Ich kann es auch knackiger formulieren: Die Reise von der Stange, über MtM zu (more or less) bespoke / high-end MtM habe ich hinter mir. Auch Experimente mit Farbe und Muster muss ich nicht mehr machen. Wie hole ich nun das beste auf meiner Garderobe heraus? Relativ konkret ist blau vs. grau ein Thema (das wir hier mal ausklammern) und der Grundschnitt d.h. die Knöpfe. (Und vielleicht noch die Weste: J/N).
Man kan das sicherlich alles unter Mode oder Geschmack abhandeln. Prinz Charles trägt seit Jahr und Tag Zweireiher und hat das für sich zu seinem Stil gemacht. Narendra Modi (Indischer PM) trägt oft Anzüge mit komplett hochgeschlossener Knopfreihe - in Europa eher unüblich. Hollande, Cameron, überhaupt die (Ex-)Spitzenkandidaten im Wahlkampf im UK tragen dunkles Blau mit 2 Knöpfen. Ist das noch Mode oder steckt ein Kalkül dahinter?
Vermutlich steckt bei den Politikern jeweils wirklich Kalkül dahinter. Aber ich finde nicht, dass man das als Kleidungsinteressierter weiter betrachten sollte. Prince Charles' Ansatz ist schon ein gutes Beispiel: Finde Deinen persönlichen Stil, in dem Du Dich am besten fühlst und bleibe dabei. Selbst als berechnende Außendarstellung ist die Herausbildung des eigenen Äußeren als "Marke" mit Wiedererkennungseffekt durchaus wirksam.
Dunkles Blau ist wohl das neue Schwarz - wer nur wenig Anzug trägt, trägt dunkles blau: Das soll Kompetenz ausstrahlen. Schwarz (v.a. mit weissem Hemd) strahlt eher Macht aus. Grau, die graue Eminenz, wird wenig getragen - zumindest sehe ich es im Berufs- und Büroalltag nicht (Grau im Sinne eines schönen, hellen oder mittelgrau und weniger als Variante von Schwarz).
Anthrazit macht in meiner täglichen Erfahrung das Gros der beruflichen Anzugträger aus, es erfordert halt nicht viel Fantasie. Noch ein Grund mehr, das als Kleidungsinteressierter hinter sich zu lassen. Wenn mich jemand fragen würde, was meinen Kleidungsgeschmack am besten repräsentiert, wäre die Antwort: der informellere Anzug in all seinen Ausprägungen (Baumwolle mal ausgenommen). Und dazu passt sowohl die 2-Knopf- als auch die 3roll2-Konfiguration gleichermaßen. 3-Knopf und Zweireiher finde ich bei meiner Figur ohnehin weniger geeignet.
Wer (wahlweise) Kompetenz, Führungsstärke, Macht, Vertrauen, Wissen, Erfahrung, ... durch die Wahl von Anzugfarbe und Schnitt unterstreichen will, trägt was?
Die Uniform des Business-Soldaten: Anzug anthrazit ohne Muster, einreihig auf zwei Knöpfe, Pattentaschen ohne Billetttasche, unauffällige Schulterform, mittelbreites Revers, gute Passform. Weißes oder hellblaues Hemd mit Kent-Kragen ohne Muster, dunkelblau gemusterte Krawatte, evtl. auch weinrot oder aber "verlorene" Krawatte, kein EST, schwarze Schuhe. Das alles natürlich in der besten Qualität, die man sich leisten kann.
Eckt nirgendwo an, sieht (von der unsäglichen verlorenen Krawatte mal abgesehen) immer solide unterhalb des Dandy-Radars aus, aber macht das noch Spaß? Also warum so etwas überhaupt bedenken?
Die entscheidende Frage ist: Was ist das "Beste", das man aus der eigenen Bekleidung noch herausholen kann? Wonach optimiert man? Das, was die eigene Persönlichkeit ausdrückt, oder das, was die anderen davon sehen sollen?
Für mich ist die Antwort da ziemlich eindeutig: Das Leben (was den Beruf einschließt) ist schon schwer genug, da will ich mich als Kleidungsinteressierter nicht noch zusätzlich dauernd verstellen müssen.