Dresscode in Oper, Konzerthaus, Theater?

Kann das alles nicht nachvollziehen. Während der Vorstellung ist es (auf den bescheidenen Plätzen die ich mir leisten kann) dunkel, vorher, in der Pause und nachher habe ich nur Aufen für meine Begleitung. Wieso sollte mich da die Kleidung anderer Leute beschäftigen? Ich bin anständig angezogen, dieses ewige "oh Gott, die Anderen !!!" erschließt sich mir nicht. Habt ihr echt so einen Drang so angezogen zu sein wie alle anderen?

In meinen Augen ist gute Kleidung in der Oper/Theater auch immer ein Zeichen von Wertschätzung dem Dirigenten/Orchester/Schauspielern gegenüber.
Das mögen andere Anders sehen; ich jedenfalls mache mich gerne schick, wenn ich mal in den Genuss komme, in die Oper zu gehen.
Von anderen Leuten erwarte ich das zwar nicht, würde mir aber wünschen, dass sie sich ebenfalls über die Wirkung ihrer Kleidung bewusst werden.
Reines Wunschdenken, ich weiß....aber träumen darf man ja noch :p
 
Kann das alles nicht nachvollziehen. Während der Vorstellung ist es (auf den bescheidenen Plätzen die ich mir leisten kann) dunkel, vorher, in der Pause und nachher habe ich nur Aufen für meine Begleitung. Wieso sollte mich da die Kleidung anderer Leute beschäftigen? Ich bin anständig angezogen, dieses ewige "oh Gott, die Anderen !!!" erschließt sich mir nicht. Habt ihr echt so einen Drang so angezogen zu sein wie alle anderen?
Es geht (zumindest mir) nicht darum, dass alle gleich aussehen, sondern dass sich sichtbar alle Mühe geben, weil es ein Gemeinschaftserlebnis ist, in dem das Publikum und die Tatsache, dass man Teil des Publikums ist, eine wichtige Rolle spielt, sonst könnte man das ja gleichwertig bequem zuhause auf der Couch als DVD schauen. :)

Es ist ja auch nur ein weiteres Symptom unserer Zeit, dass traditionelle ästhetische Übereinkünfte in einem öffentlichen Raum, in dem sich hunderte von Fremden für mehrere Stunden dicht auf die Pelle rücken, als normatives Korsett wider die eigene Individualität empfunden werden, die man über ein auch äußerlich-nonverbal respektvolles Verhalten anderen Menschen gegenüber stellt. Auch der unterschwellige Wunsch einer Entelitarisierung von Kunst und Kultur mag in diesem Kontext eine Rolle spielen, der dann mit einer nicht nur kleidungsbezogenen demonstrativen Ungehobeltheit beginnt und in einer traurigen, heruntergekommenen Realität mündet, in der man ein anderes, schöneres Beieinandersein gesellschaftlich gar nicht mehr kennt. Beim Heavy-Metal-Konzert spielt Schönheit und Kultivierung keine Rolle, weil man explizit (und meist nicht ganz ernst gemeint :)) die Urtriebe abfeiert, aber bei der Oper ist es Teil des größeren situativen Szenenbilds.

Mit anderen Worten: Mein Problem damit ist nur Teil einer größeren Barbarei als Diktatur des kleinsten verelendeten Nenners, die ich schon anderswo hinreichend bejammert habe. ;)
 
Jepp, da bin ich schuldig im Sinne der Anklage und oute mich als einer der "man": mir ist's auch in 98% der Fälle egal was jemand anhat, das hat für mich denselben Stellenwert wie seine Haarfarbe oder sexuelle Orientierung. Ich verstehe aber dass Du das anders siehst.

Opernbesuch als Gruppenhappening. Hmm, so hab ich das noch gar nicht betrachtet.
 
In die Oper gehe ich stets im Smoking - unabhängig ob in einer Staatsoper oder einem eher kleineren Haus.

Ins Theater in größeren Häusern auch Smoking, bei ganz kleinen Bühnen auch mal im dunklen Anzug.

Mit einer Kombination würde ich mich nicht wohl dabei fühlen.
 
Teil einer größeren Barbarei als Diktatur des kleinsten verelendeten Nenners, die ich schon anderswo hinreichend bejammert habe. ;)

Ich bejammere dagegen die geschwollene Sprache. ;)

Zu Deinem Beitrag:
Ich denke, dass bestimmte Anlässe, zu denen man sich früher fein herausgeputzt hatte, heute nicht mehr den Stellenwert besitzen, den sie einstmals hatten, und daher auch nicht mit entsprechend gewählter Garderobe bedacht werden. Das ist sicherlich schade, auch im Hinblick auf das gemeinschaftliche Gefühl, das Du bereits erwähnt hast. Noch bedauerlicher finde ich, dass genau dadurch auch der besondere Glanz verloren geht.
Ich glaube nicht, dass es in erster Linie als "Korsett gegen die individuelle Freiheit" empfunden wird, wie Du schreibst, sondern, dass der hohe Stellenwert, denn diese Anlässe hatten, verloren ging und sie allgemeiner - meinetwegen auch bedeutungsloser - und somit Teil des Alltags größerer gesellschaftlicher Schichten geworden sind.

Früher ging man zum Gottesdienst ausschließlich in Sonntagskleidung. Viele Ältere handhaben das heute noch so. Dadurch (und natürlich einiges andere!) hatte der Gottesdienst einen anderen Charakter. Ich habe übrigens jahrelang ministriert, und je nach Pfarrer war das Ganze entweder besonders feierlich und würdevoll (auch sehr ästhetisch) oder wurde eher lax gehandhabt.

Je größer die Bandbreite der Kleidung und je alltäglicher die Dinge, desto mehr Freiheiten einerseits, andererseits auch weniger Glanz & Gloria und respektvolle Haltung. Wenn Kinder im Gottesdienst überall herumlaufen, oder Eltern auf der Ablage Apfelschorle, Schokolade und Kekse ausbreiten... *grauslich*

Wie sehr Kleidung eine Atmosphäre mit beeinflussen kann, sieht man aber nicht nur bei gehobenen Anlässen oder in sartorial gesinnten Kreisen, sondern kann es auch schön in der New-Wave & Gothic-Szene beobachten, bei denen die Teilnehmer sich viele Gedanken zu Kleidung & Make up für ihre Treffen machen und in dieser Aufmachung nicht herumlaufen sondern genussvoll flanieren.

VG, Jane
 
Es geht (zumindest mir) nicht darum, dass alle gleich aussehen, sondern dass sich sichtbar alle Mühe geben, weil es ein Gemeinschaftserlebnis ist, in dem das Publikum und die Tatsache, dass man Teil des Publikums ist, eine wichtige Rolle spielt, sonst könnte man das ja gleichwertig bequem zuhause auf der Couch als DVD schauen.

Da sollte man differenzieren. "Mühe" sieht bei jedem anders aus.

Während der durchschnittliche Deutsche früher beruflich in der Landwirtschaft oder der Fertigungsindustrie tätig war, sitzt er heute in einem Büro und addiert irgendwelche Zahlen an einem Computerarbeitsplatz. Er trägt dabei irgend eine Art von Hemd und teilweise auch das, was er für einen Anzug und "gute" Schuhe hält. Wenn sich dieser durchschnittliche Deutsche für die Oper "fein" macht (z.B. weil seine Frau es verlangt), greift er höchstwahrscheinlich auf seine Bürokleidung zurück. Widerwillig, denn er sieht es eigentlich nicht ein, dieses Zeug auch am Wochenende noch anziehen zu müssen. Wäre das wünschenswert?

Der dunkle Anzug ist für viele Menschen keine Sonntagskleidung mehr, sondern lästige Alltagskleidung, die billig beschafft wird und dementsprechend schlecht sitzt und blöd aussieht. Natürlich gibt es auch schönere Anzüge, aber eben nicht bei jedem im Schrank.

Unsere Kleiderschränke sind heutzutage aufgrund der billigen Fertigung in Fernost voller als je zuvor. Man hat eine nie da gewesene Auswahl. "Besondere" Kleidung im Hinblick auf einen besonders hohen Anschaffungspreis ist in vielen Schränken nicht mehr die besonders formale Kleidung, sondern irgendwelcher Markenkram (teure Jeans, teure Turnschuhe etc.). Vieles, was hier im Forum gezeigt wird, war auch nicht gerade teuer in der Anschaffung.

Wenn ich wollte, dass alle Opernbesucher ihre teuersten Sachen herausholen, wäre das Bild der Operngänger wahrscheinlich ein grausiges. Viele würden wahrscheinlich ihre Funktions-Sportklamotten anziehen.

Insofern sollte ich mich doch erstmal fragen, was ich überhaupt erwarte. Erwarte ich "dunkle Anzüge", die dann wahrscheinlich aus dem Büroalltagsschrank genommen werden? Erwarte ich hochwertige Kleidung? Erwarte ich, dass alle Krawatte tragen? Erwarte ich irgendwas Ästhetisches, was auch immer das ist?

Kleidung ist kompliziert geworden heutzutage.
 
Opernbesuch als Gruppenhappening. Hmm, so hab ich das noch gar nicht betrachtet.
Gruppenhappening ist alles außerhalb der eigenen vier Wände, die Bühne des Alltags sozusagen. :) Für den Opernbesuch trifft der neumodisch-denglische Begriff Event besser.

"Bei einem so genannten „Event” handelt es sich um eine Übereinkunft von Personen zur Förderung von Emotionen wie Freude oder Zusammengehörigkeit." (zumindest laut Wikipedia, in Ermangelung einer besseren Formulierung)

In der Oper ist es wohl überwiegend neben dem Kunstgenuss die gemeinsame Freude an der Wiedererschaffung der Kultivierung einer vergangenen Epoche, die natürlich nicht am Bühnenende haltmacht.
 
Ich bejammere dagegen die geschwollene Sprache. ;)
Du darfst das gerne nach Deinem Geschmack umformulieren.

Ich denke, dass bestimmte Anlässe, zu denen man sich früher fein herausgeputzt hatte, heute nicht mehr den Stellenwert besitzen, den sie einstmals hatten, und daher auch nicht mit entsprechend gewählter Garderobe bedacht werden. Das ist sicherlich schade, auch im Hinblick auf das gemeinschaftliche Gefühl, das Du bereits erwähnt hast. Noch bedauerlicher finde ich, dass genau dadurch auch der besondere Glanz verloren geht.
Ich glaube nicht, dass es in erster Linie als "Korsett gegen die individuelle Freiheit" empfunden wird, wie Du schreibst, sondern, dass der hohe Stellenwert, denn diese Anlässe hatten, verloren ging und sie allgemeiner - meinetwegen auch bedeutungsloser - und somit Teil des Alltags größerer gesellschaftlicher Schichten geworden sind.
[...]
Je größer die Bandbreite der Kleidung und je alltäglicher die Dinge, desto mehr Freiheiten einerseits, andererseits auch weniger Glanz & Gloria und respektvolle Haltung.
D.h. früher bedeutsame kulturgesellschaftliche Dinge haben sich auf breitere Schichten demokratisiert, die früher daran nicht teilnahmen, und dadurch ihre Bedeutung verloren. Und dieser Vorgang ist unausweichlich und setzt sich linear weiter fort, die perfekte Demokratisierung, bei der wirklich restlos jeder gesellschaftlich mitgenommen wird, endet dann bei dem Verlust jeder komplexen kulturellen Wertschätzung auf Primatenniveau (eigentlich noch unterhalb, weil Primaten auch gerade in Ermangelung von Sprache durchaus nonverbale soziale Mechanismen des gegenseitigen Respekts und der Wertschätzung gemeinsam genossener Ereignisse entwickelt haben). Wenn ich das so richtig interpretiere, bist Du viel kulturpessimistischer als ich. :eek: :D

Ich gehe nämlich eigentlich davon aus, dass Menschen auch während Zwischenepochen kulturellen Verlustes durch die Konzentration auf den erwähnten kleinsten Nenner grundsätzlich langfristig in einzelnen sozialen Gruppen gemeinsam lernfähig sind. Dass es überhaupt ein Forum wie dieses gibt, ist für mich ein Hinweis, dass bei all unseren Gegensätzen ein grundsätzliches Bedürfnis nach kultiviertem Auftreten vorhanden ist. Hier geht es längst mehr um das "Wie?" als um das "Warum überhaupt?".

Das Problem bei Kleidung ist halt, dass speziell in Deutschland alles sehr stark an der Oberfläche festgemacht wird ("ich will diese Kleidung nicht tragen, sie ist nicht bequem, zu warm, zu kalt, zu unbeweglich"), aber eigentlich tiefe soziale Ressentiments berührt ("mit dieser Kleidung sehe ich aus wie ein Opa/Politiker/Banker", "kleidungsinteressiert = eitel = dumm = arrogant = unproduktiv = ineffizient = spießig"), so dass man meist nur vorgeschobene Ausreden thematisiert, statt die tatsächlichen Ursachen, die Folge gesellschaftlicher Entwicklungen sind, die Du schon selbst erwähnt hast (Selbstverwirklichung des Einzelnen bis in infantile Kontexte hinein > soziale Kontrolle einer übergeordneten Gruppe).

Die Welt ist am Ende aber immer das, was wir alle aus ihr machen. Nichts ist unausweichlich.
 
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