Erfahrungen mit "Sciamat"

Hat leider etwas gedauert, bis ich die Zeit dazu gefunden habe aber hier noch einige weitere Gedanken zu meinen Erfahrungen mit Sciamat.

Ich hatte zuvor erwähnt, dass der erste Anzug noch einmal in einigen Details angepasst wurde. Das bezog sich zum Beispiel auf die Bewegungsfreiheit im Bereich der Armkugel. Der erste Anzug wurde nach den Änderungen sehr gut. Ich will aber vorausschicken, dass der zweite Anzug sicher besser geworden ist. Ich hatte genügend Zeit meine Eindrücke mit dem ersten Anzug zu sammeln, ich habe ihn getragen und wieder und wieder getragen. Diese Eindrücke habe ich notiert und schließlich mit einigen erläuternden Fotos Nicola per email zukommen lassen und mit ihm dann via skype einiges dazu ausgetauscht.

Bei meinem nächsten Besuch in Bitonto, ging es bereits um die Durchsprache für den zweiten Anzug. Ich hatte aber auch den ersten dabei und die kleineren Änderungen wurden sofort, während unseres Gesprächs, in der Schneiderei umgesetzt. Mein Schnittmuster wurde dann entsprechend angepasst und ich bekam am Schneidetisch und mit Kreide auf Stoff erklärt, welche Anpassungen beim nächsten Exemplar berücksichtigt werden würden. Für mich waren dies ja immer noch meine ersten Erfahrungen mit der Maßschneiderei, und nicht zuletzt bei diesem Optimierungsprozess habe ich die Unterschiede zu mir bekannten Maßkonfektionären erlebt.

Jede Einzelheit, jedes Maß ist hier änderbar. Das Ganze ist aber auch und vor allem ein gemeinsamer Prozess. Der Schneider hat natürlich selbst einen Eindruck und kann beurteilen, ob der Anzug nach allgemeinen Bewertungsmaßstäben - vielleicht auch nur nach seinen eigenen - passt oder auch nicht. Um den Anzug aber wirklich zu meinem Anzug zu machen, ist der Schneider darauf angewiesen, dass ich meine Eindrücke klar beschreiben kann. Beim ersten Anzug war das Ergebnis ein gutes. Es lieferte aber für beide Seiten auch viele nützliche Informationen und deshalb wurde der zweite Anzug dann auch sehr viel besser und ist beim von mir gefühlten Optimum. Danach kam noch eine Jacke und diese war, vom ersten Moment an, meine Jacke.

Bei diesem Prozess habe ich auch unterschiedliche Ausführungsvarianten probiert. Während der erste Anzug für Sciamat-Verhältnisse relativ formal ausgeführt ist - d.h. gefüttert und mit einer mittelschweren Einlage (Leinen und doppelt Leinen im Brustbereich), natürlich ohne Schulterpolster aber nur sehr dezente „ricciatura“ an der Schulter - ist der zweite Anzug gänzlich ungefüttert und nur noch mit einer einfachen Leineneinlage ausgeführt. Die Ärmel ließ ich mit deutlich mehr „ricciatura“, also „puffiger“, ausführen. Die dritte Jacke wurde schließlich ganz ohne Einlage verarbeitet. Diese Auswahl hängt natürlich wesentlich vom eigenen Geschmack, dem gedachten Einsatz des Stücks und auch von der Stoffwahl ab. Dies vorausgeschickt bin ich aber sehr beeindruckt davon, wie viel „Form“ auch die gänzlich „leere“ Jacke hat und ich führe dies vor allem auch auf die gute Schnitttechnik und Verarbeitung zurück.

Mein aktuelles Projekt ist ein für formale Anlässe geeigneter Anzug aus Wolle-Mohair. Ich werde eine neue, sehr leichte Leineneinlage versuchen und (wahrscheinlich) eine halbe Fütterung mit einer wiederum leichten Bembergseide wählen. Zudem überlege ich noch die Anschaffung einer Jacke aus Fresco, bei der ich dann mehr Akzente, wie eine Verarbeitung gänzlich ohne Einlage, drei aufgesetzte Taschen und wieder stärker betonter „ricciatura“ haben möchte.

Zu guter Letzt ein kleines und persönliches Resümee: Ich kann nicht auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit maßgeschneiderter Kleidung verweisen und Vergleiche mit unzähligen anderen Maßschneidern anstellen. Jedoch habe ich großen Spaß am Thema und versuche auch zu verstehen, was dabei handwerklich vor sich geht.
Aktuell habe ich einen Anzug bei einem anderen Schneider in Auftrag. Keinesfalls, weil ich bei den Ricci Brüdern nicht voll zufrieden gestellt worden wäre - im Gegenteil. Ich wollte gern eine weitere, andere Erfahrung machen, die im Übrigen noch nicht abgeschlossen ist.

Von der Arbeit von Valentino und Nicola Ricci bin ich sehr beeindruckt, und ich habe die beiden als faire und professionale Partner kennengelernt. Die beiden machen Ihre Arbeit sehr ernsthaft und konsequent aber auch mit sehr viel Freude, die sie auch zu vermitteln in der Lage sind. Ein Besuch in der Schneiderei in Bitonto ist für Männer mit einer Schwäche für das Sartoriale ein wirkliches Erlebnis! Die Arbeit von Sciamat orientiert sich natürlich an den Vorstellungen des Kunden. Sie hat aber auch eine besondere Note, die wiedererkennbar ist. Und ich mag diese besondere Note sehr.

Eine Anfertigung bei den Riccis ist nicht das vielfach gesuchte Geheimtipp-Schnäppchen. Allerdings sollten sich ernsthafte Interessenten auch nicht von hier bereits gemachten Zahlenspielen abschrecken lassen. Die Preise hängen naturgemäß sehr von der persönlichen Auswahl ab. Sie bewegen sich etwa in dem Bereich, der auch von deutschen Maßschneidern zu erwarten ist. Dazu kommen natürlich noch entsprechende Kosten für die Termine in Apulien oder in Mailand und jeder kann für sich beurteilen, ob man hierbei Angenehmes und Nützliches unter Umständen verbinden kann oder auch nicht.

Für genauere Angaben, kann ich Interessenten nur empfehlen, mit Nicola Ricci zu mailen oder zu telefonieren. Die eigenen Vorstellungen sollte man dabei so genau wie möglich beschreiben. Nicola spricht recht gut englisch und wird auf alle Fragen eingehen. Dabei können auch Maß-Nahmen mit Valentino Ricci in Mailand abgestimmt werden. Wer wirklich ernsthaft interessiert ist und es möchte, kann mir auch gerne eine PN zukommen lassen und kann mit Nicola sprechen und eine Kontaktaufnahme anbahnen. Das erleichtert vielleicht den ersten Kontakt.

LG, p
 
@pierino

Dafür reicht der Danke-Button ja gar nicht aus. Deshalb noch einmal vielen, vielen Dank für die sehr ausführlichen, informativen und unterhaltsamen Berichte.

Die von dir gezeigten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit sind auch jedes mal wieder eine Augenweide.
 
Allerdings sollten sich ernsthafte Interessenten auch nicht von hier bereits gemachten Zahlenspielen abschrecken lassen. Die Preise hängen naturgemäß sehr von der persönlichen Auswahl ab.

Super Resumee, das hilft sicher weiter!
Der Charme liegt sicher in der besonderen "Note" die eleganter rüberkommt als was viele andere (sehr bekannte...) Schneider häufig liefern.


Falls das obige auf meine Beitrag bezogen war möcht ein nur einfelchten, dass es sich nicht um "Zahlenspiele" handelte, sondern Tatsachen, ebenso wie die Preise der Preisliste die in Mailand vorgelegt wurde Einstiegspreise für einen zweiteiligen Anzug waren.
 
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