Erfahrungen mit "Sciamat"

Allora, wie versprochen:
Manches von dem, was ich hier berichten kann, habe ich in anderen Posts schon geschrieben oder angedeutet. Aber um einen verständlichen Zusammenhang darzustellen, fange ich vorne an. Ich hatte einige Erfahrungen mit MTM gesammelt und wollte auch einmal die Erfahrung einer wirklichen Maßanfertigung machen. Auf Sciamat bin ich gestoßen, weil ich irgendwo im Internet etwas von Ihnen gelesen hatte, später entdeckte ich den Sciamat blog und das eine oder andere Stück von Grimod, das von Sciamat gefertigt worden war. Ich habe Grimod, dann einmal via email kontaktiert und er war so freundlich, mir in einigen Gesprächen einige Details zur Abwicklung zu beschreiben, die mir den ersten Anlauf auf jeden Fall erleichterten.

Ich komme selbst aus Apulien, wo die Ricci Brüder in Bitonto Ihre Sartoria haben. Bitonto ist eine hübsche Kleinstadt, die nur ca. 8 km vom Flughafen Bari entfernt ist. Die Riccis hatten bislang auch regelmäßige, monatliche Maßtage in einem Mailänder Hotel, sind aber gerade dabei ein seit längerem geplantes Projekt umzusetzen und eröffnen in Mailand einen permanenten Show-Room.
Die Sartoria in Bitonto ist erstaunlich klein. Es gibt sehr konkrete Pläne für einen Umzug in ein größeres Lokal in Bitonto und der ist wohl auch erforderlich um die steigende Nachfrage auch abzuarbeiten. Die Riccis haben bemerkenswerten Erfolg in Asien und haben einen guten Kontakt zu einem koreanischen Einkäufer, für den sie eine Kollektion fertigen, die allerdings eher Richtung RTW / MTM geht. Diese Linie wird mit weniger Handarbeit hergestellt, als das mittlerweile unter dem Namen „Valentino Ricci“ laufende bespoke.

Ich bin jedes Jahr 2-3 mal in Apulien und deshalb ist die Anreise für mich kein zusätzlicher Aufwand. Den ersten Termin habe ich telefonisch mit Nicola Ricci abgestimmt. Nicola spricht recht gut englisch und eine Verständigung ist somit auf jeden Fall ohne Probleme möglich. Allerdings ist Nicola nicht der „Kreative“. Er kümmert sich um die Außendarstellung, viel Organisatorisches, Kontakt zu Kunden und Händlern. Er arbeitet aktuell am neuen Web-Auftritt usw..

Wenn es um das „Eingemachte“, bzw. um das bespoke geht, ist aber Valentino der entscheidende Ansprechpartner. Valentino hat mit dem Englischen seine Probleme, was für Nichtitaliener oder nicht italienisch sprechende Kunden schade ist, denn sie lernen nicht die vielen sehr interessanten Facetten dieses Mannes kennen. Er ist ein sehr intelligenter und sehr vielseitig interessierter Mensch. Eine Unterhaltung mit ihm macht wirklich große Freude.
Valentino ist kein ausgebildeter Schneider sondern Anwalt, hat sich aber im Laufe vieler Jahre sehr fundierte Kenntnisse angeeignet und ist nicht nur der Stratege sondern auch der Kreative, Designer des Unternehmens. Er näht nicht, führt aber die Kundengespräche um festzulegen, was es werden soll, er nimmt die Maße und macht auch die Zuschnitte für die Maßanfertigungen. Es gibt schon so etwas wie einen Hausstil, aber grundsätzlich ist alles möglich. Vor allem Nicola trägt seine Jacken extrem tailliert, Valentino ist da etwas gemäßigter. Valentino liebt halt die Ausführung ohne Schulterpolster, mit leichter oder sogar ganz ohne Einlage. Meiner Meinung nach arbeitet Sciamat aber im Zuschnitt und in der Ausführung so gut, dass auch die Jacken ohne Innenleben absolut sauber sitzen und fallen. Dabei spielt natürlich auch der Stoff eine Rolle. Einige Stoffe sind für diese Ausführung einfach besser geeignet. Valentino hat im Übrigen eine Schwäche für Vintagestoffe und allgemein für Stoffe mit „Griff“ (trifft sicher auf viele Vertreter seines Handwerks zu).

Ich hatte mich für den ersten Anzug (formeller Anzug, grau, worsted, 310g/lfm) für eine Ausführung ohne Schulterpolster, mit leichter Einlage und Innenfutter entschieden. Ich hatte auch von Grimod einen entsprechenden Rat bekommen und würde dieses Vorgehen auch weiterempfehlen.
Wir besprachen bei meinem ersten Anzug, dass ich bei meinem nächsten Besuch (mit einem Aufenthalt von 6 Tagen in Apulien), den Anzug mitnehmen könne. Auf die klassische erste Probe vereinbarten wir dabei zu verzichten, damit alles in den besprochenen 5-6 Tagen fertig gestellt werden konnte.
Deshalb lief die Maßnahme auch etwas anders ab, als vielleicht bei vielen anderen Maßschneidern üblich. Es wurden mir die üblichen Maße abgenommen. Daneben habe ich aber auch ein Musterteil angezogen und es wurden einige Details am getragenen Exemplar sehr konkret abgesprochen. Das war für mich als Anfänger ausgesprochen hilfreich. Ich kannte ähnliches von MTM aber hier ging es sehr viel mehr ins Detail. Wie breit machen wir das Revers, wie führen wir die Kassur aus? Welche Schulterkonstruktion, Ärmel mit Fältelung oder nicht, eher so wie Musterteil A, B oder C? Wie weit sollen die Vorderschöße öffnen? Weite der Hose am Oberschenkel etc., etc. Es wurden also viele Dinge schon beim ersten Gespräch geklärt, die ansonsten vielleicht erst bei der ersten Probe genau miteinander geklärt werden.

Die Wartezeit zwischen diesem ersten Gespräch und der Anprobe ist sicher eine Sache der Absprache und hängt auch von der momentanen Auslastung im Betrieb ab aber 2-3 Monat sollte man auf jeden Fall einkalkulieren.
Bei meinem ersten Anzug war ich also nach einigen Monaten wieder in Bitonto und probierte Anzug und Hose. Anders als bei der erwähnten, klassischen ersten Probe, bei der die Einzelteile nur sehr provisorisch, mit einigen Stichen aneinander geheftet werden, waren bei mir Oberteil, Einlage und Futter bereits miteinander verbunden. Die entscheidenden Nähte (z.B. Ärmel / Schulter) waren aber nicht abschließend ausgeführt und es fehlten noch alle finish-Arbeiten (Knopflöcher und Knöpfe, gedoppelte Nähte etc.). Ich probierte also etwas an, dass nicht mehr in jeder Einzelheit verändert werden konnte (dieses Vorgehen war aber abgesprochen und es war bei der Ausführung alles berücksichtigt worden, was wir vereinbart hatten). Vorteilhaft für mich als Anfänger war, dass die Anprobe so konkret ablief, dass ich genaue Bemerkungen machen konnte. Bei diesem Termin war natürlich Valentino aber auch der Schneidermeister involviert. Einige Änderungen wurden sofort umgesetzt und ich konnte zusehen, wie mein Anzug bearbeitet wurde. Änderungen wurden besprochen, und nach 3 oder 4 Tagen kam ich erneut in die Sartoria. Auch bei diesem Termin gab es noch wenige Korrekturen, die aber sofort umgesetzt wurden und ich nahm den Anzug dann stolz und zufrieden mit.
Ich habe diesen ersten Anzug in den folgenden Wochen und Monaten regelmäßig getragen und nach einiger Zeit stellten sich dann doch noch einige Details heraus, die wir bei einem weiteren Termin, als ich meinen nächsten Anzug besprach umgesetzt haben. Der Schneider ist natürlich auch auf die Aussagen seines Kunden angewiesen und für den Träger wiederum ist es ein gewisser Unterschied, ob z.B. die Jacke in der Schneiderei probiert wird, oder ob er sie im Alltagsgebrauch, nach längerem und mehrmaligem Tragen in den unterschiedlichsten Situationen wirklich gebraucht. Es mag sein, dass dieser Effekt mit zunehmender Erfahrung kleiner wird, weil ich besser weiß, was mir wichtig ist, wie ich herausfinde, ob das Kleidungsstück dem gerecht wird. Ich halte es aber nicht für ungewöhnlich, dass die eine oder andere Änderung auch nach Übergabe des Anzugs noch gemacht wird.

Ich werde meinen Bericht noch fortsetzen und dabei auch die Erfahrungen während meiner zweiten Maßanfertigung beschreiben.

Gruß
p
 
Der Preis unterliegt gewisser Volatilität...
Bespoke bei den Mailänder Trunkshows ab 5500€ laut "Liste".
Gibt bestimmt ein Paar Asiaten die das tatsächlich bezahlen ;).
 
Ein guter Freund von mir hat 3500 gezahlt, aber ich weiß nicht wie die Verhandlungslage bzw. Gesamtmenge war (das komplette Forum hat potenziert vielleicht einen Bruchteil seiner Reisegarderobe).
Er ist übrigens Kunde bei einigen der rennomiertesten Handwerkern (und hat davon auch genügend in die Wüste geschickt) und ist von Valentino Ricci extrem angetan und bescheinigt ihm ein gewisses "Flair".
Die Erstbestellung beinhaltete auch einige anspruchsvollere Sachen wie einen 3-Knopf Anzug mit steigendem Revers und Anzüge mit zweireihigen Westen.
Nach der ersten Probe war er sehr skeptisch, da ihm das ganze etwas zu "aggressiv" war, aber Valentino hat alles genau seinen Wünschen nach abgeändert und wohl ein ideales Endprodukt abgeliefert.

Die generelle Regel ist, dass su misura bei +25% liegt (das war auf einer Preisliste so die aber nicht in Mailand galt...), ich glaube aber, dass es eher die normale Sciamat Linie als mtm wäre.
Ich finde persönlich sie haben für den Anfang zu viele Linien und Konzepte, frag am besten Pierino nochmal wegen eines konkreten Preises bzw. direkt bei Nicola Ricci.
 
Danke an pierino für den ausfuehrlichen Bericht. Ich freue mich schon auf Teil 2.

Zu den Preisen möchte ich soviel sagen, dass ich jegliche Diskussion dazu ablehne! Diese sollten mit der Sartoria bei einem Auftrag besprochen werden so wie es sich gehört. Bespokepreise sind immer individuell zu betrachten.
 
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