Aus einem 50/60er Jahre Gastgeber-Büchlein
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Pflichten der Eingeladenen
Grimod de la Reynière (ein sehr berühmter französischer Feinschmecker 1758 - 1638, dessen oft exzentrische Gastmähler weltberühmt wurden), stellte in seinem Handbuch für Gastgeber unter anderem folgende Grundsätze auf:
es gibt nur 3 wirkliche Gründe, die einen Eingeladenen berechtigen, abzulehnen, und zwar:
schwere Krankheit, Einkerkerung und Tod. Er verlangt aber in jedem Falle das Herbeibringen der entsprechenden schriftlichen Belege, also Krankenschein, Haftbefehl oder Totenschein(!).
(...)
Der ideale Gast - gilt natürlich auch für die Dame - kommt pünktlich. Allerdings kommt er nicht mit dem Glockenschlag (schließlich muß sich die Hausfrau noch in Ruhe die Nase pudern), sondern - so zum Essen eingeladen - etwa 5-10 Minuten nach der angegebenen Zeit. Wenn es sich um eine Tee- oder Cocktail-Party handelt, dann kommt es nicht genau darauf an.
Falls der Idealgast Blumen mitbringt, dann überreicht er sie ohne Papier der Hausfrau, bei größeren Anlässen kann er sie auch hinterher mit einem höflichen Dankeswort schicken.
Aber der Ideal-Besucher läßt sich auch mal was anderes einfallen als nur Blumen oder Bonbonnieren.
Feine Biscuits in dekorativen Geschenkpackungen, Papierservietten mit den Initialen der Hausfrau, eine kleine Flasche "Asbach Uralt", kleine Bücher wie z.B." Band 1: Schön garniert" oder Band 2: Kalte Platten", eine raffinierte kleine Neuheit für den Haushalt oder irgendeine Aufmerksamkeit, die keineswegs wie "Bezahlung für die Einladung" aussieht, aber sorgfältig ausgesucht wurde.
Und am Tag nach der Einladung sagt der Idealgast der Hausfrau telefonisch noch einmal "Merci für den netten Abend".
Der mustergültige Gast hilft den Gastgebern unauffällig bei der Erfüllung ihrer Pflichten, tanzt eher mit dem Mauerblümchen als mit Umworbenen, bringt früh fortgehende alleinstehend Damen zwischendurch unauffällig nach Hause, auch wenn sie nicht mehr in der Jugend der ersten Maienblüte stehen, überwacht den Plattenspieler, hilft der Hausfrau Platten herumreichen und auch mal - wenn´s nötig ist - Gläser spülen oder Aschenbecher ausleeren.
Er bzw. sie hört mit konzentrierter Aufmerksamkeit auch den langweiligsten und langatmigsten Ausführungen geborener Dauerredner zu und - Wunder über Wunder, bleibt doch liebenswürdig.
Wie er denn überhaupt so viel Liebenswürdigkeit und Fröhlichkeit ausstrahlt, daß er die ganze übrige Gesellschaft damit unwiderstehlich ansteckt. Selbiges wäre - Geschlecht ist hier Schall und Rauch - der ideale Gast, der allerdings nur ein ...Wunschtraum ist."