Fritz J. Raddatz has left the building...

Es wird wohl stilistisch-referierend in einem "Tod in Venedig"/Aschenbach vs. Tadzio-Kontext stehen, Bedenkenträgerei mal außen vor gelassen...;)
 
De mortui nihil nisi bene.
Der Tod eines Menschen ist ganz gewiss nicht der richtige Zeitpunkt um über ihn herzuziehen.
Diesem Verstorbenen selbst wird eine ehrlich geäußerte Meinung mehr wert gewesen sein als höfliche Zurückhaltung der Form halber. Immerhin kann vermutlich jeder hier an Raddatz viel Positives finden, unabhängig davon, wie man zu ihm steht. Er war eine polarisierende große Persönlichkeit, über manch anderen gäbe es gar nicht so viel zu sagen und meinen.
 
Diesem Verstorbenen selbst wird eine ehrlich geäußerte Meinung mehr wert gewesen sein als höfliche Zurückhaltung der Form halber. ...


Ja, womöglich, aber die Ehrlichkeit ist wenig wert, wenn sie auf völliger Ahnungslosigkeit gründet: Wenn von Literatur als Kunsthandwerk geredet und vorgeschlagen wird, ein Kritiker solle mal "was Richtiges" machen, ist der abschätzige Ton nicht kennerhaft, sondern ignorant.
Dazu war Raddatz ja nicht wenig erfolgreich als Verlagsmanager, Redakteur, Buchautor und Hochschullehrer – lauter "richtige" Berufe, in den ein gewisses Maß an Organisation, Disziplin und Führungsqualität unverzichtbar ist ... genau wie im Beruf des Literaturkritikers.
 
Wenn von Literatur als Kunsthandwerk geredet
Das tut mir leid, dass das so rübergekommen ist. Ich meinte natürlich die Literaturkritik als Kunsthandwerk. ;) Das war wirklich etwas abschätzig gemeint, dann nämlich, wenn sich der Kritiker dem Künstler überlegen oder - schlimmer - als dessen Wegbereiter fühlt und zwar nicht als Marketer (was ja stimmen würde und auch seine Berechtigung hat), sondern als integraler Bestandteil der Kunst.

Im Übrigen wollte ich hier auch nicht als Kenner gelten, sondern nur meiner Meinung Ausdruck verleihen. Niemand hätte dafür mehr Verständnis aufgebracht als Raddatz selbst. :)
 
Raddatz war sich der Narben seiner Kindheit und Jugend, die ihn im Guten wie im Schlechten zu dem Mensch gemacht haben, der er eben war, sehr bewusst und seine sicherlich auch dem Milieu geschuldete Eitelkeit und Kollegenhäme hat er sich oft genug selber unter die Nase gerieben. Ich blättere gerade in ein paar Suhrkamp-Bändchen der ZEIT-Gespräche (mit vielen schönen Beispielen dafür, wie ein Literaturkritiker Literaten Bemerkenswertes entlocken kann, wenn er ihnen quasi als idealer Leser auf Augenhöhe begegnet) und denke nur, da würden aktuell viele Literaturstudierende im achten Semester nicht mitkommen, weder intellektuell, noch sachlich.
 
I beg to differ - ich habe ihn in Hamburg einmal kennenlernen dürfen und schon damals erschien er mir als unauthentischer und selbstgemachter Parvenü, der in der Tat mal "was richtiges machen sollte", nach meinem Dafürhalten was an der frischen Luft mit körperlicher Betätigung, und der mit seinem Namedropping und seinem Kleiner-Mann-ganz-Groß-Demonstrativkonsum einfach nur widerwärtig ist. Meine Großmutter würde sagen "Die ganze Richtung passt mir nicht", und die gleiche Ecke kommt dann noch Michel Friedmann.
 
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