Kommt man im Mailänder Hauptbahnhof an, gilt es erst einmal, sich in Ruhe ein Ticket für die U-Bahn zu ziehen, ohne auf die „Hilfe“ einer ganzen Reihe von dort anwesenden Herren zurückzugreifen. Die Szene erinnerte mich doch sehr an das „Jump-and-Run“-mäßige Ausweichen von unliebsamen Kettchen- und Modelleifelturm-Nippesverkäufern in Paris.
Am Mailänder Dom angekommen steigt man nicht nur aus den Katakomben der U-Bahn nach oben, sondern auch direkt vor die Galeria Vittorio Emanuele II. Dass Milan angeblich nicht gerade ein Ausflugsziel für Touristen wie Florenz oder Rom sein soll, kann ich nicht bestätigen - vielleicht nicht im selben Maße wie die beiden letztgenannten Städte, aber doch auf jeden Fall stark touristisch frequentiert (die Zeit meines Besuches war Mitte September).
Das einzige angestrebte modemäßige Ziel auf meiner Mailänder Agenda war der Borsalino Flagship Store in der Galeria. Dieser war dann auch schnell gefunden – er befindet sich, vom Dom aus gesehen, auf der anderen Seite der Galeria, gegenüber der Scala. Ich hatte ein mehrgeschössiges Geschäft mit Unmengen von Hüten in zahllosen Formen und Farben erwartet. Doch die Mieten in der Gründerzeit-“Mall“ sind sicherlich hoch und die Nachfrage nach Kopfbedeckungen immer noch so gering wie seit JFKs Zeiten, so dass ein kleines Eckgeschäft auf gefühlten 20 Quadratmetern, dafür aber deckenhohen und randvollen Regalen für eine der bekanntesten Hutmarken der Welt wohl ausreicht. An mangelnder Nachfrage kann es nicht liegen, denn mehrere englischsprachige Kunden kauften sich mal so eben vor dem Heimflug noch einen Haarfilzhut. Nach dem Studium der Auslagen und Inanspruchnahme einer Kundenberatung fand auch ich dann ein Modell, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wie ich später herausfand, lag es preislich 5 Euro über dem, was man im Internet bezahlt hätte – der Mietaufschlag wohl, aber mehr als zu verschmerzen für ein Souvenir aus Milano. Wenngleich es mit Hüten wie mit vielem anderen, was heutzutage im Internet besprochen wird, ist – „früher war alles besser,“ von der der Qualität des Filzes bis zur Verarbeitung – so hat mir mein Borsalino bei Wind und Regen- wie Schneewetter beste Dienste erwiesen (man erinnere sich an den letzten Winter). Wer mehr „Connaisseur“ ist, kann gerne woanders das doppelte oder dreifache für ein „custom“-Modell bezahlen. Für den Preis eines Borsalinos wird man von seinen weniger „satorial“-affinen Freunden schon schräg angeguckt … Bis man ihnen etwas von „Qualität“ und „langfristigem Wert“ erzählt … Es gibt auch ein weiteres Hut(macher)geschäft, Cappelleria Melegari (hier stellt man auch noch selbst her), welches aber in einem anderen Stadtteil liegt – und ich wollte es meiner Begleitung nicht zumuten, wegen meiner „ausgefallenen“ Vorstellung von Mode noch weitere Irrfahrten durch Mailand zu begehen.
Lässt man sich durch die Gassen und Straßen Mailands rund um den Dom treiben, so kommt man natürlich an so manchem Geschäft vorbei. Man mag mir da meine kindliche Freude, einen Brooks Brothers-Laden zu sehen, ob des Hypes, der von (Möchtegern-)Efeu-Ligisten im weltweiten Netz geschürrt wird, hoffentlich verzeihen (in Deutschland hatte ich noch nie BB gesehen – und an jenem amerikanischen College, zwar kein Ivy League-“Mitglied,“ aber dennoch prestige- und traditionsreich, welches ich näher begutachten konnte, trugen auch nur wenige junge Herren BD-Hemden und Chinos, während die meisten ihrer Komillitonen eher Anhänger der FlipFlop-Fraktion waren – ganz zu schweigen davon, dass ich seinerzeit auf solche Sachen noch nicht wirklich geachtet habe). Die üblichen Verdächtigen wie Armani, Gucci, Boss und Konsorten waren natürlich auch alle vertreten; daneben Herrenausstatter, bei denen ich aber leider die Herkunft und Qualität ihrer Waren nicht genauer inspizierte. Der im Schaufenster angezeigte durchschnittliche Anzugspreis begann allgemein bei gut 1000 Euro und mehr.
Weitaus mehr faszinierte mich, wie sich die Mailänder kleideten. Besonders zur Mittagszeit in einem Restaurant, dass jedem Karnivoren die helle Freude bereitet hätte, konnte ich den „(nord-)italienischen“ Stil in der via vor dem Etablissement begutachten. Da ich wenige Wochen zuvor in Frankfurt bereits die gefühlt meisten Anzugträger meines Lebens gesehen hatte, ergab sich ein guter Vergleich (vielleicht deshalb, da ich beide Male in der Börsengegend weilte). In Mailand schienen teilweise und prozentual noch mehr Anzugträger zu sein – und die waren meiner Ansicht nach fast sämtlich besser gekleidet als ihre Frankfurter Pendants. Es gibt auch in Mailand jene, die einen Anzug tragen, weil sie müssen – bei denen der abito auch mal wieder gebügelt werden könnte. Vorherrschend waren jedoch die „Modischen.“ Anzugsfarbenmäßig überwog blau, daneben grau und teils schwarz/anthrazit sowie einige wenige sommerlich-braun Gekleidete – allgemein sehr gerne mit Nadelstreifen. Dass braune und perforierte Schuhe laut I-Gent-Knigge eher sportlich-freizeitmäßig seien, scheint Italienern egal zu sein, denn ich sah viele „brogues.“ Die Leistenformen gingen von klassisch bis modisch-modern. Und auch die Business-Damen trugen ihre satorialen Schätze zur Schau.
Was den Klamottenkauf in Mailand angeht, würde ich sagen, dass (wegen der Touristen?) die Preise (für mich) doch eher recht hoch sind. Wer auf Italienfahrt geht und auf den ("günstigen") Kauf des stile italiano aus ist, sollte sich vielleicht lieber abseits in die unbekannteren Städt(ch)en begeben – und das geht in der Lombardei ganz gut.