Ich sehe es natürlich auch so, dass das nicht für jeden eine Option sein kann bzw. soll. Zum Einen natürlich, weil man Krawatte trägt und zum Anderen aber möglicherweise auch, weil dies gegen das eigene und zugleich klassische Grundverständnis vom Kleidungsstück Hemd als solches verstößt.
Letzteres (und Ersteres natürlich erst recht) kann ich auch gut nachvollziehen. Ich mag so etwas eigentlich auch nicht. Aber der Kompromiss funktioniert für mich derzeit unter dem Strich. Da bin ich aktuell pragmatisch. Und es ist für mich natürlich auch insoweit ein Kompromiss, weil ich diese Hemden nicht mit Krawatte tragen kann. Allerdings einer, der mich nicht sonderlich einschränkt.
Die Alternativen dazu wären für mich, einen anderen Anbieter zu suchen, bei dem alles passt (schwierig) oder mehr Geld auszugeben - objektiv betrachtet letztlich für eine „Funktion“, die ich nicht brauche.
Ich muss natürlich auch zugestehen, dass diese Sichtweise und Kompromissbereitschaft auch meinem derzeitigen kleidungstechnischen Entwicklungsstand und der damit einhergehenden Prioritätensetzung geschuldet ist. Ich kann und will derzeit nicht überall die Perfektion suchen. Je weiter ich mich insoweit entwickeln werde, umso weniger werde ich diese Kompromisse sicherlich eingehen wollen.
Du kannst diese Hemden am Hals nicht schließen, das sieht auch jeder und es sieht merkwürdig aus. Wenn die Hosen 20cm zu kurz sind und ansonsten gut passen, kann man sie natürlich technisch tragen, weil sie ja den größten Teil des Körpers gut bedecken und der Rest ist halt ein Kompromiss. Ich denke, Du verstehst, was ich meine, das ist vielleicht ein deutlicheres Analogon.
Jeder macht hier Kompromisse, das ist überhaupt nichts Schlimmes, sondern bewusster, von Abwägung und reiflicher Überlegung geprägter Umgang mit der Materie. Es mag Leute geben, die sich ihr ganzes Leben bis hin zur Unterwäsche bespeaken
, einfach weil sie's können und auch den ungeheuren Zeitaufwand dafür gerne investieren, und selbst die werden nie Perfektion erreichen, weil es Perfektion nicht gibt. Auch beim Besten und Feinsten fällt einem immer irgendwas auf, wo noch Luft nach oben ist, das liegt einfach daran, dass sich mit dem gewohnten Umgang mit höherwertigen Artikeln in dem jeweiligen Bereich auch der Maßstab entsprechend nach oben verschiebt.
Das Wichtige ist, dass man keine Kompromisse macht, die einen in der Weiterentwicklung einschränken, und ein schlechter, sofort ins Auge stechender Passformkompromiss ist so einer. Man wird an einem so eingeschränkten Kleidungserlebnis halt nicht den Spaß an der Materie entwickeln, der einen auf dem Weg weiter treibt.
Ob man das überhaupt will, ist natürlich eine sehr persönliche Entscheidung. Hier versammeln sich ja Herren mit ganz unterschiedlichen Motivationen für diese Art von Kleidung. Manche möchten einfach nur ein kleines bisschen besser aussehen als der Typ am Nachbarschreibtisch im Büro, manche haben von Jugend an Spaß an Kleidung, an Stoffen, an Gestaltung, manche sind in ihr Spiegelbild verliebt und wieder andere wollen nur mit teurer Markenkleidung und anderem Lifestyle ein bisschen flexen. Das sind alles legitime menschliche und im Ergebnis auch das Forum als Ganzes bereichernde Gründe, hier zu sein, und nicht alles bringt einen zwangsläufig dazu, sich durch Lernen weiter entwickeln zu wollen.
Deswegen habe ich volles Verständnis dafür, dass nicht jeder jeden (meist kostspieligen
) Verfeinerungsschritt von Anfang an mitgehen will. Auch bei der Passform gibt es Freiheitsgrade, da ist nicht das eine millimetergenaue Pattern, das richtig ist und alles andere falsch. Aber wenn man den Hemdkragen nicht mehr schließen kann, ist da eine Grenze überschritten (genauso wie bei viel zu weiten Halsringen bei Sakkos, viel zu engen Hosen, Schuhen mit grandcanyon-artigen schiefen Gehfalten etc.), die einen selber beschränkt. Und das betrübt dann halt jeden, der auf dem Weg schon etwas weiter gegangen ist und der durch Erfahrung auch seinen Maßstab für das Machbare enger gefasst hat.
Anderes Beispiel:
Ich trage nun seit ein paar Jahren verstärkt klassische Schuhe, habe aktuell noch meine Erstausstattung der Einstiegsklasse und trage meine Schuhe mit Ledersohle allesamt mit einer Gummihalbsohle.
Die Atmungsaktivität ist geschmälert (zumindest in der Theorie) und es ist in gewisser Hinsicht eine Missachtung dieses klassischen Schuhaufbaus und seiner Tradition. Unschön. Trotzdem überwiegt für mich derzeit der daraus folgende günstigere Unterhalt für diese vergleichsweise günstigen Schuhe.
Sollte hier irgendwann ein Austausch erforderlich sein, werde ich schauen, ob ich Schuhe eines höheren Levels finde, die mir mindestens genauso gut passen wie die aktuell besten. Wenn ja, kann ich mir durchaus vorstellen, dass ich dann die „Nachteile“ des Laufens auf der Ledersohle eingehe - einfach, weil es schöner ist und ich dann bereit bin, hier auch mehr in den Unterhalt zu stecken.
Das ist ein Wartungskompromiss, den ich selber nicht mache (ich habe getrennte Sets von Schlechtwetter- und Schönwetterschuhen und damit einhergehend auch eine große Rotation), aber grundsätzlich für machbar halte. Das ist was anderes als geduldete schwere Passformprobleme.
Ich wünsche Dir einen schönen Samstag!
Den wünsche ich Dir natürlich auch!