German tailoring, as per B. Roetzel

Nichts laege mir ferner als so eine Schlussfolgerung ! Selbstverstaendlich laesst das Aussehen des Traegers in aller Regel keine Rueckschluesse auf die Qualitaet des Massschneiders zu.

Lieber Oxford,

das verstehe ich nun wirklich nicht.

Wie ich schon in meiner vorherigen Erwiderung auf diese Passage in Herrn Kueblbecks Antwort geschrieben habe, kann ich mir keine endgültigere Rechtfertigung für den Gang zum Maßschneider vorstellen als dessen Fähigkeit, mich mit seinem Produkt besser aussehen zu lassen. Warum sonst sollte ich für ein Jackett 2500 Euro ausgeben, wenn ich doch eins für 59 Euro bei H&M bekomme?

Mir scheint, daß eben das Vergessen dieses letztendlichen Ziels zu den teilweise arg esoterischen und gelegentlich geradezu absurden Detaildiskussionen führt über die optimale Fadendicke der idealen Knopflochseide und die Frage, ob nun der Innenknopf der Hose unbedingt über Kreuz oder notfalls auch im parallelen Stich angenäht sein kann. Zumindest für mich ist bei allem Respekt vor und aller echten Begeisterung über hervorragende Handwerksarbeit diese Fixierung auf die Details der Handwerkskunst ein Ausdruck für den Mangel an Verständnis für das große Wesentliche, für das "big picture", wie es im business speak gerne genannt wird. Oder anders ausgedrückt: Technische Kennerschaft ersetzt nicht Stilempfinden - erstere ist nicht einmal Bedingung für letzteres und kann ihm gelegentlich sogar im Weg sein.

Wenn ich jedoch "besser Aussehen" als höchstes Ziel habe, wie kann dann der Schneider, der diesem Ziel am nächsten kommt, nicht zumindest für mich der beste Schneider sein?

Herzliche Grüße,

dE
 
Mir scheint, daß eben das Vergessen dieses letztendlichen Ziels zu den teilweise arg esoterischen und gelegentlich geradezu absurden Detaildiskussionen führt über die optimale Fadendicke der idealen Knopflochseide und die Frage, ob nun der Innenknopf der Hose unbedingt über Kreuz oder notfalls auch im parallelen Stich angenäht sein kann.


Andererseits scheint mir auch das Ringen um immer exotischere, obskurere Hersteller mittlerweile eine gewisse Absurdität angenommen zu haben. dE

Ich glaube dass, fuer viele, genau diese zwei Punkte der eigentliche sinn von Bespoke ausmachen.

Ich personlich habe ein kleiner Schneider ums eck probiert, ueber 2 Jahre 3 Anzuge und ein Sakko. Ein nette Kerl, immer viel zeit fuer mich, wir haben lange gequatscht, details diskutiert usw, aber ein richtig guter Anzug habe ich erst bei Pooles bekommen.

Letzten Endes, plaude ich lieber "nur" 15 Minuten mit Mr. Parker und bekomme ein richtig guter Anzug als 2 Stunden mit der Kleine Schneider und etwas halb gebackenes bekommen, auch wenn der Poole Anzug mehr kostet.

Ueber die Jahren habe ich erfahren dass egal was mann kauft, ob Anzug, Auto oder Badezimmer, kommt jemand und sagt, ich kenne einer der es viel besser und billiger hatte machen konnen. Aber so oft wie ich dass gehoert habe erlebt habe ich es noch nie. Vezeih mir wenn ich diese ganze wunderbare unbekannte Deutscher Kleinbetriebe gegenueber ein Bisschen skeptisch bin.

Rob
 
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Mir scheint, daß eben das Vergessen dieses letztendlichen Ziels zu den teilweise arg esoterischen und gelegentlich geradezu absurden Detaildiskussionen führt über die optimale Fadendicke der idealen Knopflochseide und die Frage, ob nun der Innenknopf der Hose unbedingt über Kreuz oder notfalls auch im parallelen Stich angenäht sein kann. Zumindest für mich ist bei allem Respekt vor und aller echten Begeisterung über hervorragende Handwerksarbeit diese Fixierung auf die Details der Handwerkskunst ein Ausdruck für den Mangel an Verständnis für das große Wesentliche, für das "big picture", wie es im business speak gerne genannt wird. Oder anders ausgedrückt: Technische Kennerschaft ersetzt nicht Stilempfinden - erstere ist nicht einmal Bedingung für letzteres und kann ihm gelegentlich sogar im Weg sein.

Wenn ich jedoch "besser Aussehen" als höchstes Ziel habe, wie kann dann der Schneider, der diesem Ziel am nächsten kommt, nicht zumindest für mich der beste Schneider sein?

Herzliche Grüße,

dE

Guten Morgen dE,

ich glaube ich weiß worauf Sie hinauswollen und ich bin da ganz Ihrer Meinung. Ich kann mich noch gut an diese fast in religiösem Eifer geführten Diskussionen über die Vorteile eines Fiddle Back Waist in den Schuhforen erinnern. Ob ein Schuh, oder Anzug etc. einfachen Anforderungen an das wesentliche des auf Maßfertigen, nämlich das auf die persönlichen Bedürfnisse des Trägers hingearbeitete Stück, genügt, wurde längst hinter sich gelassen. Um bei der Maßschneiderei zu bleiben ich sehe hier, bei aller Liebe für Nostalgie etc. in erster Linie zwei wesentliche Aspekte: Die individuell abgestimmte Passform, was darunter jeder auch im einzelnen verstehen mag und sozusagen das Mittbestimmungsrecht bei der Gestaltung des Werkstückes. Das Handwerk ist eigentlich nur Mittel zum Zweck und dient in gewisser Weise vielleicht noch der optischen Aufwertung. Auf diese Punkte reduziert verliert das Ganze in meinen Augen auch ein wenig den Nimbus des luxuriösen und elitären, ob die Werkstatt jetzt in der Savile Row liegt oder in einer Seitengasse in jeder beliebigen Stadt liegt, ist dann ziemlich egal, weil es auf den Selbstzweck reduziert wird. Folgt man der Maxime weniger ist mehr und ist man bereit sich seine Garderobe langsam aufzubauen, würde das Ganze auch letztendlich für eine breitere Personengruppe erschwinglich werden. Vielleicht gibt es tatsächlich einen Trend zur Verlangsamung des Konsums und vielleicht kommt ein Teil davon auch bei den heimischen Schneidern an, das Interesse jedenfalls scheint zuzunehmen.

lg AW
 
Andererseits scheint mir auch das Ringen um immer exotischere, obskurere Hersteller mittlerweile eine gewisse Absurdität angenommen zu haben. Je mehr "Preppy", "Trad" und "Vintage" Blogs, Foren und sonstige Online-Ergüsse ich mir anschaue, umsomehr komme ich nicht umhin, auch die vermeintliche Rückkehr zur klassischen Mode als eine sicher sehr bald vorübergehende Hipster-Marotte zu erkennen. Hier heißt es also tagesaktuell sein für denjenigen, der auf diesen Zug erfolgreich aufspringen will -nicht unbedingt eine Vorzeigequalität deutscher Schneider.

bedauerlicherweise lässt sich die ausgangsdiskussion und das vorbeilassen von aktuellen strömungen sehr passgenau auf die österreichische schuhmachergilde applizieren.

das hat grossteils mit den verknöcherten strukturen des kammersystems zu tun.
 
Lieber Oxford,

das verstehe ich nun wirklich nicht.

Wie ich schon in meiner vorherigen Erwiderung auf diese Passage in Herrn Kueblbecks Antwort geschrieben habe, kann ich mir keine endgültigere Rechtfertigung für den Gang zum Maßschneider vorstellen als dessen Fähigkeit, mich mit seinem Produkt besser aussehen zu lassen. Warum sonst sollte ich für ein Jackett 2500 Euro ausgeben, wenn ich doch eins für 59 Euro bei H&M bekomme?
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Wenn ich jedoch "besser Aussehen" als höchstes Ziel habe, wie kann dann der Schneider, der diesem Ziel am nächsten kommt, nicht zumindest für mich der beste Schneider sein?

Da scheine ich mich missverstaendlich ausgedrueckt zu haben. Selbstverstaendlich ist das eigentliche Ziel eines Massanzugs, den Traeger in der fuer ihn vorteilhaftesten Weise aussehen zu lassen. Wenn dem nicht so waere, haette eine individuelle Anfertigung wahrscheinlich kaum noch eine Berechtigung.

Die von Herrn Kueblbeck Reduktion meiner Aussage auf die Essenz "berühmter Kunde => guter Schneider, bzw. besser aussehender Kunde => besserer Schneider" hat damit aber nichts zu tun. Beruehmte Kunden haben noch keinen Schneider gut, sondern hoechstens auch beruehmt gemacht; und die Tatsache, dass ein Schneider 1854 Lord Cardigan im Felde die Uniformen schneiderte oder Hoflieferant des Maharadscha von Jaipur war, laesst ohne Frage keine Rueckschluesse auf die heutigen Produkte zu.
Ebenso kann natuerlich der Schneider das Aussehen eines Kunden nur in beschraenktem Rahmen beeinflussen. Helmut Kohl wird auch mit bester Schneiderarbeit ein dicker alter Mann, und Lapo Elkann koennte wahrscheinlich noch in Ballonseide einen Trend ausloesen. Entsprechend ist das kuriose Zitat aus der bekannten BBC-Dokumentation ueber die Row, dass der Gloeckner von Notre Dame durch einen Anzug von Anderson & Sheppard zu Justin Timberlake wuerde, nicht nur eine grobe Uebertreibung, sondern taeuscht ueber die Tatsache hinweg, dass man eben keine Wunder erwarten kann.

Nichtsdestrotrotz muss ich M des Esseintes beipflichten, dass der Schneider, der mich im Rahmen meiner Moeglichkeiten am besten aussehen laesst, auch der fuer mich beste Schneider ist, egal wie er die Knoepfe vernaeht oder das Revers pikiert.
 
Werte Stilfreunde,

dies ist wirklich eine sehr interessante Diskussion und nahezu jeder Beitrag birgt für mich nachvollziehbares. Trotzdem möchte ich nochmals verdeutlichen, dass ich mitnichten der Ansicht bin, deutsche Schneider wären irgendwie schlechter als andere. Im Gegenteil gibt es hier sicherlich genau soviele kompetente Schneider wie anderswo und oftmals ist es ja auch Ansichtssache! Der Chef meines besten Freundes lässt nur bei Knize arbeiten und laut meines Freundes (Vorsicht ich zitiere nur und gebe keine eigene Meinung wieder!!!) sind die Anzüge an Langweiligkeit und an Durchschnittlichkeit nicht zu überbieten. Dem Chef gefallen sie aber offensichtlich und wer hat jetzt recht? Genauso verhält es sich mit bekannten Schneidern in London oder Napoli. Derjenige, der "seinen" Schneider gefunden hat, egal ob in oben genannten Städten oder in Bottrop Kirchhellen wird "sein" Stück für das nonplusultra halten und die anderen eben für "miderwertiger"

Ob man nun eine "Manufacturisierung" erkennen kann, mag ich bezweifeln, denn gerade in den Kreisen des sog. "Gutmenschentums" mit nachhaltig erzeugten Lebensmitteln, spielt Kleidung keine vordergründige Rolle. Ich bin IMMER ein Exot, wenn ich meine Eier, meinen Spargel oder was auch immer beim Bauern um die Ecke hole...

Es gibt einen Grundsatz beim Wein (sorry, dass ich schon wieder damit anfange, aber von was anderem habe ich noch weniger Ahnung) der da lautet: Trinke in grossen Jahren kleine Weine und in kleinen Jahren grosse Weine. Wenn man dies nun auf die Maßschneiderei übertrüge, wären die grossen Weine die Bekannten Häuser aus London und Napoli und die kleinen Weine eben der seriöse Handwerker um die Ecke. Und obgleich der kleinere, regionale Handwerker oder Winzer, gleichwertige oder gar bessere Arbeit abliefert, zeigt die Praxis, dass der Verbraucher (egal wie gross oder klein die Zielgruppe sein mag) bei relativer Unwissenheit eher zum "Grossen Namen" greift. Man kann jetzt lange darüber streiten, wie schlimm das ist, aber es ist nunmal Fakt. Ergo folgt für mich, dass die Zielkundschaft für den "regionalen Schneider" sich aus den "Maßkunden" rekrutieren, welche das Besondere im Besonderen suchen. Also ein kleiner Kreis aus einer ohnehin überschaubaren Gruppe. Dabei von einem Trend zu sprechen halte ich für sehr gewagt... aber was nicht ist, kann ja werden und ich würde mich sicher nicht ärgern, wenn ich meine erste "bespoke Erfahrung" hier in Bayern machen könnte... Dann hoffe ich allerdings, dass diese dann positiver sein möge, als meine Regent Erfahrung. Der Stoff und die Verarbeitung sicher auf höchstem Niveau. Ob nun höher als bei Kiton oder Brioni wurde an anderer Stelle diskutiert und lässt sich für mich nicht abschliessend beantworten. Von der Passform allerdings trug ich noch nie ein Sakko, welches mich so alt und so f*** gemacht hat. Wenn Regent mal ebenso sexy präsentiert würde, wie Kiton oder Brioni, wäre der erste Schritt in die richtige Richtung getan. Dann wären auch deutsche Maßschneider sicherlich eine relevante Alternative im Bewusstsein der Kunden. Leider hat sich da auch unter italienischer Führung nichts verbessert.

Einwenig erinnert mich diese Diskussion auch an die frühen 90er Jahre. Es war die Hoch Zeit von Prosecco und Pinot Grigio. Während die deutschen Winzer lamentierten, dass niemand ihre Weine mit dem Geschmack aus den 50er Jahren mag, änderten die Österreicher etwas. Bauten andere Rebsorten an und bauten ihre klassischen Rebsorten "moderner" aus, nach dem Motto, "Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler". Damit sicherten sie sich langfristigen Erfolg. Dies taten die deutschen Winzer erst mit einiger Verzögerung und nun ist der Erfolg da und er wird auch hier nachhaltig sein!

Wenn man einen Trend versucht herbeizuschreiben, wird er nur von kurzer Dauer sein. Eine Verbesserung für die deutschen Schneider sehe ich nur durch Taten. Seien es für den Anfang reizvolle Schaufenster, die neugierig machen und wer in der heutigen Zeit keinen Wert auf eine aktuelle und schöne Homepage legt, wird es auch schwer haben.

Aber das alles ist nur meine bescheidene Meinung.

Liebe Grüße

Sandro
 
Entsprechend ist das kuriose Zitat aus der bekannten BBC-Dokumentation ueber die Row, dass der Gloeckner von Notre Dame durch einen Anzug von Anderson & Sheppard zu Justin Timberlake wuerde, nicht nur eine grobe Uebertreibung, sondern taeuscht ueber die Tatsache hinweg, dass man eben keine Wunder erwarten kann.

Wobei ohnehin zu diskutieren wäre, ob diese Verwandlung als Erfolg gelten könnte.

dE
 
… Ob man nun eine "Manufacturisierung" erkennen kann, mag ich bezweifeln, denn gerade in den Kreisen des sog. "Gutmenschentums" mit nachhaltig erzeugten Lebensmitteln, spielt Kleidung keine vordergründige Rolle. …

Dieser Begriff ist von denjenigen erfunden worden, die letzlich nur vom eigenen schlechten Gewissen ablenken wollen - deshalb ist es mir rätselhaft, warum so ein Begriff hier Verwendung findet.

In »diesen Kreisen« spielt Kleidung sehr wohl eine große Rolle, aber eher im Sinne von Nachhaltigkeit. Das Kaufverhalten bzgl. Bekleidung »dieser Kreise« kann man sich eher zum Vorbild nehmen, als daß man es kritisieren müßte. Aber dann kann man auch kein T-Shirt mehr für 9,95 von H&M kaufen - das ist dann der Preis des Nachdenkens.

Beste Grüße
Klaus
 
Dieser Begriff ist von denjenigen erfunden worden, die letzlich nur vom eigenen schlechten Gewissen ablenken wollen - deshalb ist es mir rätselhaft, warum so ein Begriff hier Verwendung findet.

In »diesen Kreisen« spielt Kleidung sehr wohl eine große Rolle, aber eher im Sinne von Nachhaltigkeit. Das Kaufverhalten bzgl. Bekleidung »dieser Kreise« kann man sich eher zum Vorbild nehmen, als daß man es kritisieren müßte. Aber dann kann man auch kein T-Shirt mehr für 9,95 von H&M kaufen - das ist dann der Preis des Nachdenkens.

Beste Grüße
Klaus

Also wenn dies das Einzige ist, was Sie aus meinem Post herauslesen, dann habe ich entweder undeutlich formuliert, was durchaus vorkommen kann, oder Sie haben den Absatz nicht verstanden.

Erstens habe ich das Wort Gutmenschen in Anführungszeichen gesetzt und zweitens habe ich mich im selben Absatz ebenfalls als Gutmensch geoutet, als ich schrieb, dass ich viele meiner Lebensmittel beim Bauern um die Ecke kaufe. Ich habe mitnichten jemanden beleidigt!

Es geht auch im Bespoke Thread nicht um H&M T-Shirts, aber ich kenne sehr viele, die Lebensmittel so wie ich aus nachhaltiger Produktion kaufen, sich aber für deutsche Maßschneiderei oder klassische Kleidung im allgemeinen nicht die Bohne interessieren.

Falls ich mich missverständlich ausgedrückt habe, so hoffe ich hiermit abhilfe geleistet zu haben.

Liebe Grüße

Sandro
 
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