Liebe Gemeinde,
bevor hier wieder die üblichen vagen halbwissenschaftlichen Argumente gegen schwarze Schafe in der Tagesgarderobe vorgetragen werden (was sehr bald der Fall sein dürfte), sollten wir doch die „Kein Schwarz am Tag“-Regel als das anerkennen, was sie zweifellos ist: Eine althergebrachte Konvention.
Paradoxerweise hat sich allerdings die Wahrnehmung vieler derartiger Konventionen im Lauf der letzten Jahrzehnte nicht nur gewandelt sondern nahezu umgekehrt: Regeln, die 1950 noch nahezu ubiquitär akzeptiert wurden, erschienen 1970 zweifelhaft. 2010 empfindet nun die breiten Masse das Befolgen dieser Regeln als im positiven Falle „exzentrisch“ oder eben „unkonventionell“, im negativen Falle als „reaktionär“ und „steif“.
Diese Umkehrung in der Wahrnehmung der Konventionen wiederum bietet der in Foren wie diesem präsenten Subkultur, gerne als iGentry bezeichnet, eine willkommene Gelegenheit, ihr Anderssein, ihre empfundene ästhetische Überlegenheit durch das oft geradezu dogmatische Auslegen und Befolgen derartiger Konventionen zu demonstrieren. Allerdings gilt dies nur dann, wenn in der Tat das Befolgen der Regeln eine Gelegenheit zur Differenzierung bildet. In anderen Fällen – als Beispiel möge hier „No brown in town“ gelten – hat sich die Konvention bis heute in der breiten Bevölkerung weitgehend gehalten; hier ist nun die bewußte und oft mit ebenso pseudo-rationalen, aber umso überzeugter vorgetragenen Argumenten gerechtfertigte Abkehr von der Tradition ein weitaus effektiveres Mittel, sich vom Massengeschmack abzuheben, und hat daher schwungvoll Einzug in den Kanon der tieferen Weisheiten gefunden.
Die Hohepriesterschaft der iGentry hat sich auf diese Weise ein klares Regelwerk geschaffen, dessen erstes Gebot lautet „Vermeide alles, was Dich mit der Masse gemein machen könnte“, und predigt diese Wahrheiten einer ekstatischen Anhängerschaft.
Ob dieser (ersatz-)religiöse Orden nun Gemeinschaft der Heiligen oder gefährliche Sekte ist, muß jeder für sich selbst entscheiden.
Ich, für meinen Teil, trage tagsüber kein Schwarz, bin aber generell derartiger Dogmatik gegenüber recht skeptisch. Die Ausgangsfrage kann ich leider auch nicht beantworten.
Soli sprezzaturae gloria!
dE