Retrosexuell

Ich habe so meine Probleme mit dem Begriff retrosexuell, wie er in diesem Artikel Verwendung findet.
Wenn schon die Worte Metrosexualität und Retrosexualität verwendet werden, liegt es Nahe, dass sich dies auf Mark Simpson stützt und für diesen bedeutet Retrosexualität lediglich die Anti-Metrosexualität.

Allerdings ist die klassische Herrenkultur alles andere als Antimetrosexuell.
Ist es doch das detailbesessene, perfektionistische und ästhetische was diese ausmacht und dies sind ja nun wahrlich heutzutage Eigenschaften, die eher der weiblichen Geschlechtsrolle zugeschrieben werden.

Der Text hinterlässt daher einen faden Beigeschmack, da der Titel nun irgendwie nichts mit dem Inhalt zu tun hat, ausser das sich wohl ein – meiner Meinung nach – gescheiterter Wortwitz dahinter verbergen mag.

Mein Geplänkel dazu.
 
Ich schätze mal, solche Artikel gibt es pro Dekade einige Male, häufig verfasst von Journalisten, die in ihre 40er kommen und sich nach einem erwachseneren Stil umschauen. Zusätzlich gibt es dann immer irgendwelche popkulturellen Phänomene/ Werke (80er: u.a. Wallstreet, 90er z.b. Tarantino Filme...), an denen die Schreiber eine Renaissance der "klassischen" Herrenmode festmachen wollen. Natürlich ist momentan ein kleiner Trend zu (einzelnen) klassischen Kleidungsstücken zu sehen (Sakko, Lederschuhe im "GYW-Look" etc.) aber das ist eben nun mal nur ein Trend unter vielen.
 
Ich befürchte, der Trend wird nicht lange genug anhalten, um nachhaltig etwas zu verändern. Wir werden also nach wie vor "Ausgestossene" sein und uns mit Kretins aller Coleur herumschlagen. Die Geissens dieser Welt werden die Oberhand behalten.

Die Gründe greifen, wie im Artikel angedeutet, auch nur bedingt. Ich kleide mich seit Urzeiten klassisch, habe es zuhause so vorgelebt bekommen und werde das auch nicht ( mehr ) ändern. Roetzel, der nun genügend Schwachsinn verzapft, hat ausnahmsweise mal recht: Die Generation Umhängetasche ist verloren. Das ausgerechnet die Heritage Post genannt wird, auf deren schlecht belichteten Bildern die bärtigen Rude Boys dominieren und das Proletariat fröhliche Urstände feiert, verwundert dann doch sehr.

Mir graust schon vor den unzähligen Williams, Timberlake und sonstigen Würstchen Klonen, die in billigen, schlechten Nachbauten demnächst die Fußgängerzonen bevölkern werden und in Habitus und Auftreten das Ideal des Strukturvertrieblers mit Migrationshintergrund vertreten.
Gottseidank habe ich schon ewig meinen Barbier und bin nicht jetzt gezwungen, mir einen völlig überteuerten Livestyle Figaro zu suchen.
Stil kann man nicht kaufen und man muss ihn lernen, was dauert. Der Artikel bestätigt das Gottseidank wieder. Solange dem so ist, muss ich mich nicht sorgen, das der Deutsche Mann Geschmack und Stil entdeckt. Er wird es vielleicht mieten, aber nie haben.
 
Ich befürchte, der Trend wird nicht lange genug anhalten, um nachhaltig etwas zu verändern. Wir werden also nach wie vor "Ausgestossene" sein und uns mit Kretins aller Coleur herumschlagen. Die Geissens dieser Welt werden die Oberhand behalten.

Lieber Proteus,

ich denke, Du siehst das alles ein bisschen zu negativ. Wenn man klassisch gekleidet ist, fällt man in den Fußgängerzonen dieses Landes schon auf. Jedoch nach meiner Erfahrung keinesfalls negativ. Ich wurde schon häufig von wildfremden Menschen - meistens waren es Frauen - sehr positiv auf der Straße wegen meines Erscheinungsbildes angesprochen. Umso mehr, je klassischer es war. Dabei waren diese Leute aus allen Alters- und sozialen Schichten.
Privat von Freunden wurde mir zwar schon häufig gesagt, daß ich in der falschen Zeit geboren sei und eigentlich einem anderen Jahrhundert entspränge, aber nur damit gleich darauf betont wurde, daß das sehr sehr positiv gemeint sei.
Wenn Du da andere Erfahrungen gemacht hast, finde ich das sehr schade. Und ich möchte mir ja auch mit meinen Anfang 20 Jahren gar nicht anmaßen ein abschließendes Bild der deutschen Gesellschaft zu haben, sondern kann nur von dem berichten, was mir widerfahren ist.
Dennoch: Obwohl ich eigentlich immer mit Kombination (einschließlich Krawatte) und jetzt im Winter IMMER mit Hut und Stockschirm in der Uni erschien, wurde ich nicht einmal blöd angesprochen...
 
Also Proteus, ich finde dich ja eigentlich janz dufte, aber da haust Du schon ein paar Sätze raus, die sehr nach Chauvi klingen... Mach dich mal locker! ;)
 
Zuletzt bearbeitet:
Es steht viel Quatsch drin (wie zu erwarten), aber der letzte Abschnitt könnte von bluesman sein:

Männer, die Anzüge tragen wollen, tragen andere Anzüge als Männer, die Anzüge tragen müssen. Und sie tragen sie anders. Mit würdigerer Haltung. Wie ein Herr.
Absolut. :) Ich habe nur mit dem Wort "Herr" ein bisschen Probleme, weil ich es zu sehr mit genau dem Standesdünkel, dem sich Abgrenzen gegen Ärmere, Ungebildetere konnotiert finde, den die nervige, im Artikel zitierte Kulturwissenschaftlerin uns unbedingt unterstellen möchte, weil sie nicht versteht, warum es Männer gibt, die auf eine verfeinerte, ästhetische und erwachsene Weise dezidiert männlich sein wollen. Genau dafür steht die sartoriale Herrenkultur ja und irgendwie scheint sie davor Angst zu haben.

Warum es, wie von ihr anscheinend vertreten, einen kulturellen Fortschritt bedeutet, wenn Männer kleidungsbezogen ein wenig wie Frauen aussehen, verstehe ich genauso wenig wie die allgemeine modische Unsitte, Männer wie Kinder aussehen zu lassen und das "lässig" zu finden statt banal.

chosy hat gesagt.:
Allerdings ist die klassische Herrenkultur alles andere als Antimetrosexuell.
Ist es doch das detailbesessene, perfektionistische und ästhetische was diese ausmacht und dies sind ja nun wahrlich heutzutage Eigenschaften, die eher der weiblichen Geschlechtsrolle zugeschrieben werden.
Narzissmus, davon reden wir ja hier im Kern, ist an sich kein geschlechtsspezifisches Phänomen. Es ist nur in der kulturellen Entwicklung Nord- und Mitteleuropas irgendwo zwischen Renaissance und Neuzeit für den männlichen Teil zur Untugend definiert worden, ich habe da persönlich immer noch den Calvinismus im Verdacht, aber es sind vermutlich mehrere Trendströmungen, die da zusammen wirkten. Sich davon ein gesundes Stück weit zu emanzipieren finde ich nicht metrosexuell (was ja eigentlich einer der Begriffe ist, mit denen man den Hang zur persönlichen Verfeinerung des Mannes gesellschaftlich zu desavouieren versucht), sondern ist für mich Teil einer natürlichen Persönlichkeitsentwicklung, die in romanischen Ländern schon immer eine Selbstverständlichkeit war.
 
Ich bin doch entspannt. Leider wird Stil in solchen Postillen immer nur auf Kleidung reduziert und dann von den Wellenreitern "adoptiert". Jemand, dessen Lieblingsrestaurant McDonalds ist, der Goethe für einen brasilianischen Fussballer hält und der Eßmanieren hat wie ein Schwein, den macht auch die Entdeckung der klassischen Herrenmode nicht stilvoller.

Ich bin kein Gentleman, ich bemühe mich nur - seit nunmehr fast 30 Jahren - einer zu sein. Das ist für mich ständiges Streben und Versuchen. Vielleicht schaffe ich es irgendwann einmal, diesem Ideal nahezukommen, aber ein Ende Reise gibt es nie.
Sätze wie die oben belegen zugegebenermassen, das mir das nicht immer gelingt. Ich schätze, ich habe mich ein wenig an der Umgebung verschlissen und seitdem ich wieder häufiger in Deutschland bin, fällt mir das umso mehr auf. Aber Stil ist doch viel mehr als die Summe seiner Teile. Keiner möchte sicherlich den Rückfall ins viktorianische Zeitalter, aber ein wenig mehr Lernen und Streben täte gerade vielen Mittzwanzigern gut. Es ist nicht cool, auf die Straße zu spucken, Galanterie ist meist reiner Selbstzweck ( und auch noch schlecht gemacht ), Benehmen haben sowie die Wenigsten und Lebensart schon gar nicht. Anachronismen, wie sie hier im Forum vertreten sind, stellen da sicher die Ausnahme da, werden als solche ebenfalls erkannt und unterschwellig belächelt. Damit kann ich leben.

Mir graut vor dem Gedanken, jetzt plötzlich als Fashion Victim zu gelten und ich kann nur hoffen, das der Kelch schnell an uns vorübergeht.
 
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