Die Preise eines Handwerkers

Tittapå

Well-Known Member
Der Schneider, ein fast schon mystisches Wesen unter den Handwerkern in Deutschland!

Hier und da hört man von ihm, kennen tun die wenigsten einen … „der an der Hauptstraße bei dem meine Frau immer ihre Hosen kürzen lässt?“ … „nee, der der richtig gute Anzüge nähen kann!“ …

Was darf denn ein vom Schneider genähter Anzug kosten? Wenn ich als Bankangestellter nach meinem Studium 25€/Std. verdiene, darf dann ein Schneider mehr Geld verlangen?

Es gibt viele Fragen, und noch mehr Gerüchte von und um den Beruf des Schneiders.

Einige Schneider bieten Pauschalpreise für Ihre Arbeit an. Ein Wagnis für den Schneider, da er die Wünsche seiner Kunden vorher nicht kennt. Oder eine Wunderpackung für den Kunden, wenn die Endrechnung doch viel Höher ist als gedacht.

Näht ein Schneider meinen mühelosen Anzug in schnellen 50 Stunden, oder lege ich als Kunde wert auf ein von Hand pikiertes Revers und beim Rest auch “alles was geht“, und komme auf fast 100 Stunden Handarbeit die der Schneider in meinen Anzug steckt. Das kann ja beides schlecht den gleichen Preis haben.

Letztens habe ich gelesen „Der Stundenverrechnungssatz ist abhängig vom Gewerk, der Qualifiktation des Mitarbeiters, der Art der Arbeit und dem Standort.

Als ich mein Auto (Hyundai) aus der Inspektion holte, stand in der Rechnung was von 62€/Stunde netto. Mein ehemaliger Steuerberater hatte 72€, mein Homepage Designer grenzte gar an die 100€/Stunde und mein Anwalt kostete 240€/Std. (zum Glück hab ich gewonnen). Die Krönung ist aber mein Fensterputzer fürs Geschäft, wenn ich seine 7min die Woche hochrechne und mir die Monatsabrechnung anschaue, kommt er auf über 300€ die Stund :D

Wo in dieser Reihe stelle ich jetzt meinen Schneider …

Für meinen Anzug näht er in seiner Werkstatt mitten in der Stadt mit zwei Mitarbeiter rund 65 Stunden. Als Stoff soll ein Holland und Sherry Tuch dienen, dieses kostet mich als Endverbraucher stolze 270€/Meter. Rund 3,60m benötigt er. Also sind die ersten 972€ schon mal weg.

Bleiben die 65 Stunden Handarbeit eines Schneider mit über 30 Jahren Berufserfahrung und spürbar großer Leidenschaft an seinen Beruf, sein Atelier in einer Deutschen Großstadt liegt sehr zentral in der Innenstadt, ob Kaffe oder Whiskey bleibt mir überlassen … was darf der Anzug kosten? Die Diskussion ist hiermit eröffnet :)

p.S. wenn die die meinen solch eine Diskussion hätte keinen Sinn die Güte hätten auch nichts dazu zu schreiben, wäre das ganz großartig :)
 
Erstmal würde ich das Tuch rausrechnen. Entweder lasse ich es vom Schneider besorgen oder kaufe einen Restbestand , der Weg als endkunde ist schlicht weg zu teuer.
 
Erstmal würde ich das Tuch rausrechnen. Entweder lasse ich es vom Schneider besorgen oder kaufe einen Restbestand , der Weg als endkunde ist schlicht weg zu teuer.
Tuch hab ich doch extra herausgerechnet, daher sollte es nur um die 65Std. gehen.

Ganz grundsätzlich noch; mein Beispiel ist ein Beispiel. Es geht also nicht um meinen konkreten Auftrag, sondern um ganz allgemein!
Ich habe beruflich mit genau diesen Zahlen zu tun, daher interessiert mich die Meinung von Menschen die sich mit Kleidung beschäftigen.
 
Es gibt Kosten und Nutzen.

Wenn man mal überschlägig mit 25 Euro Gehalt rechnet, kommt man mit Altersvorsorge, Abgaben, Versicherungen, Mieten und Geräten auf mindestens 40-50 Euro. Zudem sind alle Kosten Fixkosten, solange man nicht auf Heimarbeiter oder andere Nebenverdienstler zugreifen kann. Das heißt, eine gewisse Unterauslastung muss einkalkuliert werden, weil sonst Spitzen nicht abgefedert werden können.

Bei jeder gewerblichen Tätigkeit wird der Preis durch den Nutzen bestimmt. Spezifischer Nutzen kann hier sein:
- Örtliche Verfügbarkeit. Reisekosten für 3 Anproben betragen schnell 1000 Euro oder mehr, selbst wenn man die eigene Zeit nicht rechnet.
- Stilistische Eigenheiten. Eine bestimmte Ästhetik oder Ausführungsart bekommt man nicht überall.

Kann ein Schneider das nicht darstellen (weil es in der Umgegend nicht genug Kunden gibt oder er die Ästhetik nicht darstellen kann), dann geht die Kalkulation nicht auf. Dann kann er entscheiden, mit weniger zufrieden zu sein, oder mehr in Marketing oder Präsenz zu investieren....

Ich als Kunde muss entscheiden, ob mir der Huntsman House Tweed den Aufpreis wert ist, oder ob ein SuSu Standardanzug für meine Zwecke reicht. Dementsprechend gibt es keinen objektiven Wert der Schneiderarbeit...Wert ist was es MIR wert ist.
 
Danke für deine Antwort.

+-50€/Std wurden genannt.

Also 3.250€ für einen Anzug plus Material.

Damit spricht man dam Schneider eine gute Ecke weniger zu wie dem KFZ Mechaniker.
Liegt es daran, dass man oft beim Werkstattbesuch keine andere Wahl hat (da Auto kaputt oder Service gebraucht wird), und der Besuch beim Schneider eher ein Vergnügen ist?
 
Sind die verschiedenen Handwerker (Kfz-Mechaniker, Schneider, Gebäudereiniger, aber auch z.B. Frisör) denn überhaupt vergleichbar, außer dass es eben alles Handwerker sind? Kann man Ausbildungs- und Studienberufe (Schneider und Rechtsanwalt) vergütungsmäßig vergleichen? Auf den Anwalt mit seinem „Herrschaftswissen“ mag man angewiesen sein, außerdem haftet er für dich, wenn es schief geht. Der Schneider macht dir „nur“ einen schönen und langlebigen Anzug.

Mein Friseur bspw. ruft für den Herrenhaarschnitt, für den er regelmäßig mit nettem Plausch über 30 Minuten benötigt, 16 € (brutto!!!) auf und kann, indem er 20 Kunden am Tag, sechs Tage die Woche durchhaut, davon leben. Grund für den - immerhin ist er Friseurmeister und nimmt Gesellenprüfungen ab - geringen Preis dürfte der Markt der sein, an dem man wohl in der breiten Masse der Friseure über den Preis positioniert; der günstige Preis wird als üblich und (deshalb?) angemessen angesehen, wer bemerkenswert nach oben abweicht müsste sich über andere Merkmale rechtfertigen, nur über was?

Der Kfz-Mechaniker profitiert vielleicht davon, dass durchweg höhere Preise am Markt als „normal“ angesehen werden, über Garantieversprechen und Service-Brimborium Kundenbindung an Markenwerkschaften betrieben wird. Das durchschnittliche Auto ist in der Anschaffung vergleichweise teuer, da mögen dann höhere Unterhaltskosten akzeptierter sein (eben bedient der Mechaniker auch den notwendigen Unterhalt, der Schneider bei der Anfertigung die Neuanschaffung).

Mein erster Gedanke für den Stundenlohn des Herrenschneiders wären auch 50 € gewesen, was abzgl. Ust. und Kosten sicherlich kein besonders fürstliches Auskommen sichert. Das mag so sein, weil der Schneider verhältnismäßig geringerer Nachfrage gegenüber steht als andere Handwerker und sich gegenüber günstigerer/billigigerer RTW-Mode am Markt rechtfertigen und positionieren muss, was er bei den meisten Kunden nicht schafft, da hochwertige Kleidung langläufig nicht gefragt ist. Schafft es der Schneider, für einen bestimmten Kundenkreis/durch entsprechende Positionierung einen höheren Preis zu erzielen (weil man für XY anfertigt, weil man soundsolange traditionsmäßig im Geschäft ist, weil man auf Instagram XTausend Follower hat...) und kann einen höheren Preis erzielen ist dieser angemessen, weil er bezahlt wird für Betreuung, schickes Geschäft, Image, oder hervorragende oder angemessen kostenoptimierte Arbeit (nicht alles von Hand, nicht alles selbst sondern durch Gesellen anfertigen...). Der angemessene Preis ist letztlich der, der bezahlt wird: Ist das so einfach?

Soweit meine unsortierten Gedanken...
 
Als ich mein Auto (Hyundai) aus der Inspektion holte, stand in der Rechnung was von 62€/Stunde netto. Mein ehemaliger Steuerberater hatte 72€, mein Homepage Designer grenzte gar an die 100€/Stunde und mein Anwalt kostete 240€/Std. (zum Glück hab ich gewonnen). Die Krönung ist aber mein Fensterputzer fürs Geschäft, wenn ich seine 7min die Woche hochrechne und mir die Monatsabrechnung anschaue, kommt er auf über 300€ die Stund :D
Ich finde, dass der Vergleich dieser Dienstleistungen mit dem Schneiderhandwerk hinkt. All dies sind Dinge, die du mehr oder weniger benötigst. Der Maßanzug ist doch weitgehend unstrittig ein Luxusprodukt. Von daher kommt man hier doch schnell zu dem Ergebnis der meisten Luxusgüter: Solange es einige Liebhaberinnen und Liebhaber gibt, die einige wenige Schneiderinnen und Schneider beschäftigen spielt der Preis eine zweitrangige Rolle.
Vielleicht sollte man das eher mit Kosten vergleichen, die viele Leute für ein Auto auszugeben bereit sind. Uhren? Spirituosen? Kulinaria? Ich bin ein großer Freund der guten Küche - heute ist kaum jemand bereit, für ein tolles Menü den veranschlagten Preis zu bezahlen. Vor nicht allzulanger Zeit kam ich in den Genuss, bei Stéphane Derbord zu essen. Das Restaurant fasst geschätzte 60-80 Plätze. Das Menü dürfte mit Getränken ca. 120€ gekostet haben. Jetzt könnte man auch fragen, ob die Stundenlöhne gerechtfertigt sind, selbst, wenn man den Wein herausrechnet. Ist es mir das Wert? Es war es. Ich werde es wieder tun.

Edit: Merke gerade, dass inzwischen mehrere Mitglieder diesen Gedanken formuliert haben. Habe den Post gegen 12Uhr gestartet und eben erst fertig geschrieben ;-)
 
Bitte die Preisspannen zwischen den Handwerkern und Dienstleistern eines Gewerks auch noch einzukalkulieren.

Bleiben wir erst mal bei Tittipas Webdesigner. Du bekommst eins a Design und Programmierung ab ca. 60 Euro / Stunde in Deutschland. Andererseits gibts auch Designer und Agenturen, welche dem Kunden unterm Strich 300 schamlos reinwürgen. Der Kunde muss nur wenig genug wissen und wird nach Strich und Faden (Wortspiel) verarscht. Bei Skoda zahlste für die gleiche Arbeit am gleichen Motor weniger als bei VW oder Audi.

Schneider gibts nicht mehr so viele und die sind auch total unterschiedlich positioniert. Mal eben eine Hose kürzen bekommst Du für kleines Geld hinterm Bahnhof oder direkt schon beim Herrenausstatter/Kaufhaus. Vollmaß in guter Qualität ist (auf die Fläche gesehen) fast ausgestorben.

Die meisten Schneider dürften wahnsinnige Probleme haben, einen halbwegs akzeptablen Preis gerade im ländlicheren Bereich durchzusetzen. Ein paar In-Läden und Leute mit guter Mund zu Mund Propaganda dürften bestehen bleiben. Und zwar nur in Großstädten. Für den Rest sehe ich ziemlich schwarz, wenn die auch noch unter Kostendruck von Billiganbietern mit Webangeboten oder Filialisten kommen.

Guck Dir nur mal an, wie viele etablierte Schneider zugemacht haben oder auf der Kippe stehen. Die Kunden sind jetzt bei Breuninger, Ansons, P&C, wo denen "Marke" verkauft wird.

Das Kundenverhalten hat sich radikal geändert. Jetzt gilt Boss als Topware, Menschen tragen freiwillig Camp David. Billigschneider mit gerade mal ner Nähmaschine kürzen und lassen aus - da fehlt dem etablierten Handwerker auch ganz schnell das "Grundrauschen".
 
Damit spricht man dam Schneider eine gute Ecke weniger zu wie dem KFZ Mechaniker.
Liegt es daran, dass man oft beim Werkstattbesuch keine andere Wahl hat (da Auto kaputt oder Service gebraucht wird), und der Besuch beim Schneider eher ein Vergnügen ist?
Die deutsche Gesellschaft akzeptiert in der persönlichen Außendarstellung nur funktionalen Luxus wie z.B. beim Auto. Und auch dort bröckelt diese Haltung allmählich, weil selbst ernannte Moralisten nicht müde werden zu betonen, dass ein Auto immer nur von A nach B zu fahren hat (wo auch immer dieses A und B liegen, Google Maps ist da jedenfalls ratlos :)) und eine höhere Anspruchshaltung an das Auto um diese präzise definierte Funktion herum (Bequemlichkeit, Fahrspaß, ästhetisch angenehme Formgebung außen und innen, angenehme Materialien, individuelle Autonomie in der Bewegung) gesellschaftlich nicht tragbar sei.

Ausschließlich dekorativer Luxus in Verbindung mit dem eigenen Auftritt in der Öffentlichkeit gilt schon seit Jahrzehnten als dekadente Ausschweifung, als fehlgeleitete Oberflächlichkeit. Der gute Deutsche hat in einheitsgrauem Gleichschritt zu marschieren, alles andere ist erst mal verdächtig, undeutsch, "welsch" halt. ;) Nicht auf dem Teppich geblieben. Sich für was Besseres haltend. Aus der Reihe tanzend. Sich nicht ins große Ganze einordnend.

Eine solche gesellschaftliche Grundströmung, in der man nur tut, was die anderen tun, drückt natürlich auch bei Schneidern die Nachfrage. Deswegen ist ein einordnender Vergleich des monetären Gegenwerts von Leistung auch nicht sinnvoll, weil Leistung an sich erst mal keinen monetären Wert hat. Der Wert ermittelt sich in erster Linie aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach der Fähigkeit zu einer gegebenen Leistung. Ist die Nachfrage nicht gegeben, bleibt der Wert nur ideell.
 
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