Einen Anzug von Herr Lovadina für einen seiner Kunden habe ich von der Recherche noch in Erinnerung der klassisch und breit geschnitten war, jedoch recht enge Ärmel aufwies - offenbar auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden.
Das will ich unbedingt vermeiden.
Daran tust Du gut. Es ist das, was ich mit Balance meine. Es gibt nicht nur den einen Schnitt, der zum Erfolg führt, aber der Schnitt muss in sich stimmig sein, sonst sieht es einfach intuitiv nicht gut aus. Enge Ärmel, weiter Schnitt, das passt nicht gut zusammen.
Im Rahmen dessen was stilvoll und angemessen ist, will ich möglichst im Brust-, Schulter-, und Armbereich genug Platz. (Vielleicht bin ich da auch etwas beeinflusst von meinen negativen Erfahrungen mit RTW.)
Wie schon angeführt wurde, Dein Stichwort lautet Drape Cut. Das geht mehr auf eine spezifische englische Savile-Row-Tradition zurück (mal ein paar Google-Schlagworte für Bilder: Frederick Scholte, Anderson & Sheppard, Steven Hitchcock, Thomas Mahon), die vor hundert Jahren als "zivile", lässige Gegenbewegung zum strengen, muskulösen Schnitt der ursprünglich in der militärischen Uniformanfertigung beheimateten Savile-Row-Schneider entstand. Die ist jetzt nicht im Sinne einer zu weiten Passform misszuverstehen, aber lässt Raum an wichtigen Stellen, ohne dass die Silhouette zu weit aussieht.
Bevor ich Bilder sende, würde ich gerne Euch nochmal konsultieren:
Würdet Ihr das folgende hinsichtlich Schnitt und Details passend empfinden?
https://www.askokey.com/shop/suits/single-breasted-office-suit
(Die Hose müsste ich deutlich niedriger tragen oder Hosenträger verwenden, da sie bei mir - vermutlich wegen etwas Bauchansatz - im Tagesverlauf immer herunterwandern würde.)
Ich habe meine Probleme mit ihm, weil ich glaube, dass er den Drape Cut nicht richtig verstanden hat. Nichtsdestotrotz hat er in der Bespoke-Schnittform, die er für sich gestaltet hat und nun auch für andere als Grundlage nutzt, etwas geschaffen, was ein wenig unlocker und gezwungen rüberkommt, aber für seine speziellen körperlichen Gegebenheiten definitiv funktioniert: für einen Bodybuilder nämlich. Stark abfallende Schultern, Muskelpakete an den Armen, im Oberkörper, an den Beinen, kein Gramm Fett, relativ schmale Taille und damit enorm großer Drop, das ist mit die schwierigste Körperform für sartoriale Kleidung, weil man bei einem zu körpernahen Schnitt wie ein Superheld aus einem Marvel-Comic aussieht. Arnold Schwarzenegger in seinen besten Trainingszeiten wäre ein Topkunde für ihn geworden.
Aber für alle anderen finde ich seine Designentscheidungen fürchterlich übertrieben und nicht zielführend. Und damit meine ich nicht die Leibhöhe der Hose, die ist super und ich würde Dir auch zu einer höheren Leibhöhe raten, die gerade mit Bauchansatz wunderbar funktioniert und es auch erlaubt, mit etwas mehr Öffnung der Vorderteile des Sakkos zu spielen, ohne dass das gefürchtete Hemddreieck unter dem Schließknopf erscheint. Ja, Hosenträger sind dann eine gute Idee und ein willkommenes zusätzliches Styling-Accessoire. Aber die riesige Beinweite, die schon in den Bereich einer Marlene-Hose aus den frühen 1930ern hineinreicht (und auch nur mit bestimmten fluffigen Stoffen ohne zu viel Stand zusammenspielt), ist einfach völlig übertrieben und macht den Anzug zum Kostüm. Zudem sollte man mit geraderen Schultern auch eine höhere Kassur und ggfs. bei entsprechender Taille einen niedrigeren Schließpunkt tragen, das wirkt dann proportionierter. Das leicht glockig nach unten auslaufende Sakko kann man machen, mag ich auch selber, aber es steht definitiv nicht jedem und passt auch nicht zu jedem Schnitt.
Was AskOkey aber sehr schön zeigt, ist, dass man mit Bespoke Dinge realisieren kann, die nicht in die üblichen Sehgewohnheiten industrieller Konfektion fallen, aber trotzdem am eigenen Körper gut funktionieren können. Das meine ich auch damit, dass man mit Bespoke das nächste Level erreicht, wo es nicht nur darum geht, eine ordentliche Passform zu realisieren, sondern um wirkliches Gestalten im Rahmen des nicht gerade kleinen sartorialen Kanons. Konfektion und MTM als spezielle Variante davon bilden davon nur einen kleinen Ausschnitt ab, den dann leider alle automatisch als Standard hinnehmen.