Ich denke, dass ich damit immer noch besser gekleidet bin als so mancher Kollege im Anzug.

Bei ganz vielen Kollegen würde ich sagen, dass sie einen Anzug tragen, weil man in der Bank einen Anzug trägt (zumindest in vielen Fachabteilungen), nicht weil sie damit gut aussehen wollen. Und das sieht man eben.
 
Ich trage weit überwiegend Anzug, oft sechs Mal pro Woche. Die Kombination empfinde ich im geschäftlichen Umfeld nur als den durchsichtigen und IMHO nicht sinnvollen Versuch, mit weniger Formalität "durchzukommen". Der Wunsch nach mehr visueller Individualität ist ja verständlich, aber meiner Ansicht nach ist der Anzug dafür nach wie vor das beste Mittel. Er verstärkt durch seine Einfarbigkeit das Individuellste in der persönlichen Außenwirkung, was der Träger zu bieten hat. Das sind keine bunten Einstecktücher oder Sakkos, das ist er selbst.

Der feminine iGent mit pfauenartig explodierenden Farben- und Mustermixen, dazu die obligatorischen Raulederschuhe und Bow-Tie, das ist mein Ding nicht, das muss ich zugeben. :) Es kann gestalterisch gut aussehen (insbesondere wenn man sich dabei geeignet zurücknehmen kann, damit noch ein harmonischer Gesamteindruck entsteht), aber die Kleidung sollte nicht die Persönlichkeit des Trägers überdecken und auch nicht nur gewählt werden, um sich von den monochromen "Suits" abzuheben, unabhängig von Formalitätsüberlegungen.

Die Anthrazit-Dunkelblau-Mehrheit, die man üblicherweise im Geschäftsleben zu sehen bekommt, entspringt einfach der mangelhaften Phantasie der Träger. Wenn sich ein Mann den ersten Anzug kauft, ist er anthrazit. Kauft er sich den zweiten, ist er etwas heller anthrazit :) oder dunkelblau. Und mehr haben die meisten auch gar nicht im Schrank hängen. Vor allem interessieren sie sich gar nicht genug dafür, das ist halt einfach ihre verhasste Arbeitskleidung, über die sie nicht noch in der Freizeit nachdenken wollen.

Darauf müssen wir hier ja nicht abheben. Es gibt Anzüge, die durch ihre Stoff- und Farbwahl mehr Variation und auch bei Bedarf weniger Formalität bieten und trotzdem noch Anzug sind mit allen visuellen Vorteilen. Die subtile Wirkung der Details, die dadurch entsteht, ist mit Kombinationen schwierig zu erzielen. Wer's nicht glaubt, einfach mal in den folgenden Thread schauen (manche für das genannte Threadthema als unzureichend gebrandmarkte Beispiele sind dennoch großartige Beispiele für legerere Anzuggestaltung): Styleforum - CBD
 
35 Jahre lang habe ich berufsbedingt nur Anzüge getragen und mich dann ertappt, dass die Uniformität des ewigen dunkelblau und anthrazit mit und ohne Nadelstreifen mir die Freude an der Kleidung genommen hat.
Mit fortschreitendem Alter und beruflicher Unabhängigkeit bin ich dann auf Kombinationen umgestiegen. Es ist möglich!

Beginnend mit dem dunkelblauen Blazer/Stoffhose/Krawatte ging es dann schnell Abwärts:
heute sind es überwiegend Chinos und Jeans aus verschiedenen Stoffen in Kombination mit blautönigen und braunen Blazern, von Tweet und Cord bis Kaschmir und Leinen.
Das Hemd ist vorzugsweise ein hellblaues Oxford oder Pinpoint mit BD-Kragen, manchmal Tattersall, Leinen oder Denim, eben opalike.
Krawatten trage ich kaum noch, aber dank A.G. immer ein EST.
Wie zu erwarten ist die Mehrzahl meiner Schuhe heute braun, immer gepflegt und täglich wechselnd.

Auf einsamer Flur stehe ich mit meiner Abneigung zu Kontrastkragen und Pullovern jeglicher Art, das weiß ich, aber i mogs halt net.

Heute macht es mir wieder Spaß, an einem abendlichen Event im dunklen Anzug oder im Smoking teilzunehmen...
 
Ich kann vielen Vorrednern hier zustimmen. In einer guten Kombination ist man mit großer Wahtscheinlich in Deutschlands Büroetagen meist besser gekelidet als der beste Dolzer-MTM-Anzugträger.

Allein schon deswegen, weil man sich mehr Gedanken machen muss, vom Kauf bis schlußendlich zum Tragen. Außerdem kann sich eine Kombination über Jahre entwickeln, beim Anzug hat man dagegen meist weniger Spielraum.

Als großer Freund von Tweed-, Cashmere- und Sportsakkos jeglicher Art, trage ich zu 80% Kombination in meinem Job. In meiner Branche (Automobilzulieferindustrie) trifft man nicht allzu viel gut angezogene Kollegen oder gar Kunden. Die formellen Anlässe sind auch überschaubar.

Die Art der Kombination mache ich aber auch vom Anlass abhängig:
Eine legerere Komination mit Cord- oder Baumwollhose und Tweed, ohne Krawatte, im Winter manchmal mit Strick oder Rolli anstatt Hemd, trage ich an einem normalen Bürotag, wenn viele Kollegen mit Hemd und Jeans und Jack Wolfskin kommen. Geht es zum Kundentermin und es handelt sich nicht um eine größere Präsentation, trage ich ab und an auch ein kariertes Sportsakko, jedoch dann immer mit Flanell- oder Kammgarnhose und Krawatte. Am liebsten ist mir bei solchen Anlässen - gerade im Sommer - ein leichter dunkelblauer Blazer mit grauer Hose, weißem oder blauem Hemd und Krawatte, dazu gerne bordeaufarbene Loafer.

Lustig ist dabei, dass von manchem Kollegen, der einen korrekten grauen BARISAL-Anzug zu solch wichtigen Terminen trägt, meine Kombinationen oft als "schlechter angezogen" beurteilt werden, vor allem wenn man dazu keine schwarzen Schuhe trägt.

Ich bin auch schon mal gefragt worden, warum ich zu einem blauen Sakko nie die "passende" Hose (=natürlich blau) tragen würde, sondern immer graue und beige. :eek:
 
Wie mir gerade auffällt, ist das schon ein ziemlich alter Thread, der hier ausgegraben wurde. :) Aber immer noch aktuell. ;)
 
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