Ganz ehrlich, diese Diskussion um Kosten und Stundenlöhne geht komplett an der Sache vorbei. Menschen treffen weder Investitions- noch Konsumentscheidungen auf Basis von Herstellungskosten. Genausowenig, wie es einen H&M Kunden interessiert, ob so ein Lappen mit 5 EUR im Verhältnis zum Gesamtaufwand fair bepreist ist, spielt der Stundenlohn eines Schneiders wirklich eine Rolle. Die einzige Rolle spielt, welchen (erlebten) Wert man für das Geld bekommt und welche Waren welchen gegenüber substituierbar sein.
Hier hat der Friseur den Vorteil, dass seine Tätigkeit nicht substituierbar ist und es deutschen Kunden nichts nutzt, wenn man in Bangladesh für 2 EUR die Haare geschnitten bekommen kann und das gleiche gilt auch für Arbeitslöhne von KFZ-Mechanikern.
Der Schneider hat das Problem, dass die Konfektion ein Substitut für seine Leistung geschaffen hat, die ihn nicht mehr als primären Dienstleister erscheinen lässt, sondern vor allem als Händler. Das hat das Schneiderhandwerk schon die letzten 50 Jahre bedrängt, als gehobene Konfektion noch im Inland oder in der EU hergestellt wurde. Die Globalisierung hat das ganze nochmal beschleunigt. Und man kann tagelang diskutieren, warum der Maßanzug von hier viel besser ist, aber wer versuchen will, einheimische Schneiderei als Alternative zu Konfektion oder Maßkonfektion zu positionieren, indem er den Preisunterschied zu reduzieren versucht, wird scheitern. Der Schneiderei bleibt die Positionierung als „ultra premium“, bei der der Stundenlohn des Schneiders dann wenig Bedeutung für die Preisgestaltung haben muss. Wettbewerber eines Maßschneiders ist nicht Suitsupply, sondern der Rolex- oder Bentley-Händler oder die Sternegastronomie (letztere steht nämlich auch nicht in Wettbewerb mit McDonalds).
Oder ökonomischer gesprochen, der „marginal advantage“ eines Maßanzugs gegenüber Anzügen die weniger als die Hälfte kosten, ist einfach nicht groß genug, um darüber zu verkaufen, den Preis zu verargumentieren. Niemand erwartet, dass Schneider für 5 EUR die Stunde arbeiten sollen, das heißt aber nicht, dass Leuten ein vom Aufwand her bepreistes Produkt nicht trotzdem zu teuer ist, vor allem wenn günstigere Substitute existieren.