Marc Anthony

… 3k für Luciano oder 6k für Attolini wäre mir auch zu teuer. 1700€, bzw. 2400€ finde ich in Ordnung. Da mir die Passform der Sakkos liegt, weiß ich was ich bekomme. Ich fand die hier gezeigten Ergebnisse von lokalen Maßschneidern oft ästhetisch nicht so ansprechend. Damit meine ich jetzt aber nicht Dich, Bluesman. Was das Thema Fashion angeht, würde ich Urban zum Teil zustimmen. Es ist für mich aber kein Argument, da es für mich einfach nicht immer das absolut beste, im tiefsten Sinne hochwertigste Produkt sein muss. Es darf auch einfach schön sein. Ich habe zum Beispiel zwei Cucinelli Sakkos und eine Monclerjacke, die ich seit sehr vielen Jahren gerne trage. Ist das stillos, weil es Mide ist?
Überhaupt nicht, mal vom Preis abgesehen ist das ja an sich gut gemachtes Zeug. Aber ich finde, es ist in der Preisklasse eine verpasste Chance für einen selbst. Wenn man nicht gerade oligarchenreich ist, kann man jeden € nur einmal ausgeben und das finde ich bei solchen Summen für eine sehr standardisierte Gegenleistung schade.

Tatsächlich werden hier ja Ergebnisse von deutschen Maßschneidern kaum präsentiert, wenn man mich mal rausrechnet. Und wenn da was kommt und es gefällt Dir nicht, muss das nicht mal relevant sein. Natürlich hat ein guter Maßschneider auch eine spezifische Art zu schneidern, auch gerne Hausstil genannt. Aber dann projiziert er den ja auch auf den (meist nicht einfachen) Körper des Kunden. Wenn Dir das nicht gefällt (und meist ist es ja auch noch mäßig fotografiert), kann das an beidem liegen und an der Kombination aus allem. D.h., eigentlich müsstest Du ein Vollmaßstück an Dir mit den genannten RTW-Marken vergleichen, dann erst weißt Du, wie das an Dir funktioniert. Die RTW-Marken projizieren ihren Hausstil natürlich auch, aber eben nicht auf Dich, sondern auf irgendeine imaginäre Standardform, die nie richtig mit Dir übereinstimmt.

Ich weiß natürlich um die Attraktivität schneller lokaler Verfügbarkeit. Das ist auch für mich nicht irrelevant, ich könnte mir z.B. Long Distance Bespoke für mich nicht vorstellen. Aber es gibt ja schon über die Republik verteilt eine ganze Reihe guter Schneider, von denen ich schon tolle Stücke mindestens auf Fotos auf Instagram & Co. gesehen habe. Sandro Dühnforth in Hamburg, Egon Brandstetter in Berlin, Julian Weyand in Düsseldorf, Schmidt & Schallmey in Frankfurt, Detlev Diehm (Ex-Regent-Chef) und Stefan Sicking in München, dazu Hoofs in Köln, das ist schon eine ziemliche stilistische Bandbreite. Dass da nichts für Dich dabei ist, kann ich mir nicht vorstellen.

Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen, dass zwischen RTW und gutem Bespoke immer Welten liegen. Man bewegt sich mit letzterem auf einem Detaillierungsgrad, den man in RTW nie realisieren kann. Es erfordert natürlich auch ein ganz anderes Level an Kundenmitarbeit, weil man schon recherchieren und qualifiziert beschreiben können muss, was einem wichtig ist, und dann muss man den Schneider dazu finden. Bei Konfektion greift man ein Stück raus und sagt, jo, iss‘ schön. ;) Man beschäftigt sich somit mit dem Produkt im Zusammenspiel mit der eigenen Figur auch viel intensiver und versteht die Wirkung bestimmter Details.

Jetzt kann man sagen, okay, so wichtig ist mir das alles nicht, die Mühe ist mir das nicht wert. Aber wenn man andererseits Zigtausende € in Konfektion versenkt, kann das ja am Ende doch nicht ganz stimmen, es sei denn, man ist so reich, dass man das Geld gar nicht spürt. ;) Ich verstehe natürlich, dass es da eine gewisse Hemmschwelle gibt, weil Bespoke ein kommunikatives Produkt ist, in dem man mit einem anderen Menschen zu einem sehr persönlichen Thema in einen Dialog treten muss und wo man erst spät im Prozess einen Eindruck vom Endprodukt bekommt. RTW ist da sehr einseitig, es gibt den agierenden Käufer und den Typ, der das Zeug auf die Kleiderstange hängt, das ist vom Kaufprozess autarker aus Kundensicht und man sieht sofort, was man bekommt, und kann es ggfs. einfach zurückhängen. Man hat die Illusion von mehr Kontrolle, die aber tatsächlich nur der Anbieter hat, der das Produkt erzeugt. Und man bekommt am Ende auch für viel Geld neben dem ordentlich produzierten Standardprodukt nichts wirklich Persönliches für einen selbst, außer dem schönen Label, das man vorzeigen kann, und einem konstruierten Marketing-Image (Luxus, Bella Italia, Jeb Gambardella, James Bond ;)) als Hintergrund im eigenen Kopf.
 
jetzt würde mich noch interessieren, lieber bluesman, was man da so anlegen muss in € für einen Anzug
 
jetzt würde mich noch interessieren, lieber bluesman, was man da so anlegen muss in € für einen Anzug
Das hängt natürlich auch ein bisschen vom Stoff und der individuell benötigten Stoffmenge ab, aber für einen Zweiteiler würde ich mal von 4,5k€ ausgehen, mit gehobenen britischen Stoffen à la Fox, Holland&Sherry, Harrison's of Edinburgh, wie ich sie üblicherweise nehme. Ein paar Schneider in der Liste oben sind vermutlich ein Stückchen billiger, ein paar etwas teurer (Nord-Süd-Gefälle), das müsste man dann schon direkt erfragen.
 
Das war ja mal eine inhaltsreiche Antwort, vielen Dank für Deine Mühe und Leidenschaft bei diesem Thema. Deinen Schlusspunkt würde ich relativieren. Ich denke, man hat bei jedem emotional berührenden Produkt ein Bild im Kopf. Der Maßschneider und der Gentleman ist ja schließlich auch ein Klischee. Davon abgesehen möchte ich gar nicht ausschließen zu einem Maßschneider zu gehen. Zu Herrn Hoofs hatte ich übrigens schon Kontakt wegen eines Tweedsakkos, aber er mag keinen Tweed. Mein Vater trug immer Radermacher Sakkos, die habe ich dann als Jugendlicher aufgetragen. Du siehst also, ich bin gar nicht so fern von diesem Thema. Also ich möchte das eine nicht ausschließen und trotzdem das andere weitermachen. Hauptsache, die Sache behält eine gewisse Leichtigkeit und macht Freude!
 
Ja, ich wollte mir ein Tweedsakko anfertigen lassen und er sagte, er möge keine Tweedsakkos und deswegen würde er auch keine anfertigen. Ich finde, das ist eine verwunderliche, aber ehrenwerte Haltung. Er empfahl mir einen Kollegen in Köln.
 
Ja, ich wollte mir ein Tweedsakko anfertigen lassen und er sagte, er möge keine Tweedsakkos und deswegen würde er auch keine anfertigen. Ich finde, das ist eine verwunderliche, aber ehrenwerte Haltung. Er empfahl mir einen Kollegen in Köln.
Naja, also einen Donegal-Tweed-Anzug hat er ja neulich schon angefertigt (nicht für mich), das kann man auf Instagram bewundern. Aber so was richtig Hart-Rustikales ist nicht sein Ding, das stimmt schon. Der Kölner Kollege dürfte ein Tweedspezialist und -enthusiast sein, da ist man dann vielleicht auch besser aufgehoben. ;)
 
Deinen Schlusspunkt würde ich relativieren. Ich denke, man hat bei jedem emotional berührenden Produkt ein Bild im Kopf. Der Maßschneider und der Gentleman ist ja schließlich auch ein Klischee.
Ich glaube, den Eindruck verliert man schnell, wenn man nicht gerade in einen der Tempel an der Savile Row oder in einen römischen Palazzo bei Gaetano Aloisio geht, wo dann auch das Ambiente entsprechend ist (und der Preis noch ein ganzes Stück höher). Ein Maßschneider hier hat schon vom Ambiente her einen gewissen technischen Charakter. Da geht's wirklich nur um den Inhalt, nicht um's Brimborium darum, auch wenn natürlich der Service extrem persönlich ist. Es ist nett bei Sebastian Hoofs, aber Gentleman-Luxus-Feeling kommt da bei mir nicht auf. Deswegen bin ich auch nicht da. ;)
 
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