Ergebnis eines gut vierzigjährigen Eigenexperimentes dazu: Quatsch mit Soße, Kleidung habe ich nicht definiert sondern getragen. Dabei knapp die Hälfte in Branchen wo leben und leben lassen der Normalzustand war/ist: wo es keine Socke interessiert was man anhat. So schwer es zu akzeptieren sein mag: es gibt Leute denen nicht nur wurscht ist was sie selber anhaben, sondern auch was andere anhaben. Denen Kleidung genau soviel bedeutet wie mir die Ergebnisse der Fussballdorfliga eines kleinen Dorfes in den östlichen Karpaten.
Deine Erfahrungen in allen Ehren, aber der obige Artikel hat sich ja nicht selbst geschrieben.
Da hat sich jemand in der Times nicht entblödet, sich von der angeblich automatisch vorauszusetzenden Tumb- und Aufgeblasenheit von Schlipsträgern zu distanzieren.
Es gibt eine gesellschaftliche Tendenz nicht nur gegen den Anzug samt seiner Accessoires, sondern auch gegen dessen Träger, den man aus historischen Gründen des Konservativismus in all seinen negativen Ausprägungen verdächtigt. Kompletter Blödsinn, ja, aber leider offensichtlich Realität.
Kleines persönliches Beispiel von vor zwei Wochen: Ich und Frau beim 60.(!) Geburtstag meines Schwagers. Ich in Kombination mit dunkelgrünem Tweed-Sakko, Wool Challis Krawatte, EST, Flanellhose, war halt abends schon etwas kühl. Lehrerin aus Freundeskreis des Schwagers, liebe, intelligente, sportliche Frau, in einer Art Hausanzug unterwegs, ebenfalls nahe 60, kommt im Gespräch mit Blick auf meine Krawatte nicht umhin zu bemerken, dass wir doch alle 1968 erlebt hätten und daraus gelernt haben sollten.
Immerhin konnte ich sie davon überzeugen, dass mein Sakkostoff exorbitant weich ist, so dass man so was wirklich aus Überzeugung tragen kann. Natürlich waren da noch 40 andere Leute, die nichts gesagt haben. Aber das heißt nicht, dass sie nichts dagegen zu sagen gehabt hätten, die meisten Menschen haben nur eine gewisse Abneigung dagegen, direkte Konfliktsituationen zu provozieren, wenn es nicht unbedingt sein muss. Und das war jetzt nicht im Ruhrgebiet, sondern in einer der gutsituierten Städte des Westfälischen Friedens.
Natürlich geht mir das am Allerwertesten vorbei, ich bin alt genug, um zu tun, was ich tun will, aber man muss schon extrem wenig empathisch sein (oder wenig unter Menschen
), wenn man nicht merkt, dass sich viele Leute - insbesondere bei explizit freizeitlich geprägten Gelegenheiten - beim Anblick eines sartorialen Outfits auf ihren nicht vorhandenen Schlips getreten fühlen, weil es für sie für etwas steht, von dem sie glauben, dass sie dagegen sein müssen.